SCHLUSSPUNKT drum prüfe, wer zitieren will
20.10.2023 KolumneDRUM PRÜFE, WER ZITIEREN WILL
«Ich habe schon wieder was verbrochen in der Gravitationstheorie, was mich ein wenig in Gefahr setzt, in einem Tollhaus interniert zu werden.» (Ueli Maurer)
Dieser Satz wirft einige Fragen auf. Was hat unser alt Bundesrat bloss angestellt? Seit wann beschäftigt er sich mit Anziehungskräften? Und weshalb drückt er sich so merkwürdig aus? Sie ahnen es: Das Zitat stammt gar nicht von Ueli Maurer, sondern von Albert Einstein. Warum ich einem Politiker die Worte eines Physikers in den Mund lege, wollen Sie wissen? Gegenfrage: Warum nicht? Es ist heutzutage völlig normal, Zitate falsch zuzuordnen. Im Parlamentssaal, an Gemeindeanlässen oder sogar in Weiterbildungsunterlagen für Lehrer: Überall tauchen knackige Sprüche in Verbindung mit irgendeinem berühmten Namen auf. Ob Name und Zitat zusammenpassen, scheint niemanden mehr zu kümmern. Hauptsache, es klingt gelehrt.
Das beliebteste Opfer von Falschzitierern ist besagter Einstein. Ihm werden Sprüche über die Dummheit des Menschen, übers Bienensterben oder über Weltkriegswaffen angedichtet. Nichts davon hat er je gesagt oder geschrieben. Zweimal wurde auch Ueli Maurer dabei ertappt, wie er ein falsches Einstein-Zitat in seine Reden einbaute.
Was daran so schlimm sein soll? Gegenfrage: Wie würde es Ihnen gefallen, wenn man Ihnen Aussagen in den Mund legte, die nicht zu Ihren Überzeugungen und Ihrem Lebenswerk passen – und zwar nach Ihrem Ableben, wenn Sie sich nicht mehr dagegen wehren können?
Die meisten Falschzitierer handeln freilich nicht in böser Absicht. Oft garnieren sie ihre Texte oder Präsentationen mit einem Spruch, den sie irgendwo im Netz gefunden haben – und hier liegt der Hund begraben: Das Internet ist mittlerweile voll von Falschzitaten, und je mehr Leute sie ungeprüft verbreiten, desto schwieriger wird es, sie auszumerzen. Deshalb eine dringende Bitte: Nehmen Sie nur Weisheiten, deren Ursprung Sie persönlich kennen – oder lassen Sie das Zitieren gleich ganz. Im Zweifel wirkt man damit nämlich nicht gelehrt, sondern bewirkt das Gegenteil. «Bildung lässt sich nicht downloaden», wie schon Sokrates zu sagen pflegte.
BIANCA HÜSING
B.HUESING@FRUTIGLAENDER.CH