Endlich Sommer! Die Kolleginnen packen die Flip-Flops, die Nachbarn schleppen den Grill an den Thunersee, und in der Redaktion stapeln sich die Abwesenheits-E-Mails wie die Sonnencreme-Tuben im Grossverteiler. Und ich? Ich soll meinen Laptop packen, denn angeblich sind die ruhigen Sommermonate ...
Endlich Sommer! Die Kolleginnen packen die Flip-Flops, die Nachbarn schleppen den Grill an den Thunersee, und in der Redaktion stapeln sich die Abwesenheits-E-Mails wie die Sonnencreme-Tuben im Grossverteiler. Und ich? Ich soll meinen Laptop packen, denn angeblich sind die ruhigen Sommermonate bestens geeignet, um sich beruflich weiterzuentwickeln. Das zumindest suggeriert eine E-Mail, die an einem schweisstreibenden Produktionstag in meine Mailbox knallt. Inhalt: Strategien, um die Karriere voranzutreiben, während die anderen faul am Strand liegen. Karriere statt Caipirinha quasi.
Denn wer braucht schon Sonnenbrand und Sand in der Badehose, wenn er sich stattdessen mit Onlinekursen und Podcasts über «Storytelling im digitalen Zeitalter» oder «Wie kann das Layout des ‹Frutigländers› attraktiver werden – 10 Tipps» vergnügen kann? Mein Sommerduft soll gemäss dem Mailabsender – einem Personalberatungsunternehmen – frisch gedruckte Fachliteratur sein, gewürzt mit einer grossen Prise Bildschirmflimmern. Nach drei Wochen Weiterbildung wäre ich zwar blass wie ein Raclettekäse, aber randvoll mit neuen (beruflichen) Ideen. Der Sommer und die Ferien sind also kein karrierefreier Raum
– im Gegenteil. Wer die warme Jahreszeit klug nutzt, kommt nicht nur erholt, sondern auch beruflich gestärkt aus der Sommerpause zurück. Zugegeben, in der E-Mail waren auch ein paar Tipps zum Netzwerken mit Sonnenbrille, verbunden aber mit dem Hinweis, doch vorher das Socialmedia-Profil zu aktualisieren. Soviel also zu den heissen Vorstellungen der Personalvermittler.
Ich bin froh, sind solche E-Mails mit einem Tastendruck gelöscht. Karrieremachen ist kein Ziel von mir, da lob ich mir doch ein paar Tage Ferien. Aber selbstverständlich bilde ich mich in der sommerlichen Auszeit weiter, kulturell und kulinarisch – hoch im Kurs werden in diesem Sommer die Fischbrötchen sein! Das Onlineprofil wird von Ferienfotos bestimmt statt vom Projektmanagementdiplom. Den Boost hole ich mir mit Meeresluft und lieber einen echten Sonnenbrand als Kopfweh vom flackernden Bildschirm.
HANS RUDOLF SCHNEIDER
H.SCHNEIDER@FRUTIGLAENDER.CH