Schnegg drückt aufs Tempo
17.05.2024 PolitikDer Kanton will die Zahl der Spitex-Regionen von über 40 auf 17 verkleinern. Bei den Betroffenen sorgt der straffe Zeitplan für Unverständnis. Aus Sicht der Gesundheitsdirektion ist er jedoch ein logischer Schritt auf dem Weg zur künftigen Versorgung. Die Devise: ...
Der Kanton will die Zahl der Spitex-Regionen von über 40 auf 17 verkleinern. Bei den Betroffenen sorgt der straffe Zeitplan für Unverständnis. Aus Sicht der Gesundheitsdirektion ist er jedoch ein logischer Schritt auf dem Weg zur künftigen Versorgung. Die Devise: ambulant vor stationär.
MARK POLLMEIER
Pierre Alain Schnegg und die Spitex: es ist keine Liebesbeziehung. Im Jahr 2017 brachte der Berner Gesundheitsdirektor die Pflegeorganisationen gegen sich auf, weil er im Spitex-Bereich über 20 Millionen einsparen wollte. Beim kantonalen Spitex-Verband herrschte Entsetzen, in Bern gab es Demonstrationen gegen das kantonale Sparpaket.
Wenig später sorgte Schnegg für Unruhe, indem er den gesamten Verwaltungsrat der Spitex Stadt Bern öffentlich zum Rücktritt aufforderte. Im Parlament sprach der Gesundheitsdirektor von den «aufgeblähten Strukturen» gewisser Spitex-Organisationen. Auch wenn das auf die Stadtberner Spitex zutraf – deren VR-Präsidentin hatte ein Jahresgehalt von über 185 000 Franken –, fühlten sich viele andere Spitex-Organisationen von Schneggs Bemerkung in ein schlechtes Licht gerückt.
Nun ist erneut Feuer unterm Dach. Die Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion (GSI) will die Zahl der kantonalen Spitex-Organisationen deutlich verringern. Heute gibt es 47 Spitex-Regionen. Geht es nach der GSI, sollen es schon bald nur noch 17 sein. Würde die Umstrukturierung radikal umgesetzt, könnten auch nur 12 übrig bleiben (siehe Text rechts).
Attraktiver fürs Personal?
Zusammenarbeiten, grössere Einheiten bilden: Es ist der gleiche Kurs, den der Kanton auch bei der Zahl der Gemeinden einschlägt – und auch die Ziele, die damit verfolgt werden, ähneln sich. Mit der Zusammenlegung soll sich die Effizienz verbessern, ausserdem soll es einfacher werden, Personal zu finden. Wie im Gesundheitsbereich allgemein wird es auch für die Spitex immer schwieriger, genügend Personal zu finden. Gäbe es grössere Organisationseinheiten, so der Gedanke, könnten diese flexible Arbeitszeitmodelle anbieten und Stellen deshalb leichter besetzen. Ob das tatsächlich so wäre, bleibt abzuwarten – die Arbeit bleibt ja grundsätzlich dieselbe, und sie wird wegen der Bevölkerungsentwicklung stetig zunehmen.
Die Spitex ist erst der Anfang
Aber der Kanton hat noch mehr im Sinn. Schon vor drei Jahren skizzierte die GSI in einem Bericht, wie die Gesundheitsversorgung im Kanton mittelfristig aussehen soll. Die Rede war von Hub-and-Spokes und einem Modell 4+.
Was sich rätselhaft anhört, ist im Prinzip einfach zu übersetzen: Der gesamte Kanton soll nur noch aus 4 Versorgungsregionen bestehen: Bern, Berner Oberland, Biel-Seeland-Berner Jura und Emmental-Oberaargau. Das + steht in diesem Modell symbolisch dafür, dass dabei die Zweisprachigkeit angemessen berücksichtigt wird.
«Hub-and-Spokes» bedeutet, dass es jeweils ein Zentrumsspital als «Hub» (Nabe) gibt, in dem auch komplexe medizinische Leistungen angeboten werden. Darum herum angesiedelt sind «Spokes» (Speichen) als dezentrale Grundversorger. Diese Speichen können zum Beispiel kleinere Spitäler sein, ambulante Gesundheitszentren oder andere integrierte Gesundheitsversorger.
«Das Spital kommt nach Hause»
Diese Umstrukturierung soll mittelfristig, also innerhalb der nächsten sieben bis zehn Jahre, umgesetzt sein. Ihr Ziel: Die stationären Fallzahlen sollen sinken, die Behandlung stärker in den ambulanten Bereich verlagert werden. «Der Aufenthalt im Spital wird kürzer, der Rest der Hospitalisierung erfolgt daheim», sagte Pierre Alain Schnegg kürzlich in einem Interview mit der «Berner Zeitung». «Sei es für die Infusion oder für die Pflege: Das Spital kommt nach Hause.» Das Ziel ist – unter anderem –, die Kosten der Gesundheitsversorgung zu senken.
Vom Gesamtregierungsrat hat Pierre Alain Schneggs Direktion den Auftrag erhalten, «die bestehenden kantonalen Grundlagen bezüglich der Förderung von Kooperationen zwischen allen Leistungserbringern entlang der ganzen Versorgungskette weiterzuentwickeln». Einzelne Glieder dieser Versorgungskette sind neben den Spitälern auch niedergelassene Ärzte, Pflegeheime – und eben die Spitex.
Der Ärger der Betroffenen
Dass Schnegg hier mit den Veränderungen beginnt, ist also eingebettet in eine grössere Umstrukturierung, die der Kanton im Rahmen seiner Strategie zur «integrierten Versorgung» verfolgt. Warum nun die Aufregung? Es sind im Wesentlichen vier Gründe, die in der Spitex-Landschaft für Unruhe sorgen:
• Da ist zum einen der straffe Zeitplan. Geht es nach dem Kanton, soll die neue Spitex-Struktur schon 2026 Tatsache sein. Schon im kommenden Jahr, im ersten Quartal 2025, würden die Leistungsverträge für die Spitex-Versorgung für vier Jahre neu ausgeschrieben. Das heisst: Eigentlich müssten die jeweiligen Spitex-Regionen schon in wenigen Monaten wissen, wer sich mit wem zusammenschliesst.
• Abgesehen vom Zeitdruck: Den betroffenen Organisationen ist noch vieles unklar. Unter welchen Bedingungen soll die Zusammenlegung stattfinden? Muss wirklich juristisch fusioniert werden? Genügt eine Zusammenarbeit, wie sie viele schon jetzt pflegen? Auf solche Fragen hat man «an der Basis» offenbar noch keine Antworten. Die GSI gesteht ein, dass die Zeit zu knapp ist, um völlig neue Strukturen aufzugleisen. Man werde das bei der Ausschreibung der Leistungsaufträge entsprechend berücksichtigen. Ausser Fusionen könne es möglicherweise auch andere Formen der Zusammenarbeit geben.
• Für Missstimmung sorgt auch die Kommunikation der GSI. Man sei nicht ausreichend einbezogen worden, klagt beispielsweise der kantonale Spitex-Verband. Zudem seien die neuen geplanten Spitex-Regionen erst mit Verzögerung veröffentlicht worden. Die Gesundheitsdirektion wies darauf hin, dass sich der Verband bis Ende Juni zu den geplanten Gebieten äussern könne. Man sei offen für Vorschläge und werde «sachgerechte Anpassungen» prüfen.
• Hinzu kommt, dass derzeit auch politisch noch manches offen ist. Einerseits beim Kanton selbst: Die angekündigte Teilstrategie «Integrierte Versorgung» ist noch nicht verabschiedet, das Parlament weiss also noch gar nicht genau, worauf es sich einlassen soll. Schneggs Vorpreschen wird deshalb auch in Teilen seiner eigenen Partei kritisch gesehen. Der Bund wiederum arbeitet aktuell daran, eine einheitliche Finanzierung ambulanter und stationärer Behandlungen (EFAS) einzuführen. Diese hätte auch Auswirkung auf die Leistungsverträge des Kantons mit der Spitex. Dass Pierre Alain Schnegg schon jetzt so aufs Tempo drückt, ist vielen Spitex-VertreterInnen deswegen unverständlich.