Schreibblock statt Flinte
12.07.2024 PorträtSERIE, TEIL 1 Womit ich später einmal mein Geld verdienen würde, darüber habe ich mir als Jugendlicher kaum Gedanken gemacht. Irgendwann ging es dann mit der Schule zur Berufsberatung. Dort schlug man mir eine Ausbildung vor, von der ich noch nie gehört hatte. ...
SERIE, TEIL 1 Womit ich später einmal mein Geld verdienen würde, darüber habe ich mir als Jugendlicher kaum Gedanken gemacht. Irgendwann ging es dann mit der Schule zur Berufsberatung. Dort schlug man mir eine Ausbildung vor, von der ich noch nie gehört hatte. Natürlich kam es auch ganz anders.
MARK POLLMEIER
Als ich klein war, wollte ich Tierforscher werden. In der Savanne auf der Pritsche eines zebragestreiften Jeeps liegen und Löwen beobachten; im Ozean mit den Haien tauchen – das war mein Traum. Die Helden meiner Kindheit hiessen Bernhard Grzimek, Heinz Sielmann und Jacques-Yves Cousteau. Ich verschlang ihre Bücher und schaute mir im Fernsehen jeden ihrer Filme an.
Später, im Teenageralter, verblasste die Sehnsucht nach dem abenteuerlichen Forscherleben. Überhaupt rückte die Frage, was ich später einmal werden wollte, in den Hintergrund. Ich ging zur Schule und lebte ein bisschen in den Tag hinein, wie das vermutlich auch heute noch viele Jugendliche tun.
Post vom BIZ
Irgendwann, ich war wohl 16 oder 17 Jahre alt, ging ich mit meiner ganzen Klasse zum BIZ, zur Berufsberatung. Ein Bus brachte uns in die Stadt und liess uns vor einem Bürogebäude aussteigen. Drinnen: alles voller Regale, in denen Hunderte Broschüren zu allen möglichen Berufen lagen. Die 1980er-Jahre waren eben noch weitgehend analog. Im Publikumsbereich des BIZ gab es einen einzigen Computer, der die Grösse eines Bancomaten hatte.
Nachdem wir eine Weile gestöbert hatten, mussten wir einen Test ausfüllen, eine Art Fragenkatalog zum Ankreuzen. «Arbeitest du lieber drinnen oder draussen?» – «Macht dir der Umgang mit Menschen Spass?» – «Wie wäre es für dich, in einem Büro zu arbeiten?»
Ich kann mich nicht mehr erinnern, was ich damals im Einzelnen angegeben habe. Ein paar Tage später bekam ich jedenfalls Post vom BIZ. Die Auswertung meines Fragebogens hatte ergeben, dass Büchsenmacher der ideale Beruf für mich sei.
«Wie kommen die darauf?»
Büchsenmacher? Ich hatte keine Ahnung, was das sein sollte. Spontan dachte ich an Konservendosen. Erst die beigelegte Broschüre («Blätter zur Berufskunde») klärten mich auf: Es ging um Gewehre. Aufgrund meiner Angaben schlug man mir also vor, Waffenschmied zu werden. Ich erinnere mich, dass ich von der Empfehlung des BIZ ziemlich enttäuscht war: «Wie kommen die auf so was?» Ich fühlte mich komplett missverstanden.
Selbst wenn mir Büchsenmacher als Beruf gefallen hätte: Ich hätte gar nicht gewusst, wo ich eine solche Ausbildung hätte machen können. (Und das BIZ wusste es vermutlich auch nicht.)
Zum Glück war das Ganze ja nur ein Vorschlag, sodass ich mich nicht länger damit beschäftigen musste. Ich hakte die Episode ab, und weil ich ohnehin noch einige Jahre Schule vor mir hatte, verschob ich die Berufswahl auf später.
Musik oder Theologie?
Nach meiner Konfirmation war ich einige Jahre in meiner Kirchgemeinde aktiv gewesen, vor allem in der Jugendarbeit. Mit «meinem» Pfarrer hatte ich ein freundschaftliches Verhältnis, und irgendwann sprachen wir auch über meine Berufsperspektiven. «Also, wenn du mich fragst: Du solltest entweder Musik oder Theologie studieren», fand er damals.
Musik traute ich mir nicht zu – das tägliche stundenlange Üben war nichts für mich. Schliesslich studierte ich dann tatsächlich evangelische Theologie, bestand mein Examen – und wurde nicht Pfarrer. Schon während des Studiums hatte ich immer wieder journalistisch gearbeitet, hatte Öffentlichkeitsarbeit gemacht für grosse kirchliche Auftraggeber, Reden geschrieben für Leute, die kein Talent oder keine Zeit dafür hatten. In dieser Branche blieb ich nach dem Studium quasi hängen und arbeitete einige Jahre in einer PR-Agentur, die sich auf den sogenannten Non-Profit-Bereich spezialisiert hatte.
Nach dem Umzug in die Schweiz war ich eine Zeitlang Hausmann und kümmerte mich um die Kinder (die Kita, die wir vor 15 Jahren braucht hätten, gibt es in Kandersteg bis heute nicht). Zum «Frutigländer» brachte mich dann eine Anfrage des damaligen Verlegers Bernhard Egger, und offenbar hatte er den richtigen Riecher. Ich bin immer noch dabei.
Lokal- statt Naturforscher
Ist Journalismus mein Traumberuf? Vielleicht einer auf den zweiten Blick. Wenn ich mich zurückerinnere, habe ich eigentlich immer gern geschrieben, auch bereits im frühen Kindheitsalter. Noch heute bewahre ich Hefte auf, in denen ich als acht- oder neunjähriger Schüler irgendwelche Geschichten notiert habe. Mich mit Dingen zu beschäftigen, von denen ich bisher keine Ahnung hatte, ist mir keine Last – eher empfinde ich es als Privileg. Ich darf aus beruflichen Gründen neugierig sein! Wer kann das schon von sich behaupten?
In gewisser Weise habe ich damit sogar meinen Kindheitstraum vom Forscherleben verwirklicht. Statt Löwen oder Haie beobachte ich jetzt eben Lokalpolitiker oder Unternehmer. Auch das ist immer wieder spannend und – zumindest in der Schweiz – sicher weniger gefährlich.
Der Empfehlung des BIZ habe ich dagegen keine Sekunde nachgetrauert. Bestimmt wäre aus mir ein miserabler Büchsenmacher geworden.
ZUR SERIE
Verpasste Karrieren
Es gibt Menschen, die haben genau den Beruf ergriffen, von dem sie schon als Kind geträumt haben. Doch die Regel ist das nicht: Die meisten brauchen mehrere Anläufe, bis sie «ihren» Platz in der Arbeitswelt gefunden haben. Oder sie üben in ihrem Leben mehrere, teils ganz verschiedene Jobs aus. Auch in der Redaktion des «Frutigländers» finden sich verschlungene Berufswege. Später einmal bei einer Zeitung zu arbeiten – daran dachte als Kind jedenfalls kaum jemand.
Was sie einmal werden wollten, welche Vorschläge ihnen andere machten: in einer kleinen Serie erzählen die Mitglieder der Redaktion, wie sie wurden, was sie heute sind.