Sein Name sei Weltenbummler
06.06.2023 FrutigenOffen, kommunikativ, gastfreundlich und rund um den Globus unterwegs: Diese Kurzbeschreibung passt zu Martin Saurer. Der «Frutigländer» hat ihn in seinem einfachen, gemieteten Häuschen in Frutigen besucht.
KATHARINA WITTWER
Als er vor rund zehn Jahren sein Buch «Muttersprache Berndeutsch: Reisen in alle Ecken der Welt» veröffentlichte, hatte Martin Saurer bereits 157 Länder bereist – einige davon mehrmals. Inzwischen sind weitere Destinationen hinzugekommen. Obwohl zurzeit die fünfte Auflage gedruckt wird, räumt der 69-Jährige ein: «Reden liegt mir besser als Schreiben.» Das Büchlein ist kein Reiseführer. Saurer schreibt von Begegnungen mit Menschen oder Tieren, von Schwierigkeiten mit Behörden und von oft überraschend positiven Kehrtwenden. Da er keinen Verlag gefunden hat, verkauft er sein Werk höchstpersönlich mit polizeilichem Einvernehmen in den Gassen der Berner Altstadt.
«Hier gefällt es mir am besten!»
Seit 20 Jahren mietet der inzwischen in Bern wohnhafte Rentner oberhalb des Dorfes Frutigen ein Schürli mit Wohneinheit. Mit seiner Partnerin Monika Pulver verbringt er im Sommer insgesamt rund zehn Wochen dort. «Ich habe sehr vieles von der Welt gesehen, doch hier gefällt es mir am besten!»
Gerne lädt er Gäste ein. Je nachdem, woher sie kommen und wie berggängig sie sind, wandert er mit ihnen zur Hängebrücke, den BLS-Nordrampenweg entlang oder er zeigt ihnen die Cholerenschlucht. Aufs Mäggiser-, Tschiparälleund Steinschlaghorn steigt er kaum mehr. Seine Partnerin bereitet in der Zwischenzeit meistens einen Imbiss vor. Kommen die Ausflügler zurück, setzen sie sich an den gedeckten Tisch im Garten oder im Ställchen.
Adolf Ogi und «Mister SBB» waren schon zu Gast
«Hier erlebte ich die herrlichsten Dinge: Als Liebhaber von Überraschungen führe ich manchmal Menschen zusammen, ohne dass sie davon wissen», so Saurer. Eines seiner schönsten Erlebnisse hatte er, als er seine damals fast 90-jährigen Eltern und einen Militärdienstkollegen seines Vaters mit dessen Frau eingeladen hatte. Die Männer kannten sich nicht mehr und wussten lange nicht, worüber sie reden könnten. Die Frauen dagegen fanden sofort Gesprächsthemen. «Erst, nachdem ich die Katze aus dem Sack gelassen hatte, brach das Eis und die Veteranen schwelgten in gemeinsamen Erinnerungen.» Auch prominente Gäste wie alt Bundesrat Adolf Ogi oder Benedikt Weibel, einstiger «Mister SBB», sassen schon in seinem Gärtchen.
Hängt das Schild «Weltenbummler» am Eingang des Schönbühlweges, ist jedermann willkommen – auch wenn bereits angemeldete Gäste aus fernen Ländern am Tisch sitzen. Gesellen sich spontan Einheimische dazu, verbucht der Gastgeber dies als Beitrag zur Völkerverständigung.
Wer über Nacht bleibt – zumeist Leute aus fernen Ländern oder Familien –, schläft im Heu. Der Saurer warnt seine Gäste im Voraus immer, dass es zwar Strom und fliessendes Wasser gibt, aber das Geschäft auf dem Plumpsklo erledigt werden muss. «Diese Unannehmlichkeiten haben noch niemanden abgeschreckt. Im Gegenteil: das Einfache gefällt den Leuten!»
Einmal Bähnler – immer Bähnler
«Tinu» (wie er sich nennt) Saurer ist in einfachen Verhältnissen in Ringoldswil in der Gemeinde Sigriswil aufgewachsen. Wie damals eher unüblich, durften er und seine Geschwister eine Berufslehre machen. Er ging zur SBB nach Bern in den Innendienst. In verschiedenen Funktionen blieb er seiner Arbeitgeberin bis zur Pensionierung treu.
Dank vergünstigter Reisemöglichkeiten entdeckte der neugierige Jüngling vorerst die Schweiz und Europa. Er lebte bescheiden, sparte die Nacht- und Sonntagszulagen und häufte Überzeit an. Damit bereiste er ein Jahr lang Asien. «Dann packte es mich! Seither bin ich jedes Jahr mehrere Wochen irgendwo auf der Welt unterwegs. Soweit möglich, bevorzuge ich den öV – zum Beispiel Zug, Bus, Ochsenkarren, Kamel oder womit man im jeweiligen Land von A nach B gelangt.» Touristische Hotspots interessieren ihn mässig. Er liebt das Einfache, war mehrmals bei den Tuareg (Nomadenvolk) in Marokko, in der Mongolei, in Afghanistan, in der Einöde von Grönland, übernachtete draussen oder wurde häufig von Einheimischen eingeladen.
Berndeutsch oder mit Händen und Füssen
Fremdsprachen gehören nicht zu Saurers Stärken. Wohl kann er Französisch und etwas Englisch, doch seine Erfahrungen zeigen, dass er mit Analphabeten in Indien oder in den Anden am besten mit Händen und Füssen kommuniziert. Bald hat er herausgefunden, dass man äusserst dünn besiedelte Länder organisiert bereisen sollte. «Als ich zu Sowjetzeiten mit der Transsibirischen Eisenbahn reiste, gab es geführte Ausflüge. Statt der Reiseleitung zu x Kirchen hinterher zu trippeln, schlich ich mich immer wieder davon, denn ich wollte Einheimische treffen. Das probierte ich auch in Nordkorea. Doch kaum war mein Fehlen bemerkt, brach schiere Panik aus und ich wurde umgehend zurückgepfiffen.»
Festgenommen im Sudan
«Ich gehe stets mit einer positiven Einstellung auf die Menschen zu und habe mich wahrscheinlich deshalb selten in Schwierigkeiten gebracht», so Maurer. Trotzdem gab es den einen oder anderen Vorfall. Bei seinem ersten Aufenthalt in Thailand etwa wurde er wegen seiner Naivität von jungen Frauen nach allen Regeln der Kunst abgelenkt und seines Portemonnaies entledigt. Viel später auf einem Markt im Sudan, als er mit Fotografieren beschäftigt war, wurde er brutal von hinten gepackt, auf einen Handwagen gezerrt, an Armen und Beinen gefesselt und so aufs Polizeirevier vor den Ranghöchsten gebracht. «Es muss ein junger Polizist gewesen sein, der seinen Boss mit fetter Beute beeindrucken wollte», mutmasste Saurer hinterher. Dort nahm man den Film aus seiner Kamera und steckte den Reisenden bis am Abend in eine Zelle. 24 Stunden später hätte er wieder aufs Revier kommen sollen. So viel Zeit benötigten die Polizisten, den Film zu entwickeln und zu kontrollieren, ob darauf irgendwelche militärischen Einrichtungen zu sehen sind. «Da dies noch vor dem Computerzeitalter geschah, wusste man auf dem Flughafen am nächsten Morgen noch nichts von alledem und ich konnte meinen gebuchten Flug antreten. Bis wir in der Luft waren, sass ich wie auf Nadeln.»
Uganda steht noch auf der Wunschliste
«Natürlich gibt es mir zu denken, dass wegen der von uns Menschen verursachten Klimaerwärmung Gletscher schmelzen, die Meere als Mülldeponien missbraucht werden, für kurzfristigen Profit Wald gerodet und Bodenschätze schonungslos abgebaut werden. Und ich bin mitschuldig!» Trotzdem reist er bald erneut nach Grönland. Dieses Mal mit dem Zug bis Bremen und von dort aus auf dem Wasser – durchaus im Wissen, dass Hochseeschiffe wahre Dreckschleudern sind.
Der Weltenbummler hält auch Vorträge in Altersheimen oder Schulen. «Obwohl ich unendlich viel zu erzählen wüsste, konzentriere ich mich stets auf Themen wie beispielsweise ‹Tuareg›, ‹Lappland› oder ‹Nordkorea›. Zudem lege ich Wert darauf, stets das Positive hervorzuheben.»
An der Wand im «Stubeli» hängen Zeitungsberichte über ihn, Fotos und Kalenderbilder mit Sujets aus Ländern, die er bereist hat. Dazwischen entdeckt man eine Weltkarte mit unzähligen Stecknadeln. «Die ist nicht auf dem neusten Stand.» Auf die Frage, ob es überhaupt Länder gibt, in denen er noch nie gewesen war, antwortet er: «Ja, einige in Afrika. Uganda steht noch zuoberst auf meiner Wunschliste.»