Selbstverletzung per Abstimmung? Lieber nicht.
03.10.2025 KolumneZWISCHEN BERG UND BERN
Nach der Abstimmung ist vor der Abstimmung. Als Präsident der Schweizer Interpreten-Genossenschaft hatte ich letzte Woche bereits den ersten Kampagnen-Moment gegen die Halbierungsinitiative, die der SRG das Budget um die Hälfte kürzen ...
ZWISCHEN BERG UND BERN
Nach der Abstimmung ist vor der Abstimmung. Als Präsident der Schweizer Interpreten-Genossenschaft hatte ich letzte Woche bereits den ersten Kampagnen-Moment gegen die Halbierungsinitiative, die der SRG das Budget um die Hälfte kürzen will.
Diese Abstimmung regt mich wahnsinnig auf. Ich will nicht das SRG-Budget verteidigen müssen. Viel lieber wäre mir, wir müssten uns um unsere Medienlandschaft keine Sorgen machen, bloss weil der SRG das Budget halbiert wird. Im Vergleich zu meiner Kindheit gibt es ein Vielfaches an medialem Angebot – wo ist das Problem? Aber dann sehe ich mir das konkrete Angebot an, und tiefschwarze Sorgen stürzen schlammlawinenartig über die Zeitungsablage durch das Wohnzimmer bis zum Fernsehgerät.
Wenn ich heute eine Platte veröffentliche, brauche ich fast keine Promo-Exemplare mehr. Fünf der grössten Zeitungen des Kantons sind unterdessen Tamedia-Titel mit noch ein paar Seiten individueller Gestaltung. Die einst vielstimmige Kulturberichterstattung ist in einer Redaktion zusammengefasst, im immer schmaleren Zeitungsbund «Kultur und Gesellschaft», worin sich neben allen Kunstformen auch People-Stories und Wissenschaft zusammenzwängen. Vergleichbare «Verdichtung» – oder eben: journalistische Monokultur – findet man auch in anderen Ressorts. Natürlich, die Medienlandschaft hat sich verändert, Online ist wichtiger geworden, die Verlage müssen sich anpassen. Das stimmt alles. Aber – und jetzt kommt der Punkt – die grossen Verlage gehören oftmals zu breit diversifizierten Firmen, bei denen der Journalismus kein Kerngeschäft ist, sondern eher eine Begleiterscheinung des Werbemarketings.
Wie hat mir einmal ein HSG-Ökonomie-Dozent gesagt: «Die Ökonomie interessiert sich nicht für richtig oder falsch, sondern für Rentabilität. Gut ist, was konsumiert wird.» Das ist eine unangenehme Ausgangslage für ernsthaften Journalismus in der Privatwirtschaft. Und so kommt es, dass einst ernstzunehmende Zeitungen Online-Portale haben, auf denen die reisserischen Überschriften von Klick-Mich-Fallen auf Social Media kaum mehr zu unterscheiden sind. Wir bekommen zunehmend abgeschriebenen, parteiischen und sensationslüsternen Quatsch, als ob unsere kritischen Geister nicht jetzt schon fast daran ersticken würden.
Und so kommt es eben auch, dass ich die SRG verteidigen muss: Weil mir die Privatwirtschaft (welche so gerne von einer schwächeren SRG profitieren würde) klar sagt, dass sie schlussendlich keine qualitative Verantwortung übernehmen wird. Wieso eigentlich nicht? Ist es derselbe Mechanismus – um nicht zu sagen: derselbe Virus –, der oftmals die globale von der regionalen Wirtschaft unterscheidet: Gewinnmaximierung ohne Verantwortungsgefühl für das Gemeinwohl? Der berühmte Unterschied zwischen dem volksnahen Patron und dem abgehobenen Geschäftsführer?
(Unser Glück, dass der «Frutigländer» seine regionale Verantwortung durchaus wahrnimmt, oder? Auch weitere mediale Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel.)
Jedenfalls bleibt mir nichts übrig, als die SRG zu verteidigen. Die SRG schuldet uns etwas. Weil wir sie bezahlen. Zeigt sie sich manchmal auch seicht, parteiisch und sensationslüstern? Ja, klar. Aber wenn sie es tut, haben wir alle ein Reklamationsrecht, das über eine Kündigung des Abonnements hinausgeht: direkt und persönlich, dazu auch über unsere Politikerinnen und Politiker. Gut so! Der SRG das Budget zu kürzen und damit einen tatsächlichen Service Public für vier Landessprachen und eine sehr diverse Gesellschaft zu verunmöglichen, wäre die dümmste Form der «Reklamation»: eine Selbstverletzung. In einer diversen Ge-
sellschaft werden viele verschiedene Erwartungen geäussert. Wir werden nie 24 Stunden am Tag mit dem SRG-Programm glücklich sein, so wie wir auch nicht mit allen Menschen in unserem Land eine Wohngemeinschaft gründen würden. Damit kann man leben. Vielfalt ist Reichtum: Ein breites Frühstücksbuffet ist eine Qualität, auch wenn man sich persönlich nicht alles auf seinen Teller legt. Aber es ist gut (und für eine Demokratie notwendig), ein Bewusstsein zu haben, was andere mögen.
Nach der Abstimmung ist vor der Abstimmung. Die SRG-Abstimmung vom nächsten Jahr dürfte in unserer zunehmend zersplitternden Gemeinschaft eine der wichtigsten sein.
CHRISTOPH TRUMMER
REDAKTION@FRUTIGLAENDER.CH