«Senioren gibt es eigentlich nicht»
10.01.2025 PolitikALTERSPOLITIK Die Seniorenarbeit verpasst sich einen neuen Namen und startet mit einem überarbeiteten Leitbild ins Jahr 2025. Nun will sich «Frutigland 65 plus» als zentrale Anlaufstelle für Menschen im fortgeschrittenen Alter positionieren.
JULIAN ...
ALTERSPOLITIK Die Seniorenarbeit verpasst sich einen neuen Namen und startet mit einem überarbeiteten Leitbild ins Jahr 2025. Nun will sich «Frutigland 65 plus» als zentrale Anlaufstelle für Menschen im fortgeschrittenen Alter positionieren.
JULIAN ZAHND
«Senioren gibt es eigentlich nicht.» Die Aussage, die gleich zu Beginn des Gesprächs mit Sonja Imoberdorf fällt, verblüfft. Immerhin hatte die Sozialarbeiterin und Agronomin bis vor Kurzem den Posten in einer Geschäftsstelle inne, die genau diesen Begriff im Namen trug: Senioren Frutigland.
Seit zwei Jahren führt Sonja Imoberdorf besagte Geschäftsstelle mit einem Pensum von 20 Stellenprozenten. Angeschlossen sind die fünf Gemeinden Frutigen, Adelboden, Reichenbach, Kandersteg und Kandergrund. In dieser Zeit aktualisierte Imoberdorf das bestehende Altersleitbild, und dafür fühlte sie der Kommunalpolitik sowie der älteren Bevölkerung im Tal vorgängig den Puls. Eine der Erkenntnisse: «Die wenigsten älteren Menschen fühlen sich vom allgemeinen Begriff ‹Senioren› angesprochen. Denn das Pensionsalter ist sehr facettenreich: Es reicht von der rüstigen Rentnerin bis hin zum betagten, pflegebedürften Menschen.» Deshalb kam es zur Namensänderung: Aus der «Geschäftsstelle Senioren Frutigland» wurde die «Geschäftsstelle Frutigland 65 plus».
23 Prozent RentnerInnen – und künftig doppelt so viele
In den nächsten Wochen erhalten alle Haushalte mit Menschen «65 plus» in den fünf Anschlussgemeinden den neuen Flyer, der die Altersarbeit im Tal kurz vorstellt und der Geschäftsstelle ein Gesicht gibt. Diese ist beim Regionalen Sozialdienst angegliedert und arbeitet im operativen Bereich. Für die strategische Altersplanung sind derweil weiterhin LokalpolitikerInnen, verschiedene LeistungsträgerInnen aus dem Gesundheitsbereich und VertreterInnen der Kirche verantwortlich. Im Zuge der Namensänderung treten sie unter dem Namen «Kommission Frutigland 65 plus» auf.
Die Aufgaben von Kommission und Geschäftsstelle sind nicht eben leicht zu lösen. Die Geburtenrate geht zurück, die Gesellschaft wird immer älter, ihre Ansprüche wachsen. Folgen davon sind Engpässe in Altersheimen, mittelfristig braucht es mehr Wohnraum für ältere Menschen. Die Rolle der Pflege gewinnt an Bedeutung, bei der Finanzierung besteht Klärungsbedarf.
Im September 2024 lebten in den fünf Anschlussgemeinden insgesamt 3864 Menschen im Rentenalter. Das entspricht einem Bevölkerungsanteil von 23 Prozent; die Zahlen in den einzelnen Gemeinden variieren zwischen 21 (Kandergrund) und 28 (Kandersteg) Prozent. Der Kanton Bern geht davon aus, dass sich die Anzahl Menschen im Pensionsalter bis zum Jahr 2050 verdoppeln wird.
Handlungsfelder und Handlungsbedarf
Im «Altersleitbild Frutigland 65 plus» sind sieben Handlungsfelder definiert, die innerhalb der Alterspolitik relevant sind:
• Wohnen
• Gesundheitsförderung
• Aktivitäten und Solidarität
• Freiwilligenengagement
• Mobilität / Sicherheit
• Sterben und Tod
• Information und Koordination. Für jeden dieser Bereiche wurden der Handlungsbedarf eruiert und daraus mögliche Massnahmen abgeleitet, die nun von der Lokalpolitik in Zusammenarbeit mit der Geschäftsstelle umgesetzt werden müssten.
Vor allem der letzte der sieben Punkte ist für die «Geschäftsstelle Frutigland 65 plus» von Bedeutung: Man will sich zur zentralen Plattform für ältere Menschen entwickeln, zu einem Ort, an dem man sich informieren und beraten lassen kann. Dabei arbeitet man eng mit bereits bestehenden Institutionen wie Pro Senectute, Spitex, Kirchgemeinden oder Beocare zusammen. Auf der Website sind alle Angebote dargestellt. In diesem Jahr liegt der Fokus auf Vorträgen zum Thema Ergänzungsleistungen sowie Beratungsangeboten für Angehörige von Menschen mit einer Demenzerkrankung. Auch die «Technikhilfe», bei der Jugendliche ihr Know-how an ältere Generationen weitergeben, wird weiterhin angeboten.
Mit beschränkten Ressourcen, aber gut vernetzt
Die «Geschäftsstelle Frutigland 65 plus» baut auf Bestehendem auf. Die Ressourcen sind zwar beschränkt, dennoch sagt Sonja Imoberdorf: «Da wir eine gute Zusammenarbeit mit dem Sozialdienst haben, können wir sehr speditiv arbeiten und sind gleichzeitig nahe bei den älteren Leuten.»
Damit dieses Engagement auch Wirkung zeigt, gilt es nun, die Anlaufstelle in der Bevölkerung bekannt zu machen und die Menschen von diesem Service zu überzeugen.
Mehr Informationen zum Thema finden Sie auf unserer Website im Bereich Web-Links.
KOMMENTAR
Hoher Stellenwert – tiefe Stellenprozente
Im aktualisierten Altersleitbild bürdet die «Geschäftsstelle Frutigland 65 plus» sich und der Lokalpolitik einiges auf. Beseitigung des Platzmangels in Altersheimen, Schaffung von hindernisfreiem Wohnraum, Sicherstellung der Gesundheitsversorgung: Die Wunschliste ist lang, die Herausforderungen sind komplex. Kann man sie mit den gegenwärtigen Strukturen bewältigen?
Die Geschäftsstelle muss derzeit mit 20 Stellenprozenten auskommen. Verglichen mit anderen Regionen ist das nicht wenig, doch das beruhigt kaum: Hier wie dort findet die Alterspolitik nach wie vor nur am Rande statt.
Hochrechnungen sind selten exakt, doch am Trend lässt sich nicht rütteln: Die Zahl der Menschen im Pensionsalter wird in den nächsten Jahren massiv steigen – und damit die Herausforderungen.
Der Aufbau auf Bestehendem reicht nicht aus, um die Aufgaben zu lösen. Es braucht neue Ideen, neue Angebote – diese kreiert man nicht an einem Tag in der Woche. Offenbar hat man den hohen Stellenwert der Altersarbeit mittlerweile erkannt. Nun sollten auch die Stellenprozente erhöht werden, damit die Alterspolitik den prominenten Platz in der Gemeindeagenda erhält, den sie verdient.
JULIAN ZAHND
J.ZAHND@FRUTIGLAENDER.CH