«Strafermittlungen sind Sache der Justizbehörden»
14.10.2025 Kandergrund, Blausee, MitholzDer Streit um verendete Forellen in der Fischzucht des Blausees ist um ein Gerichtsurteil reicher. Das Regionalgericht Oberland hat am vergangenen Donnerstag Blausee-Verwaltungsratspräsident Stefan Linder unter anderem wegen Hausfriedensbruchs verurteilt, weil er 2020 auf eigene ...
Der Streit um verendete Forellen in der Fischzucht des Blausees ist um ein Gerichtsurteil reicher. Das Regionalgericht Oberland hat am vergangenen Donnerstag Blausee-Verwaltungsratspräsident Stefan Linder unter anderem wegen Hausfriedensbruchs verurteilt, weil er 2020 auf eigene Faust Ermittlungen im Steinbruch oberhalb des Sees angestellt hatte.
PETER SCHIBLI
Von 2018 bis Mai 2020 starben im Blausee und in der angrenzenden Fischzucht Zehntausende von Forellen. Aufgrund von Hinweisen aus der Bevölkerung und von Medienberichten vermuteten die Eigentümer der Naturpark Blausee AG einen Kausalzusammenhang zwischen verunreinigtem Sondermüll aus dem Lötschbergtunnel und dem Fischsterben. Jeweils nachts fuhren nämlich Lastwagen in den Steinbruch, eineinhalb Kilometer oberhalb des Sees, deponierten dort ihre mysteriöse Fracht oder luden diese um.
Strafanzeige gegen unbekannt
Die zuständigen Behörden eröffneten am 8. Juni 2020 eine Untersuchung wegen Gewässerverschmutzung. Die Blausee AG reichte am 24. Juli 2020 Strafanzeige gegen unbekannt ein. Dem Verwaltungsratspräsidenten und Mitbesitzer Stefan Linder gingen die offiziellen Ermittlungen allerdings zu schleppend voran. Deshalb beschloss er, auf eigene Faust im Steinbruch Beweise zu sammeln. Den Installationsplatz filmte er mit einer versteckten Überwachungskamera von mehreren Standorten aus sowie mittels einer Drohne aus der Luft. Einmal begleitete er Beamte der Kantonspolizei, die ihrerseits auf dem Areal eine Kamera montierten.
Am 17. September 2020 präsentierte Linder auf einer schweizweit beachteten Medienkonferenz die Ergebnisse seiner privaten Recherchen. Er zeigte den Medienschaffenden eine Liste mit Resultaten von Wasserproben, die auf dem Areal des Steinbruchs gesammelt worden waren. Nach seiner Aussage fand man hohe Grenzwertüberschreitungen bei Schwermetallen wie Blei und Zink.
Den Schaden durch das Fischsterben bezifferte er damals auf zwei Millionen Franken. Sobald die Verursacher ermittelt seien, werde er eine Schadenersatzforderung einreichen, versicherte er.
Schuldsprüche und Bussen via Strafbefehl
Doch bevor es dazu kam, drehte die Vigier-Gruppe, die Muttergesellschaft der Steinbruch + Hartschotterwerk Blausee-Mitholz AG (SHB), den Spiess um und zeigte Linder wegen illegalen Betretens ihres Areals an. Die diesbezüglichen Strafermittlungen kamen schneller zum Abschluss als Linders Vorwürfe wegen Gewässerverschmutzung. Am 4. März 2024 verurteilte die Staatsanwaltschaft Oberland den Blausee-Mitbesitzer via Strafbefehl, der dem «Frutigländer» vorliegt, wegen mehrfachen Hausfriedensbruchs und mehrfacher Verletzung des Privat- und Geheimbereichs durch Aufnahmegeräte zu einer hohen Geldstrafe. Einen Strafbefehl wegen Hausfriedensbruchs erhielt auch Linders erwachsener Sohn.
Weil sie mit der Verurteilung nicht einverstanden waren, erhoben der Blausee-Besitzer und sein Sohn Einspruch gegen die Strafbefehle. Vor dem zuständigen Regionalgericht in Thun wies Linder am vergangenen Donnerstag die Anschuldigungen zurück. Er betonte, das Areal der SHB nie betreten zu haben, gab aber zu, viermal eine Überwachungskamera der Marke Arlo am Rand des Steinbruchs platziert zu haben.
Um keinen Hausfriedensbruch zu begehen, habe er sich vorgängig bei einem Notar über die genauen Grundbuchdaten informiert und sei im Gelände stets mit GPS unterwegs gewesen. Eindringlich versicherte Linder, er sei sehr sorgfältig vorgegangen und habe unter allen Umständen vermeiden wollen, die Grundstücke der SHB zu betreten. Nicht bestritten wurden die Drohnenflüge über dem Areal. Der Blausee-Besitzer erklärte, er verfüge über einen Drohnenflugschein und habe sich im Vorfeld der Flüge stets mit der Kantonspolizei abgesprochen.
Nötigung einer Lastwagenfahrerin
Laut Strafbefehl hatte Linder im November 2020 zudem eine Lastwagenfahrerin, die im Auftrag ihrer Arbeitgeberin Aushubmaterial in den Steinbruch fuhr, genötigt. Er drängte die Frau am Telefon sowie in Textnachrichten, mit der Kantonspolizei Zürich zu kooperieren.
Gemäss Strafbefehl versetzten seine Nachrichten die Chauffeurin in Angst. Ausserdem fasste sie eine erwähnte Anzeige als Drohung auf. Vor Gericht begründete Linder sein unzimperliches Vorgehen mit dem angeblichen Wunsch der Zürcher Polizei, die Frau solle sich melden. Man brauche einen Anfangsverdacht, sonst könne man nicht offiziell ermitteln.
In ihren Plädoyers vertraten die Anwälte der beiden Parteien vergangene Woche gegensätzliche Positionen: Die Rechtsvertreterin forderte Freisprüche, der Anwalt der Schotterfirma dagegen bezeichnete die Beweise als «ausreichend dokumentiert» und erwartete vom Gericht eine Bestätigung der Schuldsprüche.
Paukenschlag: Verdoppelung der Geldstrafen
Nach achtstündiger Verhandlung verurteilte das Regionalgericht Stefan Linder wegen Hausfriedensbruchs in drei Fällen, wegen mehrfacher Verletzung des Privat- und Geheimbereichs der SHB und wegen Nötigung der Lastwagenfahrerin zu einer bedingten Geldstrafe von 95 520 Franken sowie zu einer unbedingten Verbindungsbusse von 22 800 Franken. Die Geldstrafe und die Verbindungsbusse des Gerichts fielen fast doppelt so hoch aus wie die von der Staatsanwaltschaft verhängten Strafen. Lediglich in einem Punkt wurde der Beschuldigte freigesprochen. Linders Sohn wurde in einem Fall wegen Hausfriedensbruchs zu einer geringen Busse verurteilt. Ihm gab der Gerichtspräsident den Rat, in Zukunft genau zu prüfen, an welchen Aktionen er sich beteilige.
In der mündlichen Begründung bezeichnete der Gerichtspräsident die Aussagen des Beschuldigten zu den Kamerastandorten als «wenig glaubwürdig». Ein Vergleich mit den Aufnahmen der Polizeikamera liess den Schluss zu, dass Linder die SHB-Parzellen in mindestens drei Fällen betreten hatte. Auch seine mehrfach geäusserte Absicht, einen Rechtsbruch vermeiden zu wollen, klinge unglaubhaft. Ausserdem habe sich ein von Linder vorgebrachtes Alibi als falsch erwiesen. Obwohl die Nachforschungen des Geschädigten nachvollziehbar seien, gelte in der Schweiz der Grundsatz, dass strafrechtliche Ermittlungen Sache der Justizbehörden seien und nicht in die Hände von Privaten gehörten, betonte der Gerichtspräsident abschliessend.
Vater und Sohn Linder müssen der Steinbruch + Hartschotterwerk Blausee-Mitholz AG eine Parteikostenentschädigung in der Höhe von 8150 Franken bezahlen. Diese ist viermal so hoch wie die von der Staatsanwaltschaft berechnete Pauschalentschädigung. Ausserdem wurden sie zu einer anteilsmässigen Übernahme der Verfahrenskosten verurteilt. Das Verdikt ist noch nicht rechtskräftig. Bis zu einem endgültigen Urteil gilt die Unschuldsvermutung. Ob er die Schuldsprüche an das Obergericht weiterziehen wird, will Stefan Linder nach sorgfältiger Abklärung in nächster Zeit entscheiden.
Reaktionen zum aktuellen Urteil
Blausee-Mitbesitzer André Lüthi vermied es, das Urteil zu kommentieren. Der Globetrotter-Chef hob aber auf der Plattform LinkedIn hervor: «Dank dem Verurteilten wurden illegale Tätigkeiten aufgedeckt. Wie die ‹NZZ am Sonntag› berichtete, wurden über 4000 Tonnen teils schadstoffbelastetes Material – darunter das hochgiftige Chrom VI – illegal im Gewässerschutzgebiet oberhalb des Blausees deponiert. In Kandergrund wurde reagiert: Strafverfahren wurden eingeleitet, der belastete Aushub für über 800 000 Franken korrekt entsorgt.»
Was Lüthi nicht schreibt: Ein Kausalzusammenhang zwischen der Gewässerverschmutzung im Steinbruch und dem Fischsterben im Blausee bleibt strittig. Gemäss «Sonntagsblick» sollen Ende September Vergleichsverhandlungen zwischen den Blausee-Besitzern, der BLS und der Vigier-Gruppe über die Zahlung einer Schadenersatzsumme von angeblich sieben Millionen Franken an die Blausee AG vor der Schlichtungsstelle Oberland gescheitert sein.
Mit einer Medienmitteilung unterstrich die Vigier-Gruppe ihre Position: Die SHB-Besitzerin nahm das Urteil «mit Genugtuung» zur Kenntnis und betonte, dass es «keinen Zusammenhang zwischen der Tätigkeit der SHB und dem angeblichen Fischsterben im Blausee» gebe. Umfassende Untersuchungen sowie hydrologische Gutachten hätten einen Zusammenhang ausgeschlossen. Das Fischsterben in der Fischzuchtanlage der Blausee AG müsse andere Ursachen haben.
Noch sind mehrere weitere Straf- und Zivilverfahren wegen Gewässerverschmutzung gegen Bau- und Transportfirmen hängig, die an der Sanierung des Lötschbergtunnels und am Abtransport von Aushubmaterial beteiligt waren.
PS