Teil des Teams und der Familie
18.06.2024 GesellschaftSOZIALES Seit 30 Jahren bietet die Stiftung Landwirtschaft und Behinderte (LuB) Volljährigen die Möglichkeit, auf einem Bauernhof zu leben und zu arbeiten. Ungefähr halb so lang bieten Trachsels aus Frutigen einem Mitarbeiter mit Beeinträchtigung einen Platz an. ...
SOZIALES Seit 30 Jahren bietet die Stiftung Landwirtschaft und Behinderte (LuB) Volljährigen die Möglichkeit, auf einem Bauernhof zu leben und zu arbeiten. Ungefähr halb so lang bieten Trachsels aus Frutigen einem Mitarbeiter mit Beeinträchtigung einen Platz an.
KATHARINA WITTWER
«Als unsere drei Söhne in die Unterstufe gingen, vernahmen wir von einer befreundeten Bauernfamilie aus dem Emmental von der Stiftung LuB. Dieses Engagement beeindruckte uns sehr. Nach einer intensiven Diskussion entschieden wir uns zum Mitmachen, sofern wir als geeignet befunden würden», erzählt Daniel Trachsel. Die Bauernfamilie aus Frutigen wurde daraufhin von den LuB-Verantwortlichen «auf Herz und Nieren» geprüft und schliesslich aufgenommen. Erst boten sie einem Mann einen regelmässigen Wochenendplatz an und später eine Woche auf der Alp. Seit knapp elf Jahren gehört Michael Zenger zur Familie.
Ein Arbeits- und Betreuungsverhältnis
«Unsere MitarbeiterInnen müssen gerne landwirtschaftliche Arbeiten verrichten und eine IV-Rente beziehen», erklärt Monika Lauener. Die gebürtige Reichenbacherin ist eine von vier BeraterInnen, die Familien und Mitarbeitende betreuen. Alle drei Monate besucht sie ihre «Schützlinge». Die Gespräche finden einerseits separat mit den Betriebsleitern und den Mitarbeitenden sowie andererseits in gemeinsamer Runde statt. Marianne Trachsel ist des Lobes voll für das LuB-Team. «Wir fühlen uns gut betreut, werden ernst genommen und erhalten Unterstützung auf allen Ebenen.» Gibt es Probleme, können sie jederzeit anrufen und erhalten rund um die Uhr und auch an den Wochenenden Hilfe.
«Man muss bereit sein, einer fremden Person Einblick in die Privatsphäre zu gewähren. Wichtig ist auch, sich Zeit zu nehmen und geduldig zu sein», so die Eheleute. Regelmässig diskutieren sie mit ihren Söhnen, ob die Situation noch für alle stimmt. Träfe dies nicht mehr zu, müssten Konsequenzen gezogen und eine Änderung herbeigeführt werden.
«Huki» fahren auf der Alp
Michael Zenger ist im Seeland aufgewachsen. In einer Ausbildungsinstitution absolvierte er dort die IV-Lehre zum Landwirtschaftspraktiker. Da er nach Abschluss der Lehre eine Anschlusslösung benötigte, konnte er auf zwei LuB-Betrieben schnuppern und einen auswählen.
Dass es dem inzwischen 29-Jährigen gut gefällt, beweist unter anderem sein Wunsch, noch möglichst lange bleiben zu dürfen. Nach seiner Lieblingsarbeit gefragt, antwortet er sofort mit «Vakuumieren». Während der rund 10-wöchigen Alpzeit an Elsigen wird Alpkäse hergestellt und im Winter an der Spiezstrasse Heumutschli. Den von Michael Zenger vakuumierten Käse vermarkten Trachsels selbst. Verantwortlich ist der Mitarbeiter auch für die acht Legehennen, die den Sommer ebenfalls an Elsigen verbringen. Auf der Alp darf Zenger mit dem «Huki» (motorisierte Raupenkarrette) den Mist auf die Weide führen und «zetten». Stolz zeigt der Seeländer im Jahresbericht 2023 das Foto vom Erhalt seines Diploms, das ihm anlässlich seines 10-Jahre-Jubiläums überreicht wurde.
Regelmässige freie Wochenenden, Aus- und Weiterbildungen
Anders als einige andere Mitarbeitende verbringt Michael Zenger alle 14 Tage das Wochenende zu Hause. Mit seiner Familie kann er regelmässig in die Ferien fahren. Er holt einen Bildkalender hervor mit Fotos vom Aufenthalt beim Grosi in Meiringen während des Übersitzes und von den letzten Badeferien am Meer. Weil er gerne im Wasser ist, geht er einmal wöchentlich mit PluSport ins Hallenbad Frutigen. «Auch für uns sind diese Entlastungswochenenden wertvoll», so die Bäuerin. Entlastungsfamilien der LuB nehmen Personen auf, die aus irgendwelchen Gründen nicht zu ihren Angehörigen gehen können.
Entsprechend ihrer individuellen Möglichkeiten können LuB-Mitarbeitende eine Anlehre zum Landwirtschafts- oder Haushaltsmitarbeiter, zur Agrarpraktikerin oder in Ausnahmefällen sogar die Ausbildung Landwirt EFZ absolvieren. «Unsere Lehrstellen befinden sich zwischen dem Aargau und dem Bodensee, von wo der wöchentliche Unterricht auf dem ‹Strickhof› bei Winterthur gut erreichbar ist», so Monika Lauener. Zu Michael Zengers Ausbildung gehörte es auch, das eigene Zimmer zu putzen, die eigene Bettwäsche zu wechseln, den Tisch zu decken oder nach dem Essen die Küche aufzuräumen. Bis zu sechs Mal jährlich dürfen die MitarbeiterInnen an einer von der Stiftung organisierten Weiterbildung teilnehmen. «Wir machen Ausflüge, lernen etwas über die eigene Körperhygiene, basteln oder unternehmen sonst etwas», erzählt Michael Zenger strahlend. Auch an den organisierten Stützpunktwochenenden und -ferien nehme er gerne teil. Von den Betreuerfamilien wird die Teilnahme an mindestens drei jährlichen Treffen, Kursen und Weiterbildungen erwartet. «Der Austausch ist bereichernd und äusserst wertvoll», betont das Bauernpaar.
Gesetzliche Anforderungen für Familien
Die Betreuerfamilien benötigen eine Bewilligung und werden im Kanton Bern von den Gemeinden beaufsichtigt. «Sie seien verpflichtet, sich einmal jährlich zu vergewissern, ob bei uns alles mit rechten Dingen zu- und hergehe, sagte man uns», so der Familienvater. Die Unterlagen, die für die LuB regelmässig ausgefüllt werden müssen, sind schon umfangreich – und die von der Gemeinde noch um einiges ausführlicher. Auch hier helfen die LuB-Berater.
Ständig gelten neue, zusätzliche Vorschriften, die verständlicherweise kontrolliert werden. Unter anderem darf die vorgeschriebene Mindestgrösse des Zimmers nicht unterschritten werden. Punkto Vorschriften weiss auch die LuB ein Liedchen zu singen. In jedem der 14 Kantone, in denen sie tätig ist, gelten andere Vorschriften. Entsprechend unterschiedlich sind die Vorgaben.
«Wir sind in der vorteilhaften Lage und verfügen über mehr Familien als Mitarbeitende. Möchte jemand umplatziert werden, haben wir daher einen ‹Puffer›. Werbung machen wir bewusst keine. Wer interessiert ist, meldet sich aus eigenem Antrieb. Die Familien werden zwar finanziell entschädigt, doch wichtiger ist es, dass man gerne und gut einen Menschen mit Beeinträchtigung betreut – so wie Trachsels», erklärt Monika Lauener.
Mehr Infos unter: www.lub.ch