Teuerung: Was steckt dahinter? Wie wirkt sie sich aus?
22.07.2025 WirtschaftVor kurzem hat der Bund anhand der neuen Zahlen des «Landesindex» die landesweite Teuerung für den Mai 2025 im Vergleich zum Vorjahresmonat mit «leicht unter null» und für den Juni 2025 mit 0,1 Prozent angegeben.
...Vor kurzem hat der Bund anhand der neuen Zahlen des «Landesindex» die landesweite Teuerung für den Mai 2025 im Vergleich zum Vorjahresmonat mit «leicht unter null» und für den Juni 2025 mit 0,1 Prozent angegeben.
«Gefühlt» gehen aber sehr viele Menschen von einer höheren Teuerungsrate aus. «Jeder vierte Erwachsene rechnet in diesem Jahr mit einer Verschlechterung der eigenen finanziellen Situation im Vergleich zu 2024», textete SRF Mitte Juli auf seiner Website.
Was könnte der Grund sein, und wie kann man diese Dinge verstehen? Eine weitere Frage ist: Warum betrifft uns das eigentlich so sehr? Und warum haben viele das Gefühl, dass die Preise doch ständig ansteigen? Was steckt dahinter? Wir versuchen, das einzuordnen.
Haushalt und Familien sind Wirtschaftseinheiten
Man muss sich immer wieder vor Augen halten, dass das Wort «Familie» schon immer mehr als nur «Mutter-Vater-Kinder» bedeutete. Das lateinische Wort ist uralt (über 2500 Jahre) und bedeutete so etwas wie «wirtschaftliche Hausgemeinschaft».
Was heisst das für uns? Viel verändert hat sich seither in dieser Hinsicht nicht: Eine Familie «unwirtschaftlich» zu führen, das geht einfach nicht. Insofern greift eine eventuelle Teuerung wesentlich in die Möglichkeit ein, heutzutage einen Haushalt zu führen.
Seit Corona «fühlen» viele aber auch – zu Recht oder zu Unrecht – überall eine gewisse «Teuerung». Und doch vermittelt der Bund den Eindruck, sie sei null oder «fast null».
Wie misst der Bund?
Sucht man auf den Seiten des Bundes nach einer griffigen Definition des Wortes «Teuerung», so wird man nicht gleich fündig. Das liegt auch daran, dass die offizielle Messung des Bundes («Landesindex») keine Teuerung spiegelt, sondern eine Teuerungsrate. Diese wird jedoch nicht in % des Vorjahres oder des Vormonats wiedergegeben, sondern anhand eines Index. «Index» (lat.: «Zeigefinger») ist also eine Hinweis-Zahl, die das Preisniveau eines bestimmten Referenzzeitraums (Monat, Jahr, Jahrzehnt etc.) wiedergibt. Das ist alles korrekt, denn an diesem «Index» kann man die Höhe des Preisniveaus von Konsumgütern ablesen.
Im Originaltext: «Der Landesindex misst die Teuerung der Konsumgüter in der Schweiz. Der LIK zeigt, um wie viel die Konsumgüter gegenüber dem Vormonat, dem Vorjahr oder jedem anderen früheren Zeitpunkt teurer geworden sind.»
Dabei muss man wissen, dass die einzelnen Preise durch Stichproben ermittelt werden. Und die verschiedenen Produktgruppen werden in ihrem Einfluss auf das gesamtschweizerische Preisniveau unterschiedlich gewichtet. Damit ist gemeint, dass ihr zahlenmässiger Einfluss pro Produktgruppe einer vom Bundesamt für Statistik vorab festgelegten Grösse entspricht.
Alle für einen Haushalt wesentlichen Produkte und Dienstleistungen werden in einem sogenannten Warenkorb zusammengestellt, und jedes Produkt (wir wählen hier als Beispiel Reis) erhält darin sowohl eine individuelle Nummer als auch einen vom Bundesamt angenommenen prozentualen Anteil an den Gesamtkosten eines Haushalts.
Im «Warenkorb» der Bundesstatistiker sind allerdings die Krankenkassenprämien nicht enthalten. Und das Vergleichsportal comparis.ch rechnet vor, dass die Prämienerhöhung in der Grundversicherung auch 2025 happig gewesen ist: «Sie lag mit durchschnittlich 6 Prozent nur wenig tiefer als in den Vorjahren (2024: 8,7 Prozent, 2023: 6,6 Prozent).»
Bei unserem Beispiel, dem Reis hingegen beträgt der Einfluss auf den durchschnittlichen Schweizer Haushalt laut der Statistik des Schweizerischen Landesindex zurzeit lediglich 0,049 Prozent am gesamten Haushaltsbudget.
Nun gibt der Index für unser Beispiel «Reis» aber keineswegs den Preis pro Kilo an, sondern einen rechnerischen Referenzwert, der das Preisniveau im Verhältnis zu einem Vergleichsniveau 100 wiedergibt. Dieser Referenzwert wurde zuletzt im Dezember 2020 festgelegt und beträgt zum Zeitpunkt seiner Definition immer 100. Das klingt kompliziert, hat aber viele Vorteile.
Wie kommuniziert der Bund «Teuerung»?
Leider scheint nach unseren Recherchen eine Erklärung der Grundbegriffe Landesindex und Warenkorb nur auf Französisch vorzuliegen, gleich mit einigen deutschen oder italienischen Untertiteln.
Ein nachdenklicher Beobachter kann sich nur wundern, dass es dem Bund nicht gelingt, eine solch komplexe Materie auch auf Deutsch verständlicher (und auch in schriftlicher Form) zu kommunizieren.
Dies wurde auch nach einer ausdrücklichen Nachfrage des «Frutigländers» beim Bundesamt für Statistik in Neuenburg nicht besser. Wir erhielten auf unsere Frage nur die Auskunft :«Das ist wohl so.» Das gibt es eben nur so, und das war alles.
Das konkrete Beispiel «Reis»
Als konkretes Beispiel hatten wir «Reis» gewählt: Der vor kurzem (am 3. Juni 2025) veröffentlichte «Landesindex der Konsumentenpreise» macht es möglich abzulesen, dass vor zwei Jahren der Referenzwert für Reis bei 110.0846 (Basis am 31.12.2020 war 100) lag. Heute liegt der Referenzwert für Reis im Mai 2025 bei 108.6397, also tatsächlich leicht niedriger als zwei Jahre zuvor.
Und vergleicht man den gesamten Landesindex vom Mai 2023 (also vor zwei Jahren) mit dem Preisniveau des Mai 2025, so ergibt sich laut offiziellem Preisrechner eine Veränderungsrate von +1,3 % , also doch eine leichte Teuerung.
Blickt man aber nun fünf Jahre zurück, ist unser Reis, um bei dem Beispiel zu bleiben, laut Bundesstatistik seit Dezember 2020 im schweizweiten Durchschnitt um rund 8 % teurer geworden.
«Preisspreizung» und Käufergruppen kaum abgebildet
Eine typische Erscheinung differenzierter Märkte, welche die solide gemachte Statistik des Bundes aber nicht abbildet, ist die sogenannte «Preisspreizung»: Ein Produkt (z.B. Reis) wird nicht nur nach Sorten, sondern auch nach Marken und produktspezifischem Qualitätsanspruch sehr unterschiedlich bewertet. Auf Deutsch: Reis ist nicht gleich Reis.
Das ist besonders preisrelevant, wenn man sich verschiedene Typen von Käufern vorstellt: Da sind auf der einen Seite diejenigen, bei denen der Preis keine Rolle spielt und die ein Produkt nach ihren persönlichen Vorlieben kaufen («Wohlhabende»). Da sind auch bürgerliche Familien («Normalverdiener»), die sich wohl an vermeintlicher Qualität orientieren, aber letztlich doch sparen müssen. Und da sind drittens diejenigen, die am Rande des Existenzminimums leben.
Es kommt noch hinzu, dass sich die hier skizzierten drei Käufergruppen in der Anzahl der Artikel unterscheiden, die sie überhaupt kaufen: Die «Wohlhabenden» haben viele Artikel im «Warenkorb» ihres Haushaltes. Die «Normalverdiener» haben eben das, was sie brauchen. Diejenigen, die wirklich sparen müssen, kaufen nur eine kleine Zahl von Artikeln und davon nur die billigsten. Und für jede dieser Gruppen bedeutet «Teuerung» etwas anderes, für jeden ist der relevante Warenkorb anders als in der offiziellen Statistik.
Sie alle werden sich Produkte verschiedener Preisklassen und Produktgruppen kaufen, und so «spreizt» sich der Preis eines in der Statistik nur mit einem einzigen Wort aufgeführten Produktes («Reis») über eine weite Spanne. Unter anderem deswegen «fühlt» jeder das Phänomen «Teuerung» anders. Im Beispiel Reis wird das konkret: So kostet etwas ein Kilo Denner- Reis parboiled (also ohne den Anspruch eine bestimmte Marke zu verkörpern, aber vorbehandelt) zum Zeitpunkt des Abfassens dieses Artikels nur Fr. 1.35. Preislich ist er etwa gleich wie die Coop-Marke Prix Garantie, die aber noch weitere Varianten umfasst, die erkennbar etwas teurer sind.
Man kann ein Kilogramm Reis aber auch für fast 6 Franken oder (online und als Spezialsorte) für über 10 Franken kaufen. Ein Kilo Reis und ein Kilo Reis ist also nicht dasselbe, je nachdem, für welche Kategorie man sich entscheidet.
Das macht aber auch die Angabe einer konkreten Teuerung sehr schwierig, ja fast unmöglich. Und – im Rückblick – muss man sich fragen, was der offizielle «Warenkorb» eigentlich genau abbildet.
Weitere Beispiele der «gefühlten Teuerung»
Jeder nimmt also – auch abhängig vom Lebensstil – «Teuerung» anders wahr. Dafür gibt es überzeugende Beispiele wie
- Miete
- Kaffee
- Wein und Bier
Diese «Produkte» zeigen in vielen Fällen seit 2020 erhebliche Preissprünge, in Einzelfällen sogar Verdoppelungen auf. Verständlich, wenn sich (wie in der Gastronomie) Erhöhungen bei Mieten, Personalkosten und Produktkosten aufeinandertürmen.
Der Bund verkompliziert die damit verbundenen Sichtweisen häufig nochmals, indem er noch nach inländischen und ausländischen «Teuerungen» differenziert. Und ja, es gibt so etwas wie «importierte Inflation». So einleuchtend das etwa bei den Energiepreisen ist, so wenig hilfreich scheint das aber in der Praxis.
MARTIN NATTERER