Überraschend viele zweifelten am Nutzen
26.11.2024 AnalyseAlbert Rösti war der falsche Bundesrat für die Autobahnabstimmung – und seine Partei im Abstimmungskampf nicht hilfreich. Selbst im bürgerlich geprägten Frutigland hatten die breiteren Nationalstrassen mancherorts einen schweren Stand.
Es war ...
Albert Rösti war der falsche Bundesrat für die Autobahnabstimmung – und seine Partei im Abstimmungskampf nicht hilfreich. Selbst im bürgerlich geprägten Frutigland hatten die breiteren Nationalstrassen mancherorts einen schweren Stand.
Es war nicht Albert Röstis Idee, die Autobahnen zu verbreitern und Strassentunnel zu bauen. Die Projekte waren schon vor langer Zeit aufgegleist und geplant worden. Als Verkehrsminister hatte Rösti die Vorlage aber zu vertreten – und damit fingen die Probleme schon an.
«Ölbert» und Behörden-Querschläger
Seit dem Jahr 2022 und bis zu seiner Wahl als Bundesrat war der SVP-Politiker Präsident von Swissoil und dem Autoimporteurverband «Auto Schweiz». Die Gegner der Nationalstrassenvorlage schlachteten diese früheren Engagements dankbar aus. Sie konnten Rösti als Autofreund darstellen, als «Ölbert», der seinen Lobbyfreunden einen Gefallen tun will. Das war in dieser plakativen Form natürlich Unsinn, entfaltete aber in linken Kreisen sicher ein gewisses Mobilisierungspotenzial.
Doch nicht nur seine Vergangenheit als Öl- und Autolobbyist machte Rösti das Leben schwer, auch seine eigenen Ämter trugen dazu bei. Ständig wurden neue Informationen bekannt, die Zweifel an der Vorlage weckten. Mal lagen die externen Kosten des Strassenverkehrs deutlich höher als bisher angenommen. Mal hiess es, die Behörden gäben Millionen für Abstimmungs-PR aus. Das Bundesamt für Strassen (ASTRA) gab zu, dass breitere Strassen in einigen Jahren zu mehr Fahrzeugen führen werden – und wollte auch nicht ausschliessen, dass wegen der Ausbauprojekte die Spritpreise steigen könnten. Solche Nachrichten waren nicht nur für die Medien und das Nein-Lager ein gefundenes Fressen, sie weckten auch bei Unentschlossenen Zweifel, ob die sechs geplanten Ausbauprojekte wirklich nötig und sinnvoll seien.
Eine heikle Verknüpfung
Schliesslich trug auch noch Röstis eigene Partei dazu bei, dass die Strassenvorlage zum Wackelkandidaten wurde. Die Autobahnen müssten vor allem deshalb ausgebaut werden, weil immer mehr Leute ins Land kämen, so hatte die SVP im Abstimmungskampf argumentiert. Die Volkspartei griff damit eine verbreitete Stimmung auf. Tatsächlich sind viele Menschen besorgt, dass es langsam zu voll wird im Land, dass die Preise weiter steigen und die Wohnungen knapp werden. Warum man aber in dieser Situation noch mehr Land zubetonieren und noch breitere Strassen bauen sollte – das wollten viele nicht einsehen. Den Autobahnbau mit der Zuwanderung zu verknüpfen, war ein strategischer Fehler. Zwar versuchte Rösti zu retten, was zu retten ist. Noch eine Woche vor dem Abstimmungstermin betonte er in Interviews, ein Nein zur Nationalstrassen-Vorlage stoppe die Zuwanderung nicht. Doch es half nichts mehr: Am Ende ging die Abstimmung mit 52,7 Prozent Nein-Stimmen verloren. Die Ausbauprojekte, allesamt lange geplant, können nicht in Angriff genommen werden.
Kritische BürgerInnen auch im Frutigland
Dass man sich selbst im bürgerlichen Lager nicht einig war, zeigt unter anderem das Abstimmungsergebnis des Verwaltungskreises Frutigen-Niedersimmental. Zwar gab es in vielen Gemeinden deutliche Ja-Ergebnisse – aber auch überraschend knappe oder sogar Nein-Voten. So lehnte etwa Oberwil die Autobahn-Vorlage mit 53,9 Prozent der Stimmen ab, Röstis Heimatdorf Kandersteg sagte mit 50,3 Prozent Nein, in Frutigen obsiegte das Ja-Lager nur mit hauchdünnem Vorsprung (siehe Tabelle unten). Warum genau einzelne Gemeinden gegen den Strassenausbau waren, darüber kann man nur spekulieren (siehe dazu auch die Kolumne unten rechts). Tatsache ist, dass das gemischte Ergebnis für die Region höchst ungewöhnlich ist, aber schweizweit keine Ausnahme darstellt: Gerade bei dieser Vorlage zeigten sich viele ländliche Regionen kritisch.
Erst einmal Stillstand
Das Ausbaupaket ist damit erst einmal vom Tisch. Bei diesem Thema wird vorerst im Wortsinne Stillstand herrschen – ohne dass zunächst etwas gewonnen wäre. Sofern sich der Verkehr nicht signifikant abschwächt (und warum sollte er das tun?), werden sich an den neuralgischen Stellen weiterhin Autos und Lkw stauen. Die ökologische Verkehrswende dagegen, von der die Abstimmungsgewinner schon am Sonntag sprachen, ist vorerst ebenso wenig greifbar wie ein alternatives Konzept wie etwa das Mobility Pricing. Und auch die Zuwanderungsfrage ist mit dem Denkzettel der StimmbürgerInnen selbstverständlich nicht gelöst, in dieser Frage hatte Bundesrat Rösti völlig recht.
Ein Volk von Mietern
Überschattete die Sorge vor immer mehr Wachstum auch die Mietrechtsvorlagen? Möglich wäre es, denn hohe Mietpreise und Wohnungsmangel bereiten vielen BürgerInnen Sorgen. Warum sollte ich in dieser Situation auch noch die «Gegenseite» stärken, wird sich mancher Mieter gefragt haben. Und weil die Mieter in der Schweiz die Mehrheit stellen, resultierte sowohl beim Thema Untermiete als auch bei der Eigenbedarfskündigung ein Nein. Ganz anders im Verwaltungskreis Frutigen-Niedersimmental, wo beide Vorlagen angenommen wurden, und zwar in sämtlichen Gemeinden und mit teils hohen Zustimmungsraten. Eine Rolle mag dabei gespielt haben, dass die Hausbesitzerquote in der Region höher ist als im Landesdurchschnitt. Auch waren hier anders als beim Strassenbau keine höheren Ausgaben zu befürchten, was das Zustimmen erleichterte.
Und es bewegt sich doch etwas …
Bei der Einheitlichen Finanzierung der Gesundheitsleistungen (EFAS) ticken der Verwaltungskreis und die Schweiz gleich: hier wie dort wurde die Vorlage angenommen, als erste gesundheitspolitische Abstimmung seit 30 Jahren. Offenbar war der Leidensdruck, dass hier endlich etwas passieren muss, nun gross genug. Vertrauensbildend dürfte gewirkt haben, dass alle Akteure des Gesundheitssektors für die EFAS waren. Gleichwohl: Für die Versicherten ist es ein Ja nach dem Prinzip Hoffnung. Ob die Prämien nach Einführung der EFAS sinken werden, ist ungewiss; die Grünen haben schon am Sonntag weiter steigende Gesundheitskosten prognostiziert. Auch die Auswirkungen auf die Qualität der Pflege werden insbesondere die Gegner der Vorlage im Blick behalten – dieser Punkt war einer der Hauptkritikpunkte am neuen Finanzierungsmodell gewesen. Trotz solcher Vorbehalte zeigt das Ja zur EFAS, dass politische Bewegung noch möglich ist, wenngleich erst nach langer Vorlaufzeit. Geduld wird auch bei den am Wochenende gescheiterten Abstimmungsthemen nötig sein. Dass gleich übermorgen neue Anläufe genommen werden, ist unwahrscheinlich. Aber zumindest die Verkehrssituation wird Politik und Bevölkerung noch länger beschäftigen – mit welcher Stossrichtung auch immer.
Frauen und Welsche
Über alle Vorlagen hinweg gibt es vom letzten Sonntag zwei Auffälligkeiten. Eine betrifft das Abstimmungsverhalten der Frauen. Sie stimmten bei allen Themen deutlich anders als die Männer, nämlich dagegen – ein Muster, das so deutlich bisher nicht hervortrat.
Bei den Jüngeren beobachten Soziologen schon seit einiger Zeit politische Differenzen zwischen den Geschlechtern. Junge Frauen stehen häufiger links, sie sind offener für Themen der Ökologie und der Geschlechtergerechtigkeit. Bei den jungen Männern gibt es einen umgekehrten Trend: hin zum Konservativen und Traditionellen. Nun hat sich diese Geschlechterdifferenz erstmals auch bei nationalen Abstimmungen gezeigt, und zwar über die Altersgrenzen hinweg. Auffällig ist auch das Abstimmungsverhalten der Romandie. Auf der Schweizer Karte ist der westliche Teil des Landes teils deutlich rot gefärbt, vor allem bei der Nationalstrassen- und der EFAS-Vorlage. In der Gesundheitspolitik positioniert sich die Westschweiz komplett anders als der Rest des Landes. Offenbar gibt es in den Sprachregionen sehr unterschiedliche Vorstellungen, wie die künftige Gesundheitsversorgung aussehen soll – und in der Romandie sind sie politisch eher links geprägt.
POL