Verschiedene Lösungsansätze für dasselbe Problem
30.08.2024 PolitikDer Verein Volkswirtschaft Berner Oberland lädt jährlich Behördenvertreter und Politikerinnen zum Gemeindeforum ein. Aktuelle Themen waren die Wohnungsnot in touristischen Gemeinden sowie die Raumplanung – beides heisse Eisen.
HANS RUDOLF ...
Der Verein Volkswirtschaft Berner Oberland lädt jährlich Behördenvertreter und Politikerinnen zum Gemeindeforum ein. Aktuelle Themen waren die Wohnungsnot in touristischen Gemeinden sowie die Raumplanung – beides heisse Eisen.
HANS RUDOLF SCHNEIDER
Immer wieder sorgt die Vermietung von Wohnungen auf Plattformen wie Airbnb oder booking.com für Schlagzeilen. Meist geht es dabei um die gesetzliche Regelung oder um Abgaben. Dass die kurzfristige, aber lukrative Vermietung diese Wohnungen vom Mietmarkt nimmt, wurde am Gemeindeforum am Dienstag in Interlaken thematisiert. Die Folge: Sowohl für Einheimische fehlen (bezahlbare) Mietwohnungen als auch für Unternehmen, die ihr Personal unterbringen müssen – definitiv ein Thema, das im Berner Oberland von West bis Ost zunehmend an Bedeutung gewinnt und Gemeinden und Destinationen gleichermassen Kopfzerbrechen bereitet.
Die Lage in Kandersteg und in Adelboden
Das erwähnte Problem kennen nicht nur Interlaken oder Grindelwald, es ist auch in Kandersteg und Adelboden bekannt. Die Kandersteger Vizegemeinderatspräsidentin Franziska Ryter bestätigte am Dienstag, dass man einen Trend zu sogenannten Plattformwohnungen wahrnehme. «Uns ist bekannt, dass hier Wohnungen angemietet oder sogar gekauft werden, um sie auf genau diesen Onlineplattformen weiterzuvermieten.» Aktuell würden noch keine Massnahmen diskutiert, aber man sei sich im Gemeinderat der Problematik im Zusammenhang mit fehlendem Wohnraum, insbesondere auch für Fachkräfte in der Tourismusbranche, bewusst. Allenfalls müsste man über Anreize reden: «Wer zahlt dem Besitzer die Differenz, wenn er statt mit maximalem Gewinn langfristig und günstiger vermietet?» Sie wies auch darauf hin, dass Regulierungen jeglicher Art Eingriffe in den Privatbesitz zur Folge hätten, was sie, die selbst Vermieterin sei, skeptisch beurteile.
René Müller, Vorstandsmitglied der Volkswirtschaft und Hotelier in Adelboden, nimmt die kurzzeitig vermieteten Wohnungen derzeit noch nicht als Problem wahr. Meist seien dies Wohnungen, die ohnehin vermietet und nun auch auf diesen Plattformen aufgeschaltet würden. Aber man beobachte den Trend genau. Insbesondere bei internationalen Gästen aus den arabischen Staaten, Israel, den USA oder Grossbritannien sei diese Art der Unterkunft zunehmend beliebt.
Für den Mangel an günstigem Wohnraum oder speziell an Personalwohnungen sei heute der hohe Zweitwohnungsanteil in Adelboden von gut 65 Prozent eher das Problem. Müller selbst habe für sein «Alpina» ein eigenes Personalhaus, was er als ideale Lösung ansehe. Das sei jedoch nicht allen Unternehmern möglich, ist er sich bewusst. Die politische Gemeinde habe mit Ausnahme von der Schaffung guter Rahmenbedingungen beschränkten Einfluss auf die Wohnungsnot, sagt der langjährige Gemeindepolitiker und frischgebackene Grossrat.
Die Situation bei den Nachbarn
Die Auswirkungen der Wohnungsknappheit gerade in touristischen Destinationen untermauerte am Dienstag Adrian Bürgy. Er ist Co-Autor des durch den Verein Berner Tourismusdestinationen in Auftrag gegebenen White Papers «Wohnungsnot in touristischen Regionen – Herausforderungen in der Personalrekrutierung und die Rolle von Airbnb». In der anschliessenden Podiumsdiskussion erläuterten Franz Christ, Gemeinderat Interlaken, und Toni von Grünigen, Gemeindepräsident Saanen, ihre Sicht als Lokalpolitiker auf die Herausforderungen.
Die Situation präsentiert sich unterschiedlich – so akzentuiert sich etwa die Problematik der Plattformwohnungen in Saanen weniger als in Interlaken. Das zentrale Problem, dass wenig bezahlbarer Wohnraum für Einheimische vorhanden ist, bleibt hingegen gleich.
Gefragt sind je nach Gemeinde differenzierte Lösungsansätze.
Saanen investiert beispielsweise in den Bau von gemeindeeignen Wohnungen, während in Interlaken aufgrund der geringen Landreserven vor allem regulatorische Lösungen gesucht werden. Dazu gehört die Auflage mit einem Erstwohnungsanteil von 100 Prozent bei Überbauungsordnungen und Zonen mit Planungspflicht oder eine Mindestaufenthaltsdauer in Ferienwohnungen von drei Nächten.
Die Tourismussicht brachte Marc Ungerer, Geschäftsführer der Jungfrau Region Tourismus AG, in die Diskussion ein. Er bemängelte die fehlende Datengrundlage, um die unterschiedlichen Problematiken besser erfassen zu können und so gezielt auf die jeweilige Gemeinde zugeschnittene Lösungen zu finden. Auch die uneinheitlichen Kurtaxen-Reglemente im Kanton würden dazu beitragen, dass beispielsweise mit Plattformanbietern wie Airbnb kein einheitlicher Abrechnungsprozess und Datenaustausch stattfinde. In anderen Kantonen hätte dies hingegen realisiert werden können, erklärte er.
Patentlösungen wurden am Dienstag keine präsentiert. Aber das Ziel der Veranstaltung, dass sich die Gemeinden untereinander austauschen konnten, wurde erfüllt. «Damit wir weiter etwas bewegen können, müssen wir Synergien nutzen und zusammenarbeiten.» Diese Worte von Marianna Lehmann, der Präsidentin der Volkswirtschaft Berner Oberland, zogen sich wie ein roter Faden durch den Anlass.
Mehr Spielraum, mehr Bürokratie, viele offene Fragen
Bis zum 9. Oktober läuft die Vernehmlassung zur Verordnung des Raumplanungsgesetzes II. Hinter dieser sperrigen Bezeichnung verbergen sich einige Anpassungen im Bereich Bauen ausserhalb von Bauzonen für Kantone und Gemeinden. Allerdings ist aktuell noch so vieles unklar, dass der Vorsteher des Amtes für Gemeinden und Raumordnung (AGR), Daniel Wachter, nicht gerade Freundensprünge machte. Zudem werde die für den 1. Juli 2025 geplante Einführung für sein Amt Mehrarbeit bedeuten, für die das Personal (noch) nicht vorhanden sei. Dazu gehört konkret, dass zwar den Gemeinden die Baupolizei nicht weggenommen wird, aber zumindest die Wiederherstellung (also der Abbruch) von illegalen Bauten neu in der Verantwortung des Kantons liegen soll. Wachter liess beim Volkswirtschaftanlass durchblicken, dass er die Umsetzung aller neuen Bestimmungen pragmatisch angehen wolle. Bei aktuellen Planungsverfahren könnten die Gemeinden die direkt anwendbaren Bereiche aus der Revision – beispielsweise Erleichterungen für erneuerbare Energien, der Vorrang der Landwirtschaft oder die Abbruchprämie – bereits anwenden.
Interessant für Gemeinden könnte die Möglichkeit von sogenannten Spezialgebieten sein: Diese würden auch ausserhalb der Bauzonen grundsätzlich mehr Spielraum schaffen, allerdings mit strengen Auflagen. Zum Beispiel müsste in einer solchen Zone ein Gebäude abgerissen werden, wenn ein neues geplant wird. Was allerdings ein «Gebiet» ist und ob Abriss und Neubau dasselbe Volumen haben müssen, kann aktuell niemand beantworten. In der Vernehmlassung ist die Verordnung umstritten und Wachter ist sich sicher, dass diese noch zu einigen Diskussionen führen wird.
Der Kanton Bern ist von dieser Revision besonders betroffen, die als Ziel eine Stabilisierung des Gebäudebestandes und der versiegelten Flächen hat: Insgesamt befinden sich in der Schweiz 620 000 Gebäude ausserhalb der Bauzone, davon rund 125 000 oder 20 Prozent im Kanton Bern. Von den jährlich 20 000 Anfragen und Baugesuchen im Kanton befinden sich fast ein Viertel ausserhalb der Bauzone. Die Ausarbeitung der kantonalen Stellungnahme sei noch nicht abgeschlossen, gerade weil noch so viele Unklarheiten in der Vorlage des Bundes herrschen würden.
HSF / PD