Als Charles Fermaud der Finanzwelt den Rücken kehrte, nahm sein Leben eine spannende Wende. Den wohlverdienten Lebensabend verbrachte er im Stiegelschwand.

«Es ist nicht gut für ein Werk, dass deren Leiter allzu lange bleiben», äusserte sich Charles Clemént Fermaud und reichte im April 1912 sein Rücktrittsgesuch ein. Nach 34 Jahren im weltweiten Dienst des Christlichen Vereins junger Männer (CVJM) hatte er sich den Ruhestand reichlich verdient. Es war nicht zuletzt sein Verdienst, dass diese Organisation weltweit auf rund 1 Million Mitglieder in 45 Ländern angewachsen war.

Für seinen Lebensabend hatte er sich Adelboden ausgesucht – dort wollte er sich zur Ruhe setzen. «Man nannte ihn im Dorf respektvoll ‹Oberst Fermaud›», sagt Dorfchronist Martin Hari.

Wie aus dem gebürtigen Franzosen ein Oberst der Schweizer Armee sowie aus dem Banker ein fürchtiger Gottesmann wurde, darüber schrieb Jakob Aellig einst ausführlich im «Adelbodner Hiimatbrief».

Wendepunkt vor 150 Jahren
Geboren wurde Charles Fermaud 1855 als Sohn eines Hugenotten-Nachkommens in Lyon. Beruflich bildete er sich in Genf zum Bankfachmann aus. Seine Fähigkeiten waren so gross, dass er bald zum Chefkassier einer Genfer Bank aufstieg. Mitte des 19. Jahrhunderts tauchte in England erstmals der Begriff «Young Men's Christian Association» auf (auf Deutsch «Christlicher Verein junger Männer»). Schon bald trafen sich in Genf unter der Leitung von Henri Dunant, dem späteren Gründer des Roten Kreuzes, junge Männer zu Bibelstudien. 1875 stiess der junge Fermaud zu dieser Genfer Gruppe und kam dort zum Glauben. Als in Genf die achte Weltkonferenz des Vereins Christlicher Männer stattfand, bat man Fermaud, den neu geschaffenen Posten als erster vollamtlicher Generalsekretär dieser Organisation zu übernehmen.

Erster Generalsekretär des CVJM
Die Entscheidung fiel Fermaud, inzwischen verlobt, sehr schwer. Der Bankdirektor versuchte, ihn mit einer massiven Gehaltserhöhung bei sich zu behalten. Erst nach drei Monaten Bedenkzeit gab er sein Ja zum Ruf ins Ungewisse. Zahlreiche Missionsreisen Fermauds durch ganz Europa sowie weitere Teile der Welt führten dazu, dass der Weltbund des CVJM im Jubiläumsjahr 1894 fast eine halbe Million Mitglieder zählte. Fermaud setzte sich ein für das Wohl der Soldaten im Ersten Weltkrieg, indem er unter anderem das Projekt der Soldatenlesestuben förderte. Ebenso gründete er Vereine für Kinder, Studenten, Eisenbahner, die Landjugend, Hotelpersonal oder auch für Seeleute. Nach seiner letzten und achtmonatigen grossen Weltreise 1907 und nach dem schadlosen Überleben von Seestürmen und Erdbeben sagte er: «Ich verstehe nicht, dass ich noch aufrecht bin. Dank Gott gehöre ich zu den wenigen, welche nie seekrank wurden.»

Militär und Blaues Kreuz
Fermauds militärische Laufbahn bewies, dass er der Schweiz dienen wollte. Er schaffte es bis zum Oberst im Generalstab, und dies als bekennender Abstinenzler. Als er noch den Rang eines Oberstleutnants bekleidete, liess er sich zum Detachement Walten am Hauenstein abkommandieren. Dort hatte er die Aufgabe, mit anderen Offizieren und Unteroffizieren trunksüchtige Wehrmänner zu betreuen und zu entwöhnen. So kam es auch, dass ihn der Genfer Pfarrer Louis Luden Rochat bat, ihm bei der Gründung eines Mässigkeitsvereins zu helfen. Er sagte zu und es kam zur Gründung der christlichen Organisation zur Selbsthilfe bei Suchtkrankheiten, dem späteren Blauen Kreuz.

Warum Fermaud sich für Adelboden entschied, lag wohl daran, dass er den Ort schon früher besucht hatte, erzählt Martin Hari: «Er kannte die christliche Pension Hari, die mein Grossvater Johannes Hari-Pieren bis 1936 geführt hatte und sie waren miteinander befreundet.» Ein Eintrag in Fermauds Taschenkalender bestätigt, dass er tatsächlich schon 1910 in Adelboden weilte. 1919 kauften er und seine Frau Esther das Chalet Erika im Stiegelschwand. Doch noch vor dem Umzug von Genf nach Adelboden verstarb seine Gattin. Alleine zog er in das neue Heim und gab ihm den Namen «Bethel». Später, er war schon Mitte 60, heiratete er Lina Matter aus Safenwil, die ihm noch fünf Kinder schenkte. Auf die Frage, ob er sich bewusst sei, dass er einst Waisenkinder hinterlassen würde, lautete seine Antwort: «Ja, ich weiss es, aber ich weiss auch, wem ich sie überlassen werde.»

Ein Herz für Stiegelschwand
Martin Hari erzählt, dass seine Mutter vor ihrer Heirat bei der Familie Fermaud gearbeitet hatte: «Sie war als Dienstmädchen im Haushalt angestellt. Ich mag mich jedoch nicht erinnern, dass sie viel von der Arbeit dort erzählt hat.» Ging es gegen Weihnachten zu, gedachte Oberst Fermaud im Besonderen seiner Stiegelschwander. Da im Haus Bethel nicht Platz für alle zugleich war, lud er sie gruppenweise an verschiedenen Abenden zur Weihnachtsfeier mit Liedern, Vorträgen und Gedichten ein. Unvergesslich blieb den älteren Stiegelschwandern auch der grosse Korb, woraus jeder Gast ein Geschenk empfangen durfte. Nach seinem Tod am 8. Juli 1937 führte Lina Fermaud-Matter den Dienst ihres Mannes an Mitmenschen in Form einer christlichen Familienpension bis zu ihrem Tod 1947 weiter.

HANS HEIMANN

Vom erfolgreichen Banker zum Gottesmann

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