Vom Fahrersitz aufs Dach
20.02.2024 Reichenbach, KientalAls Postautochauffeur hat Markus Rumpf den Schlüssel abgegeben. Sein neuer beruflicher Weg führt den im Wesen Bodenständigen indes hoch hinaus.
HANS HEIMANN
«Was denken Sie sich eigentlich, mit dieser Verspätung kommen wir nicht ...
Als Postautochauffeur hat Markus Rumpf den Schlüssel abgegeben. Sein neuer beruflicher Weg führt den im Wesen Bodenständigen indes hoch hinaus.
HANS HEIMANN
«Was denken Sie sich eigentlich, mit dieser Verspätung kommen wir nicht pünktlich am Bahnhof an», schreit der Fahrgast beim Einsteigen. «Wieso Verspätung? Ich bin nicht zu spät», kontert der Postautochauffeur, «ich bin einfach nicht dort, wo ich sein sollte.» An seinem Wohnzimmertisch erzählt Markus Rumpf von jenem Morgen, als er mit etwa sieben Minuten Rückstand auf den Fahrplan von Krattigen Richtung Spiez losfuhr. Der Fahrgast habe sich dann während der Fahrt beruhigt, und als sie sich ein paar Tage später wieder begegnet seien, habe dieser gesagt: «Ich weiss, dass du schlagfertig bist, aber damals wollte ich dir mal bereits am Morgen so richtig meine Meinung sagen – und du konterst mit so einem Spruch.»
Ängstliche Passagiere beruhigt
Seit 2001 arbeitete «Küsu», wie ihn die meisten nennen, als Buschauffeur. In dieser Zeit hat der in Spiez geborene Reichenbacher – meist auf den Kursen rund um Aeschi, aber auch nach Thun und Interlaken bis nach Iseltwald – viele unterschiedliche Begebenheiten erlebt. Zahlreiche Sommer fuhr er den Kurs von Reichenbach auf die Griesalp und erlebte dort auch ängstliche Passagiere auf dieser steilsten Postautostrecke Europas. Oft wüssten die Leute natürlich, dass diese sehr steil sei und über viele Kurven führe, so Rumpf. «Ich beobachtete die Fahrgäste jeweils beim Einsteigen, und wenn jemand einen nervösen Eindruck machte, sagte ich der Person, sie solle doch gerade vorne neben der Tür Platz nehmen.» So hätte er bei möglichem Unwohlsein jederzeit anhalten und die Tür öffnen können.
Der Fahrplan kennt keine Ausnahmen
Als grösste Herausforderungen in diesem Beruf nennt er den Strassenverkehr und den Fahrplan. «Der Fahrplan ist immer derselbe – egal, wie das Wetter ist, ob Eis oder Schnee auf der Strasse liegt oder ob ein Alpabzug auf der Strecke stattfindet.» Was Letzteres angeht, windet Rumpf den LandwirtInnen ein Kränzchen: «Die Bauern sprechen sich jeweils ein paar Tage vor dem Alpabzug mit den Chauffeuren ab. Die Postautos haben so weniger grosse Beeinträchtigungen durch die Züglete.» Im Gegenzug ist er auch ihnen entgegengekommen. Wenn zum Beispiel das Kreuzen von Fahrzeugen an Engstellen unmöglich war, fuhr er nach Möglichkeit und freier Sicht ein paar Meter rückwärts in eine Ausweichstelle, um den landwirtschaftlichen Fahrzeugen die Vorbeifahrt zu erleichtern. Das sei im Linienverkehr eigentlich nicht gestattet, «aber man muss in solchen Situationen halt auch den gesunden Menschenverstand walten lassen», lautet «Küsus» Devise.
«Macht euch sichtbar»
In all den Jahren als Chauffeur hätte er sich eine bessere Sichtbarkeit von Fahrgästen bei Dämmerung, Regen, Nebel oder in der Nacht gewünscht. «Kleinkinder werden völlig in Leuchtwesten eingewickelt und sind gut sichtbar, aber Erwachsene tragen oft dunkle Kleidung und sind an den Haltestellen und am Fussgängerstreifen schlecht zu erkennen.» Das sei ein Dauerthema, manchmal erkenne der Fahrer zu spät, ob jemand zusteigen wolle oder nicht. «Übersieht man einen und fährt vorbei ohne anzuhalten, dann werden oft Mails geschickt.» Es würde schon genügen, wenn der Fahrgast bei Dunkelheit dem betreffenden Busfahrer mit dem hellen Display seines Mobiltelefons ein Zeichen geben würde. Tagsüber wäre aus Rumpfs Sicht ein Handzeichen hilfreich – auch wenn man nicht mitfahren will. Schweizweit gilt nach wie vor die Bus-Beförderungsregel: «Halt auf Verlangen zum Ein- und Aussteigen an allen Haltestellen.» Somit könne jeder Passagier einen Teil zur Fahrplanstabilität beitragen. Rumpfs Aufruf: «Macht euch sichtbar!»
Handy hilfreich gegen Schwarzfahren
Als Erlebnisse der unangenehmeren Art nennt er Schwarzfahrer und erwähnt den alten Trick, bereits volle Mehrfahrtenkarten erneut am Automaten zu entwerten. Seine Erfahrung hätte ihn jedoch gelehrt, in solchen Fällen genauer hinzusehen. Das galt auch für die abendlichen Touren, auf denen öfters Spätheimkehrer zustiegen, ohne zu bezahlen. Rumpf stand dann jeweils auf und fragte nach den Fahrkarten. Die Betroffenen hätten sich oft ahnungslos verhalten, doch meistens habe es genügt, das Mobiltelefon hervorzuholen und damit anzudeuten, dass dieser Anruf zur Polizei gehen würde.
Holzmodelle und Lokalgeschichte
Ende Januar absolvierte Rumpf von Spiez via Krattigen nach Aeschi seine letzte Fahrt als Postautochauffeur. Fortan arbeitet der 57-Jährige als Dachdecker-Handlanger im Bereich Solarmontagen bei der in der Region tätigen Firma Growe-Siegenthaler AG. Daneben frönt er noch immer seinen Hobbys, wie etwa dem Herstellen von Modellfahrzeugen aus Holz. Auch interessiert er sich für Geschichte und hat sein historisches Wissen schon an Vorträgen weitergegeben. Wandern ist ebenfalls eine seiner Leidenschaften. Seine Wege haben sich manchmal wieder mit dem eingangs erwähnten Fahrgast gekreuzt, dabei hätte dieser jeweils mit einem Lachen gefragt: «Und, bist du heute am richtigen Ort?»