Vom Reden und Reden-Lassen
12.09.2025 KolumneEin Stimmungsbild vom Beginn der Herbstsession des Nationalrats:
«Schon vor dem Anfang steht das Wort», möchte man kommentieren, was sich in der Anfangsstunde der diesjährigen Herbstsession im Nationalrat abgespielt hat. Nun, es war nichts Dramatisches, wenn man einmal ...
Ein Stimmungsbild vom Beginn der Herbstsession des Nationalrats:
«Schon vor dem Anfang steht das Wort», möchte man kommentieren, was sich in der Anfangsstunde der diesjährigen Herbstsession im Nationalrat abgespielt hat. Nun, es war nichts Dramatisches, wenn man einmal vom Lärmpegel absah. Und ja, wenn man sich wie die Nationalrätinnen und Nationalräte drei Monate fast nicht gesehen hat, dann ist das «Hurra» gross, und man liegt sich gern in den Armen und lacht und begrüsst und redet.
Warum auch nicht, es heisst ja schliesslich «Parlament», und das kommt von «parler», Französisch für «Reden». Und das tat man denn auch schon gut 40 Minuten vor Beginn der Sitzung, zum Teil auch, weil es etwas zu feiern gab: Die Bündner Rätin Anna Giacometti hatte just an dem Tag Geburtstag, was zunächst einmal an den herzlichen Begrüssungen ihrer des Italienischen wortreich mächtigen Kolleginnen zu erkennen war. Und laut tönte es ins Rund: «Tanti auguri, Anna», und irgendetwas wie «compleanno» (ital. «Geburtstag») drang durch den Lärmpegel.
Die Damen und Herren Nationalräte strömten dann aber, unter wortreichen Begrüssungen, zumeist kurz vor und einige auch deutlich nach dem offiziellen Sitzungsbeginn am 14.30 Uhr in den Saal, Viele mit Kaffee bewaffnet und mit Schreibmappen und Dossiers beschwert. Zwischenzeitlich hatte Nationalratspräsidentin Maja Riniker die Session eröffnet und Bundespräsidentin Karin Keller-Suter das Wort erteilt. Relativ hastig sprach die Vertreterin des Bundesrates an diesem Nachmittag, und sie wirkte ein wenig abwesend. Verständlich, auch weil ihre Grundsatzrede über die strategischen Leitlinien des Bundesrates für das kommende Jahr 2026 gefühlt ja «noch so weit weg» waren. Verwunderlich aber für den berichtenden Zuschauer, da doch hier immerhin die Bundespräsidentin über staatstragende Dinge sprach. Der Lärmpegel sank auch kaum, als die ersten beiden grossen Geschäfte der Session, beide zur automatisierten Datenübermittlunge im Falle von Finanz- und Lohndaten, über die Bühne gingen. Im ersten Fall ging es vor allem um die Erweiterung der bisherigen Austauschstandards AIA auf digitale bzw. Krypto-Währungen, im zweiten Fall um die Festschreibung der Übermittlung von Lohndaten an die Nachbarländer, mit denen bereits heute Grenzgänger-Vereinbarungen bestehen.
Was die AIA angeht, so hatte bereits vor über zehn Jahren, am 15. Juli 2014, der Rat der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) den neuen globalen Standard für den internationalen Automatischen Informationsaustausch in Steuersachen (AIA-Standard) verabschiedet. Bisher haben sich mehr als 100 Staaten, darunter alle wichtigen Finanzzentren, zur Übernahme dieses Standards bekannt, auch die Schweiz. Pointierte Beiträge verschiedener Redner, vor allem die italienisch- und französischsprachigen, gingen, trotz ihrer hohen sprachlichen und sachlichen Qualität, ebenfalls im allgemeinen Lärmpegel nahezu unter. Und die Fragen der Lohnübermittlung wurden an den Ständerat überwiesen.
Nach einer Stunde hatte die Kunde vom Geburtstag der Bündner Nationalrätin mit dem berühmten Familiennamen auch die Präsidentin erreicht, die mit «Anna Giacometti hat heute Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch!» den allgemeinen Nebel von Reden und Reden-Lassen für Sekunden unterbrach.
Zwischenzeitlich hatten sich die ersten Parlamentarier schon wieder telefonierend und kaffeetrinkend in die Gänge und Flure verzogen und waren auch bereits wieder zurückgekehrt, als zum Abschluss der Debatte über die automatisierten Verfahren der Noch-Bauernpräsident und eben nicht zum Bundesrat gewählte Markus Ritter ein etwas müde wirkendes, dem amtierenden Bundesrat aber zustimmendes Votum abgab.
Zaghaft ermattet schienen dann auch, nach fast drei Stunden, die immer wieder hurtig für Abstimmungsverfahren in den Saal zurückkehrenden Räte. Und etwas ratlos und ebenfalls leicht zerstreut ob des Lärms und des etwas überhastet wirkenden Hin und Her von Zustimmung und Ablehnung in den dauernden Abstimmungen verabschiedete sich für diesen Nachmittag auch der Autor dieser Zeilen.
MARTIN NATTERER
REDAKTION@FRUTIGLAENDER.CH