Vom Strohsack bis zum Daunenbett
23.09.2025 Adelboden
Vor hundert Jahren legte Christian Hari den Grundstein für Gruppenunterkünfte in Adelboden. Gäste mit kleinem Budget durften schon damals unvergessliche Ferientage mit Gleichgesinnten verbringen. Noch heute ist das Gruppengeschäft ein nicht zu unterschätzender ...
Vor hundert Jahren legte Christian Hari den Grundstein für Gruppenunterkünfte in Adelboden. Gäste mit kleinem Budget durften schon damals unvergessliche Ferientage mit Gleichgesinnten verbringen. Noch heute ist das Gruppengeschäft ein nicht zu unterschätzender Bereich des Tourismus. Manch einer kehrt nach Jahren gutbetucht an den Ort zurück, wo er einst eine unbeschwerte Zeit im Ski- oder Sommerlager verbracht hatte.
Christian Hari legte Weitsicht und Mut an den Tag, als er 1925 im Bonderlen die erste Unterkunft für Gruppengäste einrichtete. Der Lehrer, Bauer und Bergführer hatte das Aufblühen der ersten Pension Adelbodens mit grossem Interesse verfolgt. Im Nebenamt führte er von 1918 bis 1924 das Hotel Oberland im Dorf. Christian und Margrit Hari hätten mit dem damals mageren Lehrerlohn und einer kleinen Landwirtschaft niemals 14 Kinder ernähren können.
In der Folge gründete Christian die «Ferienlager Hari», welche ihm als zweites Standbein dienten. Zudem konnte er das Restaurant im angebauten Schopf übernehmen, welches bereits von seinen Eltern betrieben worden war. Es muss um 1900 herum gewesen sein, als ebenfalls seine Eltern am Bonderbach eine Bocciabahn für italienische Gastarbeiter bauten.
Die Nachfrage nach Gruppenunterkünften steigt
Da Christian Hari – er sprach nebst Deutsch drei Fremdsprachen – oft für Hotelgäste als Bergführer unterwegs war, gewann sein Haus zunehmend an Beliebtheit. Er war ein warmherziger, fröhlicher Mensch und seine Frau wurde als Herbergsmutter hochgeschätzt. Die Nachfrage nach Gruppenunterkünften wurde bald so gross, dass er weitere drei Bauernhäuser samt Landwirtschaft an Bonderlen dazu kaufte. Darunter befand sich auch ein Teil der Grabenmatte, des Geburtshaues der inzwischen legendär gewordenen hundertjährigen Adelbodnerin aus dem Buch «Im Schatten des Lohners». Vermehrt wurde auch das Egghaus im Boden an Gäste vermietet, wenn es nicht von der eigenen Familie bewohnt wurde.
Die Morgentoilette fand unter freiem Himmel an plätschernden Brunnentrögen statt. War in den Häusern zu wenig Platz, wurde in den Ställen Stroh und Heu aufgeschüttet. Die wachsende Landwirtschaft lieferte Eigenprodukte für das Restaurant. Die stets hungrige Jugend konnte sich an Kartoffeln, Milch und Käse gütlich tun. Einen besonderen Schwung in den Massenlager-Tourismus brachte von den 1930er-Jahren an das von einer Amerikanerin gegründete Pfadfinderheim «Our Chalet». Da dieses nicht für grosse Gruppen geeignet war, konnte man solche Gruppen jederzeit in Haris romantischen Bauernhäusern unterbringen. Hier tummelten sich Pfadis aus der ganzen Welt.
Gäste kommen und gehen – heute wie damals
Es ist Freitagmorgen, in den Gruppenhäusern von Hari's Chalets herrscht reges Treiben. Viele Gäste geniessen vor ihre Abreise noch einmal den Blick auf das imposante Lohnermassiv und saugen die wärmenden Sonnenstrahlen in sich auf. Einzelne Gruppen sind bereits abgereist. Das Putz-Team macht die Häuser für die nächsten Gäste bereit, die schon am Nachmittag anreisen werden, um ein Wochenende oder eine Ferienwoche in Adelboden zu verbringen.
Oft liegen nur wenige Stunden zwischen Ab- und Anreise. Diese Zeit muss reichen, um die Häuser zu reinigen, das Inventar zu kontrollieren, die Kissenanzüge zu wechseln, kleinere Reparaturen auszuführen und den Abfall fachgerecht zu entsorgen. Die neue Gruppe soll ihr Haus in makellosem Zustand übernehmen können – alles perfekt, wie es sich gehört.
Die zweite Generation übernimmt
Im Jahre 1966 wurde Christian Hari in seinem 78. Lebensjahr durch Herzversagen mitten aus der Arbeit gerissen. Seine um zehn Jahre jüngere Lebensgefährtin regte die nimmermüden Hände noch ein Jahrzehnt lang, dann folgte auch sie ihrem Gatten. Der damals 27-jährige Sohn Mathäus sprang mit seiner jungen Frau Edith in die Bresche; sie übernahmen die Verwaltung der Massenlager-Vermietung.
Vom romantischen Bauernhaus zur modernen Gruppenunterkunft
Das Gruppengeschäft florierte. Weitere Massenlager entstanden – nicht nur in Adelboden, im ganzen Berner Oberland. Die zunehmende Konkurrenz belebte das Geschäft. Investitionen mussten getätigt werden, um die Häuser nach den neusten Anforderungen zu betreiben. Die Unterkünfte erhielten fliessendes Kalt- und Warmwasser, Toiletten, Duschen und Küchen. Strohsäcke wurden durch Matratzen und Betten ersetzt.
Auch wurden die Häuser vermehrt für die Wintersaison geöffnet, da der Skitourismus in Adelboden im Aufwind war. Für Mathäus und Edith Hari war es nicht leicht, das neu erbaute Restaurant und die modern eingerichteten Häuser rentabel zu betreiben. Die Einquartierung von Militär im Frühling und Herbst wurde zur willkommenen Einnahmequelle. Mathäus installierte eine moderne Militärküche, in welcher jeweils das Essen für 120 Soldaten zubereitet wurde. In den Sechzigerjahren eröffnete Mathäus Hari im Bonderlen den offiziellen Gruppenlager-Zeltplatz von Adelboden. Anfang der 1970er-Jahre erweiterte er das Angebot für die Wintergäste mit einem Übungs-Skilift, direkt neben den Ferienhäusern.
Besonders die Engländer gehören zu den treuesten Gästen im Bonderlen. Sie kommen jedes Jahr – noch heute. Und es gibt Pfadfinder-Gruppenführerinnen, die seit über dreissig Jahren im Familienbetrieb ihre Sommerferien verbringen. Bezeichnend dafür ist das geflügelte Wort eines alten Adelbodners: «Wenn die Meitschi mit den blauen Röcken kommen, dann kommt auch das gute Wetter.»
Schon früh erkannte Mathäus Hari die Notwendigkeit, mit Partnerorganisationen zusammenzuarbeiten. Die enge Verbindung mit englischen und belgischen Reisebüros ist seit Jahren nicht mehr wegzudenken. Eine Vielzahl anderer Betriebe in Adelboden kann von dieser langjährigen Zusammenarbeit profitieren.
Kleine und grosse Renovationen
Der vor 100 Jahren von Christian Hari gegründete Betrieb hat sich im Laufe der Zeit zum modern geführten Tourismusbetrieb mit rund 200 Übernachtungsplätzen entwickelt. Das Bedürfnis nach mehr Komfort sowie die immer strengeren Vorschriften führten dazu, dass die Unterkünfte stets modernisiert und der heutigen Zeit angepasst werden mussten. Gruppentourismus ist ein dauernder Spagat zwischen 5-Sterne-Komfort und Gruppentarif. Ein kontinuierlicher Weiterausbau ist unumgänglich.
Die Gäste von Hari's Chalets erfreuen sich einer besonders idyllischen Lage und einzigartiger Ruhe. Obwohl jährlich weit über 2000 Leute im Bonderlen einquartiert sind, verkehrt kein öffentlicher Bus. Aus diesem Grund werden die Gäste mit den eigenen Skibussen zur Sillerenbahn und wieder zurück gefahren.
Unter der neuen Führung
1999 wurde die Firmenübergabe an die dritte Generation und die Namensänderung in «Hari's Chalets» vollzogen. Unter der neuen Leitung von Jürg Hari entwickelte sich die Firma kontinuierlich weiter. Er verstand es, neue Projekte anzureissen, um den stetig steigenden Ansprüchen der Gäste gerecht zu werden. Verpflegungsservice, Projektunterlagen für Schulen, Schlechtwetter- und Rollstuhlführer sind nur einige Beispiele.
Die zunehmende Nachfrage nach behindertengerechten Gruppenunterkünften bewog Jürg Hari dazu, einen entsprechenden Erweiterungsbau zu erstellen. Schliesslich haben die Auswirkungen der Pandemie, der Verlust eines wichtigen Partners und die zunehmende Digitalisierung im Tourismus eine Zusammenarbeit mit der FEWO Adelboden AG notwendig gemacht, um das Angebot des Kleinbetriebs weiterhin auf professionellem Niveau halten zu können. Vor wenigen Tagen durften Hari's Chalets nun offiziell ihr 100-jähriges Jubiläum feiern.
ERICH GLARNER