Von der Zirkusprinzessin zur Jungunternehmerin
02.12.2022 PorträtDer Traum von Isabelle (Isa) Hostettler ist in Erfüllung gegangen: einen eigenen Zirkus zu gründen. Einen Monat lang zeigt sie mit ihrem Team das Wintervarieté Castello im Gwatt bei Thun. Dass dies der Scharnachtalerin gelungen ist, liegt auch an ihrer «Sturheit», ...
Der Traum von Isabelle (Isa) Hostettler ist in Erfüllung gegangen: einen eigenen Zirkus zu gründen. Einen Monat lang zeigt sie mit ihrem Team das Wintervarieté Castello im Gwatt bei Thun. Dass dies der Scharnachtalerin gelungen ist, liegt auch an ihrer «Sturheit», wie sie sagt.
YVONNE BALDININI
«In meinem Herzen liebe ich Zirkus – mit Manege und Tieren. Am liebsten würde ich mit meinem Pony auftreten», bekennt Isa Hostettler. Doch diese Art von Spektakel sei heutzutage eher verpönt. Deshalb führen die Artistinnen und Artisten ihre Nummern als Varieté auf, ohne Sägemehl und ohne Pferde, Kamele oder Ziegen.
Der lange Weg zum Platz
Ein Jahr lang waren Isa Hostettler und ihr Partner Lukas Böss mit der Suche nach einem geeigneten Platz beschäftigt. Ursprünglich wollten sie das Zelt in der Spiezer Bucht aufschlagen. Doch die AnwohnerInnen hätten keine Freude daran gehabt.
Lukas, selber Bauer, kannte den Bewirtschafter des Landes in unmittelbarer Nähe des Deltaparks im Gwatt. Isa sprach bei der Gemeindepräsidentin Jolanda Brunner vor: «Ich habe diesen Traum und setze alles daran, ihn zu verwirklichen.» Die 27-Jährige trat derart bestimmt auf, dass ihr Partner ihr am liebsten auf den Schuh stehen wollte. «Ich bin manchmal so stur, dass wir beide uns streiten. Wenn ich für etwas kämpfe, dann zu 200 Prozent. Ich lasse mich nicht abwimmeln.» Ihr Auftritt sei den Gemeindeverantwortlichen wohl eingefahren: Sie bekam grünes Licht. Doch nach der Zustimmung begann der mühselige Weg durch die Bewilligungsinstanzen.
Geteilter Traum
Die gelernte Marketingfachfrau und Eventmanagerin plante, die Darbietungen mit einem kulinarischen Erlebnis zu verbinden. In ihrem damaligen Job hatte sie festgestellt, dass es nur wenige Anlässe mit Nachtessen gab, obschon dafür eine grosse Nachfrage bestand. Die Idee zur Dinnershow war geboren.
Doch Isa und Lukas fehlte das Geld für das Zelt und die ganze Infrastruktur. Die beiden spannten mit Steeven und Brendy van Gool zusammen, die sie während ihrer Saison beim Zirkus Stey in der Ostschweiz kennengelernt hatten. Auch van Gool hegte den Wunsch, sich selbstständig zu machen. Steeven wiederum gehört zur Zirkus Nock-Dynastie. Seine Familie veranstaltet seit dreissig Jahren den Cirque de Noël in Genf und verleiht auch Zelte. So lieferten die Nock-Nachkommen das Zelt und den Kaffeewagen. Isa kümmerte sich um Marketing und Sponsoren, Lukas um Bewilligungen und Artisten.
Schwierige Künstlersuche
Bei der Zusammenstellung des Programms erlebte das Team etliche «Schockmomente». Wegen des Kriegs durften hochbegabte, bereits gebuchte Artisten nicht mehr aus der Ukraine ausreisen. Zudem fehlten Musiker und Helfer aus dem kriegsversehrten Land.
Auch von anderen Künstlern trudelten kurzfristige Absagen herein, so etwa von einer äthiopischen Truppe. Das Varieté Castello hatte bereits die Visa besorgt, doch ein Zirkus in Dubai bot pro Tag zehn Franken mehr.
Trotzdem gelang es den Varieté-Machern, ein hochstehendes Programm mit Rollschuhkünstlern, einem Handstandakrobaten, einer Pfeilbogen-Schlangenfrau und vielem mehr auf die Beine zu stellen. Isa selbst hat darin eine Rolle als «schlauer» Clown. Sie tritt ungeschminkt auf, der Zeitgeist habe sich von roter Nase und weissgetünchtem Antlitz verabschiedet, erklärt sie. Mit Brendy van Gool hat sie zudem eine Armbrustnummer einstudiert.
Die «Manege-Brille» abgelegt
Rund 3000 Besucherinnen und Besucher wünscht sich die Scharnachtalerin, damit ihr Budget im Gleichgewicht bleibt. Die Dinnershows sind nahezu ausverkauft. Dennoch sei der Druck enorm. «Früher habe ich alles mit der ‹Manege-Brille› angeschaut. Nun bin ich von der Zirkusprinzessin zur Jungunternehmerin geworden und muss auch den Hut der Buchhalterin aufsetzen. Das hätte ich nie gedacht.»
Ihr aktueller Arbeitgeber, die AXA-Versicherung, hat ihr für die Zeit der Vorführungen einen Monat Ferien gewährt. In ihrer Tätigkeit als Krankenkassenberaterin gehe sie total auf, schwärmt Isa. «Deshalb bin ich nicht bereit, das Varieté zu meinem Beruf zu machen. Jetzt aber freue ich mich, ins Zirkuskostüm zu schlüpfen und meinen Kindheitstraum zu leben.»
Varieté Castello: 1. bis 31.Dezember 2022 bei der Haltestelle Deltapark Gwatt. 31 Vorstellungen (15 Familien- und 16 Dinnershows). Infos und Tickets: www.variete-castello.ch