Was sagt die «Hirnflüsterin» zum Handyverbot?
02.09.2025 GesundheitBarbara Studer wurde schon als «Hirnflüsterin» bezeichnet. Die promovierte Schweizer Neurowissenschaftlerin und Psychologin ist im deutschen Focus Magazin – The Economist unter dem Titel «Menschen die 2025 Deutschland bewegen» als eine der ...
Barbara Studer wurde schon als «Hirnflüsterin» bezeichnet. Die promovierte Schweizer Neurowissenschaftlerin und Psychologin ist im deutschen Focus Magazin – The Economist unter dem Titel «Menschen die 2025 Deutschland bewegen» als eine der einflussreichsten Persönlichkeiten gelistet. Sie Auswirkung vom Handy auf’s Hirn ist ein Schwerpunkt-Thema von ihr.
RACHEL HONEGGER
Barbara Studer unterrichtet an der Universität Bern und ist Gründerin von Hirncoach AG, einem mehrfach ausgezeichneten Uni-Spin Off, welches sich der mentalen Gesundheit widmet und unter anderem Workshops an Schulen zum Thema «Soziale Medien und Gehirn» anbietet. Die Auswirkung von digitalen Geräten auf das kindliche und jugendliche Hirn gehört zu Studers Kernkompetenzen.
Frau Studer, das Handy hat nicht nur Einfluss auf unsere Psyche, sondern auch auf die Hirnentwicklung – wie zeigt sich das?
Aktuelle bildgebende Verfahren zeigen in Bezug auf längerfristige Auswirkungen von intensiver Handynutzung tatsächlich negative Veränderungen in der grauen Substanz (diese ist für die Verarbeitung von Informationen und die Steuerung von Funktionen wie Wahrnehmung und Motorik zuständig, Anm. d. Red.) sowie Auswirkungen auf die exekutiven Funktionen, wie zum Beispiel Arbeitsgedächtnis, Planung, und Sprachentwicklung. Weiterhin wird die Vernetzung zwischen Belohnungszentrum und präfrontalem Kortex geschwächt, was Impulsivität und Suchtverhalten fördert. Weitere mögliche Folgen sind eine schlechtere Schlafqualität und natürlich der Bewegungsmangel.
Und welche Auswirkungen hat das Handy auf die Psyche von Kindern und Jugendlichen?
Leider wird von vielen das Ausmass der negativen Wirkung des Smartphones auf das jugendliche Gehirn und das Lernen verkannt. Die Forschungsdaten sind da, und sie sind klar, aber wir nehmen sie nicht genug ernst.
Psychisch erhöht die ständige Erreichbarkeit das Risiko für Stress, Angst, Depression und soziale Vergleichsprobleme. Grosse Kohortenstudien verknüpfen mehr als vier Stunden tägliche Bildschirmzeit direkt mit ADHS-Symptomen, Verhaltensproblemen und emotionalen Beeinträchtigungen.
Gibt es diesbezüglich geschlechterspezifische Unterschiede?
Ja, Studien zeigen deutliche Geschlechtsunterschiede in der Mediennutzung: Mädchen verbringen mehr Zeit mit Smartphones und Social Media, Jungen mit Gaming. Während Jungen eher durch Computerspiel-Sucht gefährdet sind, zeigt sich bei Mädchen häufiger eine Übernutzung von Smartphones zur emotionalen Regulation, was langfristig belastend wirkt. So ist bei Mädchen der Zusammenhang zwischen intensiver Nutzung und psychischen Problemen wie Stress, Angst oder Depression deutlich ausgeprägter. Neurowissenschaftlich erklärt sich dies unter anderem durch eine stärkere Belohnungsreaktion bei Jungen auf Gaming und durch die stärkere Bedeutung sozialer Bestätigung bei Mädchen. Insgesamt sind die psychischen Risiken bei Mädchen also höher, vor allem durch exzessive Online-Kommunikation und soziale Vergleiche.
All dies spricht doch für ein Handyverbot an Schulen?
Ich befürworte eine solche Handhabung, da es die Jugendlichen unterstützt, sich nicht ständig mit der Ablenkung des Smartphones (auch das der anderen) auseinandersetzen zu müssen. Wir können nur gewinnen und ich sehe tatsächlich keinen einzigen überzeugenden Grund, warum das private Smartphone im Schulkontext nötig ist. Dabei geht gar nicht um eine Restriktion oder ein Verbot, sondern um Prävention und die Förderung der kognitiven, emotionalen und sozialen Entwicklung der Kinder. Das jugendliche Gehirn steckt in einer starken Reifungsphase. Es ist dabei besonders sensibel, weil das Belohnungssystem (Dopamin) schon sehr aktiv ist, während die präfrontale Kontrolle für Selbstregulation noch nicht vollständig ausgereift ist. Dadurch reagieren Jugendliche stärker auf die schnellen Reize und Belohnungen des Smartphones und sind anfälliger für Ablenkung und Abhängigkeit. Eine konstante Stimulation des präsenten Smartphones stört diese Entwicklung und schwächt die mentale Gesundheit.
Kompetenzen stärken statt Verbot – dies fordert ein Positionsschreiben des Dachverbands von Lehrerinnen und Lehrern. Ein Verbot sei kontraproduktiv, Kinder und Jugendliche müssen den Umgang mit dem Smartphone und die Selbstregulierung lernen.
Klar sollen Jugendliche den Umgang mit digitalen Medien lernen, aber das heisst nicht, dass das Smartphone schon früh Teil ihrer Lebensrealität werden muss. Aus meiner Sicht gibt es genügend Gründe, das Mindestalter von einem Smartphone mit Internetempfang auf 15 oder 16 Jahre zu setzen. Bis dahin sehe ich absolut keinen dringenden Grund, warum ein eigenes Smartphone nötig ist. Warum wollen wir, dass unsere Jugendlichen bereits Informationen aus der ganzen Welt und suchtmachende Spiele oder Apps in der Hosentasche dabeihaben? Als Erwachsene sollen wir die Gesundheit Jugendlicher schützen, dies gilt beim Handy genauso wie auch beim Alkohol. Der Schutz vor zu viel Smartphone-Präsenz und eine Definition des Mindestalters ist begründet, weil das kindliche und jugendliche Gehirn mitten in der Reifung steckt und suchtmachenden Substanzen und Medien diese Entwicklung stören.
Jugendliche lernen den gesunden Umgang mit digitalen Geräten nicht automatisch, sondern brauchen Anleitung, da das Belohnungssystem sie stark in Richtung sofortiger Reize zieht. Medienkompetenz eignet man sich aber nicht zwischen Stuhl und Bank an, sondern im gemeinsamen Diskurs, Ausprobieren der verschiedenen Medien und Technologien und mit klaren Zeit- und Aufgabenstellungen. Das kann im Unterricht und dafür bestimmten Lektionen geschehen.
Kurzum: Ein Verbannen privater Smartphones fördert das Lernen und das Miteinander, und verhindert die Entwicklung von Medienkompetenz keineswegs, wenn diese im angeleiteten Rahmen stattfindet – und das soll sie! Dort können digitale Medien gemeinsam als Lern- und Recherche-Tool kennengelernt und genutzt werden.
Viele Schulen hatten vorher die Regel, dass Handys nicht sicht- und hörbar sein dürfen und wechseln nun zu einem generellen Verbot. Warum braucht es oft diesen Schritt?
Neurowissenschaftliche Studien zeigen, dass schon die blosse Präsenz eines Smartphones – selbst ausgeschaltet in der Hosentasche – die Konzentration mindert, weil das Gehirn ständig Energie aufwenden muss, um den möglichen Reiz zu unterdrücken. Jede Ablenkung durch Signale wie Vibrationen oder Aufleuchten stört die Aufmerksamkeitsprozesse und kostet mentalen Aufwand, bis die volle Fokussierung wiederhergestellt ist. Multitasking mit dem Handy geht daher direkt zulasten von Lernleistung und Gedächtnisbildung.
Gleichzeit absorbiert das Smartphone in den Schulpausen Aufmerksamkeit und Zeit für die Interaktion. Da das Gehirn gerade in den Pausen verarbeitet und konsolidiert, geht auch dies zu Lasten natürlicher Lernprozesse und natürlich wertvoller sozialer Interaktionen und Erfahrungen.
Schon nur diese Daten allein sind aus meiner Sicht ausreichend, um diesen Schritt zu rechtfertigen.
Was ist Ihr persönlicher Rat an Schulen, LehrerInnen aber auch an Eltern betreffend Handynutzung ihrer Kinder?
Ich empfehle, das Smartphone mit Internet so lange wie möglich von Kindern und Jugendlichen fernzuhalten, sicher, bis sie 15 sind.
Unser Sohn (13) hat ein sogenanntes Dumbphone, das er mitnehmen kann, wenn er unterwegs ist. Alle wichtigen Medienkompetenzen kann er gemeinsam mit uns und in der Schule erwerben – dafür braucht er kein eigenes Smartphone in der Tasche. Dieses würde ihn nur ständig kognitiv und emotional ablenken und ihm wertvolle Zeit rauben. Zeit, die er besser in reale Aktivitäten investieren kann, die seine Entwicklung wirklich fördern. Vor allem soll er so viel Zeit wie möglich draussen in der Natur, mit seinen Kollegen beim Sport und mit Musik verbringen.
Für das Erlernen der digitalen Achtsamkeit brauchen Jugendliche klare Regeln und Begleitung. Und vor allem brauchen sie uns Eltern und Lehrpersonen als Coaches, die dies vorleben. So können sie digitale Reife entwickeln, Medien nutzen aber sich nicht von ihnen nutzen lassen. Erst dann sind sie bereit für ein eigenes Smartphone.
Und auch dann empfehle ich als Regel handyfreie Zeiten und Zonen - zum Beispiel beim Essen, am Morgen und Abend, in der Schule – sowie begrenzte Nutzungszeiten. Wichtig ist auch die Begleitung und gemeinsame Re!exion: «Was tut dir wirklich gut? Wie fühlst du dich nach zwei Stunden TikTok?» So kann man das Bewusstsein fördern und den achtsamen Umgang trainieren.
Studien legen übrigens nahe, dass schon eine 72-stündige Pause vom Smartphone zu beobachtbaren positiven Veränderungen der Gehirnaktivität führen und sogar die geistige Klarheit verbessern kann.
Was würden Sie sich für die Zukunft wünschen, wenn es um die Handynutzung an Schulen geht?
Für mich ist klar: Digitale Bildung muss Teil des Lehrplans sein. Genauso auch mentale Gesundheitskompetenzen, wie mentale Hygiene, Emotionsregulation, Lebensstil als Gehirnstärkung, Lernen, usw. Dafür setzen wir von Hirncoach uns ein und ich wünsche mir, dass solche Programme !ächendeckend in den Schulen durchgeführt werden, um die mentalen Gesundheitskompetenzen Jugendlicher schon früh zu stärken, damit wir viele psychische Beeinträchtigungen und Leid vermeiden können. Die Forschung zeigt, dass in der Prävention die grösste Kraft liegt, und dies setzen wir in der Schweiz noch viel zu wenig um!
Und: Eltern brauchen genauso Schulung wie Kinder – wir können nur begleiten, was wir auch selbst verstehen. Auch für diese Aufklärung setzen wir von Hirncoach uns ein, zum Beispiel mit dem von der Universität Bern unterstützen Crashkurs «Digitale Medien meistern und Gehirn schützen».
Weitere Informationen sowie Kurse und Workshops für Eltern und Schulen gibt es unter www.hirncoach.ch. Der Verein Smartphone-freie Kindheit bietet Unterstützung und Vernetzung für Eltern unter www.smartphonefreiekindheit.ch