«Was wäre denn, wenn niemand käme?»
16.08.2024 Kandersteg
Aktuell hat sich das Angebot an Parkflächen sogar verringert. Am kommenden Wochenende findet das Country Festival statt, weswegen die Bahnhofmatte als zentraler Parkplatz wegfällt – zumindest für einige Tage. Und weil mittlerweile die Schule wieder begonnen hat, ...
Aktuell hat sich das Angebot an Parkflächen sogar verringert. Am kommenden Wochenende findet das Country Festival statt, weswegen die Bahnhofmatte als zentraler Parkplatz wegfällt – zumindest für einige Tage. Und weil mittlerweile die Schule wieder begonnen hat, steht auch der Schulhausplatz nicht mehr durchgängig zur Verfügung.
Gemeinderatspräsident René Maeder kennt die Situation – und auch die Kritik daran. Im Interview ordnet er das Schlagwort vom Overtourism ein und erklärt, wie man das Verkehrsproblem im Dorf langfristig in den Griff bekommen will.
MARK POLLMEIER
Herr Maeder, vor allem an schönen Wochenenden bewegt sich viel Suchverkehr durch Kandersteg. Das Phänomen wird unterschiedlich bewertet. Diejenigen, die direkt vom Tourismus leben, finden die Fahrzeugkolonnen vermutlich nicht so schlimm. Andere, die davon nicht profitieren…
Halt, wenn ich diesen Satz höre, muss ich gleich einhaken!
Bitte.
Kandersteg lebt direkt oder indirekt zu fast 100 Prozent vom Tourismus…
Auch die Rentnerin oder der Ferienhausbesitzer?
Die leben vielleicht nicht vom Tourismus – aber sie profitieren davon. Wir haben hier eine Badi, eine Eishalle, eine Arztpraxis und einiges mehr. Vieles davon ist von der Gemeinde finanziert oder zumindest mitfinanziert. Was glauben die Kritiker denn, wo das Geld dafür herkommt? Ohne unsere Gäste und Besucherinnen wäre diese Infrastruktur jedenfalls nicht möglich.
Trotzdem hat der Ort an manchen Tagen ein Verkehrsproblem.
Das ist richtig, aber wir reden hier von vielleicht zehn Wochenenden im Jahr, die wirklich turbulent sind – diese Zahl ist jetzt geschätzt, nicht statistisch belegt. Aber konkret geht es doch um ein paar Tage im Sommer und noch einmal einige im Herbst.
Also ist das Gerede von Overtourism und Verkehrschaos übertrieben?
Dass wir an manchen Tagen viel Verkehr im Dorf haben, bestreitet ja niemand. Das ist auch nicht neu, das hatten wir letztes und vorletztes Jahr schon. Und wir haben darauf reagiert: Es gibt ein Konzept für den ruhenden Verkehr, das aktuell überarbeitet wird. Wenn, wie jetzt gerade, die Bahnhofmatte als Parkfläche wegfällt, versuchen wir, an anderen Stellen Parkplätze zu schaffen, aktuell zum Beispiel beim Hotel Des Alpes. An den neuralgischen Punkten im Ort stehen Ordner, die den Verkehr regeln. Sie werden grösstenteils von der Gondelbahn Kandersteg-Oeschinensee (GKO) finanziert, einen Teil der Kosten trägt die Gemeinde.
All das reicht an einem sonnigen Sommerwochenende offenbar nicht aus. Braucht es nicht eine langfristige Lösung für das Problem?
Auch daran wird gearbeitet. Die GKO plant ein Parkhaus, erste Abklärungen dazu sind schon getroffen worden. Aber so etwas lässt sich eben nicht von heute auf morgen umsetzen. Wenn das Projekt im Jahr 2026 realisiert werden könnte, wäre das super. Möglicherweise wird ein Parkhaus auch nicht ausreichen, vielleicht braucht es noch ein zweites. Aber bevor man darüber nachdenkt, müssten im Zusammenhang mit der geplanten Luftseilbahn von Kandersteg zur Elsigenalp noch einige Dinge geklärt werden (siehe auch Leserbrief unten).
Den Zugang zum Dorf zu beschränken, wie das in manchen Tourismusorten schon geschieht, ist keine Option?
Das ist für mich überhaupt kein Thema. Wie sollte das auch funktionieren? Wir haben in Kandersteg Hotels, wir haben noch weitere Bergbahnen, Einheimische gibt es auch noch – wie will man kontrollieren, wer nun ins Dorf darf und wer nicht? Und wo soll das überhaupt stattfinden?
Gut, demnach läuft es auf die Parkhauslösung hinaus. Aber was machen Sie, bis diese zusätzlichen Stellflächen vorhanden sind? Es wird ja noch mindestens zwei bis drei Jahre dauern.
Wir müssen auf die Spitzentage im Sommer und im Herbst flexibel reagieren. Für Verkehrsfragen ist grundsätzlich der Gemeinderat zuständig, konkret: das Ressort Naturgefahren, Öffentliche Sicherheit und Gemeindepolizei. Genau dieses Ressort ist aber schon jetzt voll ausgelastet, man denke nur an das Gefahrenmanagement rund um den Spitzen Stein. Für die Verkehrsproblematik schwebt mir deshalb eine Art Task Force vor, mit einem Leiter oder Präsidenten, der nicht dem Gemeinderat angehört und sich mit der Thematik auskennt. Die Idee ist noch nicht spruchreif, aber die entsprechenden Gespräche laufen.
Was soll diese Task Force, wenn sie denn einmal eingeführt wird, leisten?
Wir haben ja mittlerweile eine gewisse Erfahrung, was an schönen Wochenenden auf uns zukommt. Dann rast man freitags durchs Dorf und schaut: Welche Wiese ist schon gemäht, wo könnte man jetzt noch zusätzliche Parkplätze schaffen? Wen muss man fragen, braucht es dafür eine Bewilligung? Das alles ist zeitaufwendig und bindet Ressourcen. Wenn wir nur schon diese Aufgaben delegieren könnten, dann wäre bereits viel gewonnen.
Ich war vor unserem Gespräch im Dorf unterwegs. Entlang der Sesselbahnstrasse stand eine ganze Reihe Campingmobile, einige Camper waren gerade beim Frühstück. Stellen auch diese speziellen Fahrzeuge mittlerweile eine Belastung dar?
Also, zunächst einmal bin ich dagegen, dass man immer über die Camper oder Wohnmobilfahrer herzieht. Diese Art des Reisens ist ein Trend, der sich während der Coronazeit entwickelt hat, und damit müssen wir nun eben umgehen. Viele finden ja auch, diese Leute würden nur Platz brauchen und brächten dem Dorf nichts – aber auch da bin ich anderer Meinung. Auch Campingbus-Besitzer gehen essen, kaufen ein, nutzen unsere Bergbahnen.
Aber irgendwo müssen sie eben hin, wenn sie in Kandersteg übernachten.
Auf dem ehemaligen Kasernengelände «Bären» wurde ein Stellplatz eingerichtet, es gibt beim Schützenhaus Parkflächen für Camper, ebenso beim Nationalen Nordischen Skizentrum. Noch einmal: Manche Begleiterscheinungen des Tourismus sind vielleicht lästig, aber sie sind doch eigentlich ein Luxusproblem! Wenigstens haben wir Gäste. Was wäre denn, wenn niemand käme?
Sie raten also zu etwas mehr Gelassenheit?
Ich plädiere für einen realistischen Blick. Ja, es gibt Probleme, aber die sind doch lösbar. Ich sehe für Kandersteg eine tolle touristische Zukunft: Das Dorf ist nicht verbaut, wir sind umgeben von einer intakten Natur. Wenn wir dazu Sorge tragen und uns moderat weiterentwickeln, haben wir beste Aussichten.