Wenn Alphornklänge zu Tränen rühren
29.08.2025 KulturEr bringt Wanderstöcke und Besen zum Klingen. Seine grosse Leidenschaft aber gilt dem Alphorn. Seit 50 Jahren baut Johannes Schranz aus Achseten die hölzernen Naturinstrumente, inzwischen für KundInnen aus der ganzen Welt. Auch an den Kandersteger Alphorntagen von dieser ...
Er bringt Wanderstöcke und Besen zum Klingen. Seine grosse Leidenschaft aber gilt dem Alphorn. Seit 50 Jahren baut Johannes Schranz aus Achseten die hölzernen Naturinstrumente, inzwischen für KundInnen aus der ganzen Welt. Auch an den Kandersteger Alphorntagen von dieser Woche ist mindestens ein Instrument aus seiner Werkstatt zu hören.
RACHEL HONEGGER
«Es ist dieser heimatliche Ton des Alphorns, der meine Seele berührt. Wenn ich ein richtig schönes Alphornstück höre, dann kommen mir die Tränen.» Wenn Johannes Schranz über «sein» Instrument spricht, dann spürt man nicht nur die Begeisterung in seinen Worten, auch seine Augen beginnen zu strahlen. Schon als kleiner Junge war er von dem Instrument und den Naturtönen fasziniert und wünschte sich ein Alphorn. Doch die Familie verfügte nicht über die nötigen finanziellen Mittel, um diesen Herzenswunsch zu erfüllen.
«Früher hat man Alphörner aus den am Hang krumm gewachsenen Fichten hergestellt», erzählt Johannes Schranz über seine Anfänge. Genau so hat er es nämlich auch gemacht. Mit 28 Jahren war der Wunsch nach dem eigenen Alphorn so gross und das Geld noch immer zu knapp – also hat er eine krumme Tanne gefällt, sie halbiert, ausgehölt und sein allererstes Alphorn gebaut.
Die Suche nach dem perfekten Holz
Was sozusagen aus der Not entstand, wurde über die Jahre nicht nur zum Hobby, sondern eine Berufung. Mittlerweile hat Schranz in seiner Werkstatt in Achseten 146 Alphörner hergestellt und das Handwerk perfektioniert.
Nachdem er in jungen Jahren in Thun einem Alphornbauer über die Schultern geschaut hatte, dachte er: «Das kann ich als gelernter Schreiner auch.» Und so hat er von einem Leih-Alphorn Mass genommen, legte los und hat sich dieses komplexe Handwerk selbst beigebracht.
Nicht jedes Holz ist fürs Alphorn geeignet. Es braucht die sogenannte Haselfichte, eine veredelte Rottanne. Diese Veredelung ist nicht etwa Menschen-gemacht, sondern ensteht in der Natur. Wie und warum das geschieht, ist auch für Johannes Schranz noch ein Rätsel. Er habe sich mal an der Holzfachschule in Biel erkundigt, aber auch die hätten keine Antwort gehabt. Was man hingegen weiss: Die veredelten Rottannen kommen nur über 1000 m ü. M. vor. Und so macht sich Schranz immer wieder auf die Suche nach diesem ganz besonderen Ton-Holz, welches auch die Geigen- und Gitarrenbauer für ihre Instrumente verwenden. Am lebenden Baum könne er nicht erkennen, ob es sich um eine sogenannte Haselfichte handle. Aber wenn Bäume hier im Tal gefällt werden, dann ist er immer mal wieder vor Ort, auf der Suche nach dem perfekten Stück Holz.
Ein besonderes Muster in der Maserung unter der Rinde und die Jahresringe sowie Markstrahlen zeigen ihm, ob er fündig geworden ist. Je besser die Holzqualität, desto schöner der Klang. Nicht nur der Klang ist wichtig, auch die richtige Tonart. Diese entsteht durch die Länge des Rohres. «Pro 20 cm ein Halbton», erklärt Johann Schranz. So kann man mit der Länge die Tonlage variieren. Ein gängiges Alphorn ist auf den Grundton Fis gestimmt. Mit einem Zwischenstück wechselt dieser auf F-Dur. Dadurch kann man das Alphorn auch mit anderen Instrumenten zusammen spielen, beispielsweise in der Kirche zusammen mit der Orgel.
Vom Rohling zum Instrument
Bis es aber vom Berg oder in der Kirche erklingt, braucht es stundenlange und präzise Handarbeit. Die auserwählten Holzbretter lässt Johannes Schranz auf 11,5 cm breite Rohlinge zuschneiden; diese Dicke ist notwendig für das unterste von drei Teilstücken des Alphorns.
Ist das Holz gut getrocknet, werden bei jedem der drei Teile – unten, Mitte und oben – zwei Bretter halbrund ausgehöhlt. Dafür hat Johannes Schranz seine eigenen Spezial-Hobel hergestellt. Die beiden Hälften legt er anschliessend aufeinander und leimt sie zusammen.
Schliesslich werden die drei Teilstücke mit Metallringen zusammengesteckt. Die Mundstücke kauft Schranz bei einem anderen Alphornbauer, das sei eine Wissenschaft für sich. Ganz zum Schluss umwickelt Johannes Schranz jedes Alphorn eng mit Peddigrohr und bestückt es mit zwei selbst verzierten Holzringen.
Die beiden letzten Schritte sind Überbleibsel aus früheren Zeiten, als man die beiden Holzhälften noch ohne Leim verbinden musste. «Wenn ich am Montagmorgen mit einem Alphorn anfange, dann ist es am Freitagabend fertig, sofern die Rohlinge schon vorbereitet sind», erklärt Schranz.
Alles in allem braucht er ungefähr 60 Stunden präzisester Handwerksarbeit, um ein Alphorn anzufertigen. Natürlich sei er mit den Jahren immer besser geworden.
Von Achseten in die weite Welt hinaus
Sein eigenes Alphorn hat Johannes Schranz aus ganz besonders edlem, fast 600 Jahre altem Holz erbaut. Regelmässig probt und spielt er mit 15 anderen Bläsern in verschiedenen Formationen. Und nun lockt für einen ganz besonderen Auftritt sogar die weite Welt.
Die Tochter einer Familie aus dem Tal, welche vor Jahren nach Kanada ausgewandert ist, wird heiraten und hat ihn als Alphornspieler fürs Fest nach Vancouver Island eingeladen. «Wir können kein Wort Englisch und haben überhaupt keine Erfahrung, was Reisen betrifft», schildert Schranz die Herausfoderung, die ihn und seine Frau erwartet. Am 13. Oktober geht der Flug – das Alphorn mit im Gepäck. Es wird nicht das erste Mal sein, dass ein Alphorn aus Schranz’ Werkstatt in Kanada erklingt.
Durch seine Freundschaft mit dem Bündner Gitarristen und Alphornbläser Lorenz Schwarz, der weltweit mit seinen Instrumenten aufgetreten ist, bekam Schranz immer mehr Anfragen aus der ganzen Welt. Bevor aber ein Alphorn seine Werkstatt verlässt, entlockt ihm Johannes Schranz seinen allerersten Ton: «Das ist stets ein ganz besonderer Moment, wenn man diese ersten Töne blasen kann. Wenn man sieht, dass wieder ein Alphorn fertig ist und man es weitergeben darf.»
Auch die Kühe sind begeistert
Und ob nun in der Ferne oder hier in der Heimat wie an den Kandersteger Alphorntagen: Die urigen Naturtöne berühren nicht nur den Erbauer, sondern auch viele Zuhörerinnen und Zuhörer.
Sogar solche auf vier Beinen: «Es ist ja eigentlich ein Hirtenhorn, man hat früher damit die Kühe beruhigt.» Und genau diese Wirkung erlebt Johannes Schranz auch heute noch: «Wenn man draussen spielt und Kühe sind in der Nähe, dann heben die sofort ihre Köpfe und man spürt: sie hören das gerne und werden ruhig.»
Die Kühe sind jedoch nicht die einzigen, die bei den Melodien des Alphornbauers ihre Köpfe umdrehen, erzählt Schranz weiter und Schalk breitet sich auf seinem Gesicht aus. Kurzerhand holt er einen Wanderstock, stellt diesen auf den Kopf und spielt auf dem ausgehöhlten Stab wie auf einem Alphorn.
Kein Wunder, drehen sich dann die Touristen in den Bergen nach ihm um. Und als er dann noch auf einem Besen «Trittst im Morgenrot daher» spielt, ist klar: Johannes Schranz wird mit seinen hölzernen Klangkunstwerken noch manchen zum Staunen bringen.
Bei den Kandersteger Alphorntagen wird er allerdings nicht aufreten, sondern das Schlusskonzert als Zuschauer geniessen.