Wenn Kinder Fieber haben und die Medikamente fehlen …
03.02.2023 GesundheitEine verschnupfte Nase, Husten und Fieber sind sichere Anzeichen dafür, dass sich das Kind eine Erkältung eingefangen hat. Der enge Kontakt im Kindergarten oder in der Schule macht es Viren leicht, ihre kleinen Opfer zu finden. Wenn dann mehrere Krankheitswellen gleichzeitig ...
Eine verschnupfte Nase, Husten und Fieber sind sichere Anzeichen dafür, dass sich das Kind eine Erkältung eingefangen hat. Der enge Kontakt im Kindergarten oder in der Schule macht es Viren leicht, ihre kleinen Opfer zu finden. Wenn dann mehrere Krankheitswellen gleichzeitig grassieren und die benötigen Mittel dagegen knapp sind, kann die Situation schwierig werden.
Es ist ein spezieller Winter, der erste seit zwei Jahren ohne coronabedingte Einschränkungen. Dass Masketragen, Kontaktbeschränkungen und Distanzhalten gewirkt haben, belegen zum Beispiel die tiefen Grippezahlen der Vorjahre. Waren es im Januar 2022 knapp 900 bestätige Grippefälle pro 100 000 Personen (2021: 10 000), schiesst der Wert dieses Jahr auf über 25 000 (Stand: Ende Woche 2, jeweils auf 52 Wochen bezogen). Der bisherige Höhepunkt fiel auf die Woche vor Weihnachten.
Die verhinderten Ansteckungen während der Pandemie haben aber auch viele Abwehrsysteme «unterbeschäftigt» gelassen, insbesondere bei Kleinkindern.
Die aussergewöhnlich massive Erkältungswelle dieses Winters ist dem Zusammenfallen einer dreifachen Ansteckungsgefahr (genannt Tripledemie) geschuldet. Nebst den nach wie vor zirkulierenden Coronaviren sowie der frühen und starken Grippewelle müssen zahlreiche Kinder mit einer RSV-Virus Infektion im Spital behandelt werden (siehe rechts). Kranke Kinder sind sowohl für Eltern als auch für medizinische Fachpersonen eine spezielle Patientengruppe.
Kinder sind nicht einfach Kinder – und auch keine kleinen Erwachsenen
Medikamente für Kinder stellen alle Beteiligten vor verschiedene Herausforderungen. Bereits der Begriff «Kind» umfasst die grosse Gruppe von Neugeborenen, Säuglingen, Kleinkindern, Kindern und Jugendlichen. Ihr Organismus reagiert auf verschiedenen Altersstufen ganz unterschiedlich auf Medikamente. Die Aufnahme von Wirkstoffen kann entweder rascher oder langsamer erfolgen, sie werden je nach Fett- und Wassergehalt des Körpers unterschiedlich verteilt und schliesslich über kürzere oder längere Zeiten ausgeschieden.
Für die Eltern sollten Kindermedikamente einfach anzuwenden sein, für jedes Alter oder Gewicht genau dosiert werden können und auf alle Fälle angenehm schmecken, damit ihr Kind sie überhaupt schluckt.
Seitens der Zulassungsbehörden werden Anwendung und Dosierung für Kinder nur anerkannt, wenn klinische Studien zu Wirksamkeit und Sicherheit in der entsprechenden Altersgruppe durchgeführt wurden. Für zahlreiche Wirkstoffe fehlen diese Studien jedoch. Sie sind teuer, die ethischen Hürden hoch, und die Pharmafirmen halten sich entsprechend zurück, da es sich aus ökonomischer Sicht «nur» um einen kleinen und unattraktiven Markt handelt.
Gute und verlässliche Informationen sind teilweise nur spärlich vorhanden und viele Anwendungen basieren auf guter Erfahrung. Die nationale Datenbank «SwissPedDose» zur Dosierung von Arzneimitteln bei Kindern ist ein nützliches Hilfsmittel für Fachpersonen. Sie enthält alters- und gewichtsbezogene Anwendungsempfehlungen. Diese basieren auf der Zusammenarbeit von Spitalapothekerinnen und -apothekern, Kinderkliniken sowie Ärztinnen und Ärzten aus den betreffenden Fachgebieten. Weil bei Säuglingen und Kleinkindern eine Reihe von Faktoren zu beachten sind, gilt für viele Medikamente die Grenze von zwei Jahren, bevor diese frei verkäuflich sind.
Kinder mit Fieber gut beobachten und nicht gleich behandeln
Fieber ist das häufigste Krankheitssymptom bei Kindern. Es ist eine wichtige und sinnvolle Reaktion des Körpers für die Aktivierung des Immunsystems. Fieber ist also nicht gleich ein gefährlicher Zustand und oft auch ohne Behandlung selbstlimitierend. Eine klare Grenze, ab der eine Fiebersenkung notwendig ist, gibt es nicht, ausgenommen bei Säuglingen unter drei Monaten. Bei ihnen sollte eine rektal gemessene Temperatur von über 38°C ärztlich abgeklärt werden.
Ganz wichtig ist es, das Befinden des Kindes zu beobachten und bei Verschlimmerung zu reagieren. Bei Fieber muss das Kind regelmässig trinken und die Fieberwärme abführen können, um einen Hitzestau zu vermeiden. Schwitzen, leichte Bekleidung, frische Luft und bei Bedarf Wadenwickel senken die Körpertemperatur. Fiebersenkende Medikamente (Paracetamol oder Ibuprofen) sind dann sinnvoll, wenn sich das Kind unwohl fühlt oder am Abend nicht schlafen kann.
Warnsignale, die eine ärztliche Untersuchung nötig machen, sind:
• das Kind trinkt nicht mehr,
• sein Allgemeinzustand verschlechtert sich und es lässt sich nicht mehr berühren,
• das Fieber sinkt nach Gabe eines fiebersenkenden Mittels nach 60 bis 90 Minuten nicht,
• Fieber mit zusätzlichen schweren Symptomen,
• Fieber, das länger als drei Tage andauert,
• Fieber nach Reisen.
Welche Wirkstoffe senken das Fieber und lindern Schmerzen?
Die am häufigsten eingesetzten Medikamente sind die schon genannten Paracetamol und Ibuprofen. Vielleicht gerade, weil sie ohne Rezept erhältlich und in diversen kindergerechten Arzneiformen (Saft, Pulver zum Auflösen, Zäpfli, Schmelztabletten) verfügbar sind, werden sie aber häufig unkritisch und zu rasch verabreicht.
Paracetamol wirkt schmerzstillend und fiebersenkend und wird oft als Mittel der ersten Wahl eingesetzt. Flüssige Formen wirken etwa innert 30 Minuten bis zu einer Stunde, die fiebersenkende Wirkung setzt früher ein als die schmerzstillende. Säuglinge haben eine verzögerte Magenentleerung; bei ihnen werden daher oft Zäpfchen verwendet.
Ibuprofensirupe sind sehr verbreitet und beliebt. Sie besitzen eine schmerzlindernde, fiebersenkende und entzündungshemmende Wirkung.
Bei Kindern unter 2 Jahren ist Paracetamol im Vergleich zu Ibuprofen aufgrund des Nebenwirkungsprofils das Arzneimittel der ersten Wahl, die maximale Therapiedauer beträgt drei Tage.
Auf Grund der aktuell starken Erkältungswellen besteht für aussergewöhnlich viele Erkältungsmittel ein Lieferengpass (siehe Kasten rechts). Vom Versorgungsengpass betroffen sind teilweise auch Fiebersäfte und Hustensirupe.
BEAT INNIGER, OFFIZIN-APOTHEKER FPH, ADELBODEN
Literaturempfehlungen
Barbara Capelle, Helmut Keidel: Kinderkrankheiten; eBook Gräfe & Unzer; EAN 9783833832055
Dr. med. Keicher, Ursula: Kinderkrankheiten – Kompaktes Basiswissen zum Thema Kinderkrankheiten vom Babyalter bis zur Pubertät;
2016; ISBN-13: 978-3-8338-4456-0
Das RSV-Virus: Hauptauslöser für akute Bronchitis bei Kleinkindern
Das RSV-Virus (Respiratorisches-Synzytial-Virus) verursacht regelmässig Epidemien in der kalten Jahreszeit und ist seit dem Herbst 2022 sehr aktiv unterwegs.
Sein komplizierter Name kommt daher, weil es in den Atemwegen (Respiratorisches System) nicht nur sein genetisches Material in die Wirtszellen einschleust, sondern zusätzlich spezielle Eiweisse der Virusmembran. Diese führen zum Verschmelzen benachbarter Zellen des Lungengewebes und zur Bildung von Riesenzellen (sogenannten Synzytien). Abgestorbene Zellen, einwandernde Abwehrzellen und Schleim verstopfen in der Folge die Atemwege und dort insbesondere den letzten vor den Lungenbläschen Teil (Bronchiolen).
Die Symptome einer RSV-Infektion sind Schnupfen, starker Husten, Fieber und häufig eine Bindehautentzündung. Etwa 25–40 Prozent der Kinder entwickeln eine starke Entzündung in den tiefen Atemwegen (Bronchiolitis). Schwere Verläufe, die sich innert Stunden verschlimmern können, zeigen sich mit beschleunigter Atmung, Keuchen, Rasselgeräuschen, bis hin zu Blauverfärbung von Haut und Schleimhäuten mit Erstickungsgefühl. Bei ein bis zwei Prozent der betroffenen Kinder kann eine Spitaleinweisung infolge Atemnot sowie ungenügender Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme nötig werden.
Die «Corona-Lücke»
Der Erstinfekt hinterlässt eine schwache Immunität und erst eine Zweitinfektion verstärkt die Immunantwort. Spätere Reinfektionen bei älteren Kindern und Erwachsenen zeigen sich meist als normale Erkältung mit milden Verläufen.
Die gut gemeinten Corona-Massnahmen der Vorjahre mit Schutz und Distanzierung der Kinder spielen dieses Jahr eine wichtige Rolle. Sie hinterliessen nämlich eine «Infektionslücke», denn normalerweise haben innerhalb des ersten Lebensjahres 50–70 Prozent und bis zum Ende des zweiten Lebensjahres nahezu alle Kinder mindestens eine RSV-Infektion durchgemacht. Die aktuelle schwere RSV-Welle hat eine grosse Zahl von Kleinkindern mit einem «untrainierten» Immunsystem zum ersten Mal voll erwischt und viele Notfallstationen an den Rand der Belastungsgrenze gebracht.
BI
Warum sind dieses Jahr so viele Medikamente knapp?
Dem Chefapotheker der Spitäler FMI AG, Dr. pharm. Enea Martinelli, liegt die Versorgung der Patienten am Herzen. Das Thema Lieferengpässe bei Medikamenten ist in den letzten 20 Jahren quasi zu seinem Steckenpferd geworden. Mit der Corona-Pandemie und den aktuell grassierenden Grippeund Erkältungswellen ist das Thema in der breiten Öffentlichkeit angelangt und Eltern kranker Kinder erleben eins zu eins, was es heisst, wenn plötzlich bisher frei und problemlos erhältliche Schmerz- und Fiebermittel, Hustensäfte oder Nasentropfen fehlen.
Wo ortet der Experte für Medikamentenversorgung die Gründe für die aktuellen Lücken?
Hauptgrund ist ein zur Zeit etwa vierfach höherer Bedarf an gewissen Medikamenten aufgrund der zeitgleich zirkulierenden Corona-, Grippe und RSV-Viren. Offenbar haben viele Hersteller die Produktionsplanung unterschätzt.
Weshalb fehlen auf einmal Schmerzmittel wie Ibuprofen und Paracetamol?
Wegen der Reduktion von weltweiten Produktionsstätten und unterbrochener Lieferketten ist der Nachschub schwierig. Die Anzahl der Hersteller ist stark gesunken. Wenn dann kurz vor der Wintersaison noch ein grosser Paracetamol-Hersteller ganz aussteigt, kommt der ganze Markt unter Druck. Für die Produktion flüssiger Paracetamol-Zubereitungen sind nur noch zwei Unternehmen am Markt, vor 12 Jahren gab es noch elf Anbieter.
Wie stark ist der Markt auf Hersteller in Asien angewiesen?
Die Abhängigkeit von Herstellern in China und Indien ist nicht zu unterschätzen. Aktuell hat China die Grenzen für den Export von Ibuprofen und Paracetamol geschlossen. Diese Lücke wird nicht sofort, aber dafür noch länger spürbar sein.
Wie viel des Problems ist selbstverschuldet?
Der jahrelange Preisdruck wirkt schliesslich auch auf altbewährte Wirkstoffe. Pharmafirmen verzichten darauf, unrentable Medikamente zu produzieren. Sie stecken ihr Geld in Therapiebereiche, die am meisten rentieren. Randgebiete, wie spezielle Arzneiformen für Kinder oder auch für ältere Menschen fallen dabei durch die Maschen.
BI