Wer findet den Weg ins Bundeshaus?
22.09.2023 PolitikDie Grünen und die Sozialdemokraten sind geübte Listenpartner, machen sich aber gegenseitig die Wähleranteile streitig. Heuer könnte die thematisch breit aufgestellte SP der Öko-Partei einige Stimmen wegschnappen. Die Grünen halten dagegen – zum ...
Die Grünen und die Sozialdemokraten sind geübte Listenpartner, machen sich aber gegenseitig die Wähleranteile streitig. Heuer könnte die thematisch breit aufgestellte SP der Öko-Partei einige Stimmen wegschnappen. Die Grünen halten dagegen – zum Beispiel mit Klimazielen, die weiter reichen als jene der Konkurrenz.
JULIAN ZAHND
Auf der Suche nach Gegenliebe
SP Das aufdringliche Rot, in das die KandidatInnenporträts der Sozialdemokraten auf ihrer Website eingebetten sind, spricht eine klare Sprache: Die Partei ist bereit zum Kampf, sie bekennt Farbe, und ja: sie ist wütend. Bei den Nationalratswahlen tritt die SP mit einer breiten politischen Agenda auf, durch die sich aber ein klarer roter Faden zieht. Die Sozialdemokraten sehen sich als Anwälte der Unter- und Mittelschicht, der Minderheiten, der Schwächsten. Ihre Kritik zielt stets nach oben, in Richtung Grosskonzerne und Grossverdiener, die es laut Partei in der Hand hätten, für mehr Gerechtigkeit zu sorgen, jedoch unverantwortlich handeln würden.
Die Sozialdemokraten vertreten somit die Interessen eines Grossteils der Bevölkerung – eigentlich. Doch paradoxerweise macht sich das bei den Wahlresultaten längst nicht mehr bemerkbar: Verzeichnete die SP Schweiz um die Jahrtausendwende noch stolze Wähleranteile von weit über 20 Prozent, sank ihr Einfluss seitdem kontinuierlich. Bei den letzten nationalen Wahlen unterstützten noch gerade 16,8 Prozent die Partei, die damals vor allem Stimmen an ihre grüne Listenpartnerin verlor. Die Prognosen zur bevorstehenden Wahl zeichnen nun das umgekehrte Bild: Während die Grünen mit empfindlichen Einbussen rechnen müssen, könnte es bei den Sozialdemokraten wieder leicht aufwärtsgehen.
Dennoch, das Paradox bleibt: Die Parteiforderungen müssten eigentlich viel mehr Menschen ansprechen. Doch offensichtlich hatte die SP in der Vergangenheit Schwierigkeiten, ihre Botschaften glaubwürdig zu verkaufen. Dass sich die Partei am linken Rand die Stimmen mit den Grünen teilen muss, ist nur ein Teil der Erklärung. Die SP bewegte sich im Laufe der Jahre von einer ursprünglichen Arbeiterpartei hin zu einer weltoffenen Gesinnungsgruppe der Gebildeten, die eher die Chancen der Moderne sah als die Zukunftsängste mancher BürgerInnen.
Im aktuellen Wahlkampf präsentiert sich die SP jedoch volksnah. Mit eingängigen Slogans greift sie viele der grossen Sorgen der Schweiz auf, spart aber auch wichtige Aspekte aus.
Gesundheitskosten – 2 Punkte
Die Prämien sind in den letzten 25 Jahren ums zweieinhalbfache gestiegen, während die Reallöhne bloss knapp 15 Prozent höher liegen als 1997. Um die steigenden Gesundheitskosten und den «Prämienwahnsinn» zu stoppen, hat die Partei eine Initiative zur Enlastung der Haushalte eingereicht. Diese hat zum Ziel, die Prämienlast bei 10 Prozent des Einkommens zu deckeln, was vor allem dem Mittelstand und den Geringverdienenden zugute käme. Das Begehren stiess in der Bevölkerung auf Resonanz: Innerhalb von 10 Monaten waren die nötigen 100000 Unterschriften gesammelt, bald wird über die Vorlage abgestimmt.
Das Problem direkt lösen würde die Prämienentlastungs-Initiative allerdings nicht. Stattdessen will man den Ball zurück an die Politik spielen, damit diese «griffige Gesetze» zur Kosteneindämmung erlässt. Konkrete Ideen nennt die Partei an dieser Stelle nicht, doch liegen solche längst auf dem Tisch: So schrieb das Bundesamt für Gesundheit (BAG) im letzten Jahr, dass Einsparungen beispielsweise durch eine Begrenzung des Überangebots und der Übernachfrage medizinischer Leistungen, durch angepasste Tarife im ambulanten Bereich sowie durch eine verbesserte Spitalplanung und mehr Transparenz bei der obligatorischen Krankenversicherung erreicht werden könnten. Insgesamt geht das BAG davon aus, dass sich die Gesundheitsausgaben um bis zu 20 Prozent senken liessen, ohne dass es dabei zu Einbussen bei der Versorgungsqualität käme.
Klimawandel und Energieversorgung – 2 Punkte
Die SP fasst diese beiden Themen zusammen und widmet ihnen viel Aufmerksamkeit. Um die Erderwärmung zu bremsen, will die Partei die erneuerbaren Energien im Inland konsequent fördern und sich von herkömmlichen Energieträgern wie Öl, Gas oder Uran verabschieden. Dieser Kurs sei nicht nur am klimavertäglichsten, sagt die Partei, sondern sorge langfristig auch für die grösstmögliche Versorgungssicherheit, da man sich von der Auslandabhängigkeit löse. Zwar fordern die Sozialdemokraten die flächendeckende Montage von Solarpanels. Jedoch äussert sich die Partei an dieser Stelle nicht dazu, ob sie dafür lediglich Gebäudedächer oder auch die Natur als geeignet betrachtet. Die jüngste Abstimmung im Wallis unterstreicht, dass die Sozialdemokraten in dieser Frage gespalten sind. Während die SP Oberwallis die beschleunigten Verfahren für Grossprojekte befürwortetete, lehnte die SP Unterwallis sie ab.
Um die Energiestrategie voranzutreiben, sammeln die Sozialdemokraten zusammen mit den Grünen zurzeit Unterschriften für einen Klimafonds. Die Initiative verlangt, dass öffentlich bereitgestellte Gelder gezielt für erneuerbare Energien, Gebäudesanierungen, für den öffentlichen Verkehr oder den Erhalt der Biodiversität eingesetzt werden.
Letztlich, und da nimmt die SP den roten Faden wieder auf, sollen auch Grossinvestoren in die Pflicht genommen werden: «Wir wollen, dass der Fortschritt, den wir im Inland erreichen, nicht durch das klimaschädliche Verhalten des Finanzplatzes zunichte gemacht wird», schreibt die Partei.
Zuwanderung – 1 Punkt
Die SP fordert, dass die Schweiz ihre Verantwortung als reiches Land übernimmt, sich gegenüber Hilfsbedürftigen grosszügig zeigt und als «Anwältin des Völkerrechts» auftritt. Man wolle bei diesem Thema nicht wegschauen, so die SP. Ihr Blick richtet sich jedoch nicht ins Inland, wo beispielsweise der Kanton Bern kürzlich dringenden Platzbedarf für Asylsuchende angemeldet hat. Die SP konzentriert sich stattdessen auf jene Gegenden, aus denen Menschen abwandern oder fliehen. Anstelle der Flüchtenden wollen die Sozialdemokraten die Fluchtgründe bekämpfen und deshab mehr Geld in die Entwicklungszusammenarbeit investieren.
Altersvorsorge – 0 Punkte
Zwar ist die SP traditionsgemäss immer zur Stelle, wenn es bei Abstimmungen um den Rentenabbau geht. Die Partei betont dabei stets ihren Fokus auf die AHV, die es zu stärken gelte, damit die Altersvorsorge insbesondere der unteren Einkommensschichten gesichert sei. Im aktuellen Wahlkampf wird das Thema zwar im Zusammenhang mit dem allgemeinen Kaufkraftverlust der Bevölkerungsmehrheit erwähnt. Einen separaten Schwerpunkt erhält es jedoch nicht.
Wachsende Konkurrenz im Klimakampf
GRÜNE Die nationalen Wahlen 2019 galten als «Klimawahl». Die Grünen erzielten historische Gewinne, steigerten ihren Wähleranteil auf 13,2 Prozent – beinahe eine Verdoppelung gegenüber 2015. Nun sind die Herausforderungen in der Klimapolitik während der letzten vier Jahre
nicht kleiner geworden, im Gegenteil. Die Erderwärmung schreitet offenkundig voran, die Folgen dieser Entwicklung zeigen sich immer deutlicher. Es spricht somit vorderhand nichts dagegen, dass die Grünen den bevorstehenden Urnengang wiederum als «Klimawahl» bezeichnen. Die Prognosen dürften für die Partei daher besonders bitter klingen: Die seit 2019 viertstärkste Kraft im Parlament droht nämlich einen bedeutenden Teil der jüngsten Gewinne wieder einzubüssen.
Zum Einen, und das dürfte für die Grünen die am wenigsten beunruhigende Erklärung sein, dürften einige ihrer Stimmen an die Sozialdemokraten gehen. Denn die beiden Listenpartnerinnen weisen ein fast identisches politisches Profil auf. Doch Konkurrenz erhalten grüne Anliegen inzwischen von fast allen Parteien. Die Klimaproblematik ist so dringlich, dass sie auf vielen Agenden auftauchen. Selbst der Freisinn bewirtschaftet das Thema mittlerweile aktiv, obwohl Umweltthemen für die FDP in der Vergangenheit meist eine untergeordnete Rolle spielten.
Doch ringen die Grünen nicht bloss mit den Kontrahenten um die Themenhoheit, die Partei ringt auch mit sich selbst. So treibt sie einerseits die Solar-Offensive voran, bremst aber beschleunigte Verfahren und Grossprojekte im unbebautem Gebiet wegen Naturschutz-Bedenken. Auch die teils illegalen Klimaproteste von «Renovate Switzerland» bringen die Partei immer wieder in Erklärungsnot. Als Teil des politischen Systems distanzieren sich die Grünen zwar von den Protestaktionen, sie zu verurteilen aber können sie sich kaum leisten. Viele BürgerInnen würden sich aber wohl genau das wünschen, stellen die «Klimakleber» laut SRG-Wahlbarometer doch eines der grössten Ärgernisse der Bevölkerung dar. In Deutschland beispielsweise ist das anders: Dort beschrieben grüne SpitzenpolitikerInnen die Aktionen der KlimaaktivistInnen als «elitär und selbstgerecht».
Trotz dieser Entwicklungen weichen die Grünen nicht von ihren Ambitionen ab. Bei der bevorstehenden «Klima-Wahl» von 2023 möchten sie die FDP als drittstärkste Partei ablösen.
Klimawandel – 3 Punkte
Seit rund 40 Jahren setzen sich die Grünen Schweiz für die Umwelt ein. Man kann das eintönig finden oder auch konsequent. Das Wahlvolk findet mal das eine, mal das andere: Der Wähleranteil bewegt sich daher wellenartig, 2019 knackte die Partei aber erstmals die 10-Prozent-Marke.
Der Klimawandel steht wenig überraschend auch in diesem Jahr zuoberst auf der grünen Agenda. Um sich gegenüber der Konkurrenz abzuheben, hat die Partei die Ziele nochmals nach oben geschraubt: In ihrem «Klimaplan» fordern die Grünen grundlegende Veränderungen, um der Klimakrise zu begegnen. Bis 2030 soll die Schweiz klimaneutral werden, erreichen will man das durch eine Halbierung der CO2-Emissionen im In- sowie im Ausland. Doch die CO2-Neutralität genügt der Partei nicht, stattdessen strebt sie bis 2040 eine «klimapositive Schweiz» an. Spätestens ab dann soll das Land dafür sorgen, dass mehr Emissionen aus der Atmosphäre entnommen werden, als ausgestossen werden.
Um die Weichen dafür zu stellen, wollen die Grünen sowohl das Stromversorgungs- als auch das Energiegesetz revidieren. Zudem fordern sie, dass nach der Inkrafttretung des neuen CO2-Gesetzes zeitnah eine weitere Revision in Angriff genommen wird. Um die ambitionierten Ziele zu erreichen, zeigt sich die Partei technologieoffen, möchte aber auch einen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel anstossen.
Energieversorgung – 2 Punkte
Die Partei glaubt an eine sichere und zugleich ökologische Energiezukunft. Ab 2050 soll die Schweiz ihren Strom ausschliesslich aus erneuerbaren Quellen gewinnen. Durch Effizienzsteigerungen sei es möglich, den Verbrauch zu reduzieren, ohne dadurch auf Komfort verzichten zu müssen.
Mit ihrer Solar-Initiative, die sich noch im Sammelstadium befindet, wollen die Grünen erreichen, dass mehr Panels auf und an geeigneten Gebäuden installiert werden. Im genauen Wortlaut fordert die Initiative, dass «geeignete Flächen von Bauten und Anlagen für die erneuerbare Energieproduktion zu nutzen sind». Ausgenommen seien Fälle, in denen die Installation von erneuerbaren Energieproduktionsanlagen mit überwiegenden Schutzinteressen unvereinbar oder aus anderen Gründen unverhältnismässig sei. Von einer solch weitreichenden Solarpflicht hat sich das Parlament jüngst distanziert, sie soll nur für Flächen von über 300 m2 gelten.
So vehement die Partei die Solaroffensive im bebauten Gebiet fordert, so zurückhaltend ist sie beispielsweise bei alpinen Grossprojekten, weil diese mit dem Natur- und Landschaftsschutz kollidieren können. Das Walliser Gesetz, das den Weg für solche Grossanlagen im Berggebiet ebnen wollte, brachte unter anderem der grüne Widerstand zu Fall.
Gesundheitskosten, Altersvorsorge und Zuwanderung – 0 Punkte
Die Themen tauchen im Parteiprogramm allesamt auf, doch rücken sie im Vergleich zur Klima- und Energiepolitik in den Hintergrund. Die Grünen fordern beispielsweise, dass die Krankenkassenbeiträge ans Einkommen und Vermögen geknüpft werden, was zu mehr Gerechtigkeit führe. Zudem sehen die Grünen die Privatisierung und den Wettbewerbsdruck im Gesundheitsbereich kritisch.
Ähnlich wie die Sozialdemokraten wollen sie lieber höhere Renten als ein höheres Rentenalter. Beim Thema Migration fordern die Grünen «Brücken statt Mauern». Und sie möchten erreichen, «dass niemand mehr gezwungen ist, sein Land zu verlassen».
So gingen wir bei der Analyse vor
Gemäss aktuellen Sorgenbarometern beschäftigen zurzeit folgende fünft Themen die Bevölkerung am meisten:
• Gesundheitskosten
• Klimawandel
• Zuwanderung
• Energieversorgung
• Altersvorsorge
Wir beurteilen den Auftritt der einzelnen Parteien anhand dieser fünf Themen. Welche Rolle spielen sie im aktuellen Wahlkampf, wie wird argumentiert? Um eine Einordnung vorzunehmen, verliehen wir insgesamt fünf (Schwer-)Punkte. Sie bewerten nicht die Qualität der Argumente, sondern geben eine Überblick über das Themenportfolio einer Partei. Konzentrieren sich die Punkte auf einzelne Themenbereiche, heisst dies, dass eine Partei einen klaren Themenschwerpunkt setzt. Eine ausgeglichenere Verteilung der Punkte auf mehrere Themen weist darauf hin, dass die Partei inhaltlich breiter aufgestellt ist. Der «Frutigländer» widmet jeder der vier Listenverbindungen einen Beitrag. Darin enthalten sind Kurzporträts der Kandidierenden aus dem Frutigland, die sich anhand von zwei Fragen vorstellen.