Wer zahlt, wenn das Wasser kommt?
09.02.2024 FrutigenDie Gemeinde erlitt in den vergangenen Jahren keine grösseren Hochwasserschäden. Der Grund dafür ist Glück, denn die wichtigsten Schutzmassnahmen fehlen nach wie vor. Deshalb stellt sich auch die Frage: Könnte die Politik für künftige Schäden ...
Die Gemeinde erlitt in den vergangenen Jahren keine grösseren Hochwasserschäden. Der Grund dafür ist Glück, denn die wichtigsten Schutzmassnahmen fehlen nach wie vor. Deshalb stellt sich auch die Frage: Könnte die Politik für künftige Schäden haftbar gemacht werden?
JULIAN ZAHND
2000, 2005, 2011, 2014: Das Gebiet Kanderbrück wurde in den letzten 20 Jahren bereits mehrfach durch Hochwasser in Mitleidenschaft gezogen. Seit einigen Jahren ist es in diesem Dorfteil verhältnismässig ruhig. Gleichzeitig weiss man: Das Risiko von Unwettern ist angesichts des Klimawandels nicht kleiner geworden.
Das nächste Hochwasser ist damit eine Frage der Zeit und auch, dass die Kander wieder über die Ufer treten wird. Zumindest, solange sich an der jetzigen Situation nichts ändert. Gemäss Gefahrenkarte liegen auf dem Frutiger Gemeindegebiet zahlreiche Gebäude im mittleren Gefährdungsgebiet, die meisten davon im Hasli und in Kanderbrück.
Die Ungeduld wächst
Bereits nach dem Hochwasser 2011 machte sich der Unmut der Kanderbrücker Bevölkerung an einer Informationsveranstaltung bemerkbar. Wie oft die Gegend noch überschwemmt werden müsse, bis etwas geschehe, fragte ein verzweifelter Anwohner. 13 Jahre später hat die Frage nicht an Aktualität eingebüsst: Zwar geschah in dieser Zeit im Hintergrund einiges, aber kaum etwas Handfestes, sprich: Abgesehen von kleineren Eingriffen sucht man in Kanderbrück nach wie vor vergeblich nach Hochwasserschutzmassnahmen. merhin: Die Gemeinde verfügt über ein mehrfach überarbeitetes Projekt, das der Kanton grundsätzlich positiv bewertet. Noch hängig ist ein Gutachten des Bundesamtes für Kultur (der «Frutigländer» berichtete).
Ganz egal, wie das Urteil des BAK ausfallen wird: Bis zum realisierten Projekt werden noch Jahre ins Land ziehen. Zuerst kommt die öffentliche Auflage mit möglichen Einsprachen. Danach muss der Kredit – wie auch jener des Projekts Engstlige – von der Bevölkerung genehmigt werden. Baustart: Herbst 2026 – frühestens.
Dennoch: Dass sich nun noch das BAK eingeschaltet hat, strapaziert auch die Geduld von Hans Schmid. Sollte das Bundesamt für Kultur das Projekt erneut verzögern, hat der Obmann daher angekündigt, sich mit einem Schreiben an Bund und Kanton zu wenden. Die Gemeinde übernehme keine Verantwortung für künftige Schäden. Doch was heisst in diesem Zusammenhang «Verantwortung»? Wäre es denkbar, dass jene Fachstellen, die für die Verzögerungen verantwortlich sind, gar haftbar gemacht werden könnten?
Im Extremfall könnte die Gemeinde zur Rechenschaft gezogen werden
Die Gebäudeversicherung Bern antwortet auf eine entsprechende Anfrage wie folgt: Im Kanton Bern seien alle Gebäude gegen Feuer- und Elementarschäden (z.B. verursacht durch Hochwasser) versichert. Natürlich sei es im Interesse der GVB, dass die Schutzmassnahmen umgesetzt würden. «Sollten sich Schäden häufen, würden wir selbstverständlich das Gespräch suchen, um konstruktiv zu Lösungen zu gelangen.» Im Extremfall wäre es sogar möglich, dass die GVB Regress nimmt und versucht, einen Teil der Kosten abzuwälzen. Haftbar gemacht werden könnte in diesem Fall aber nur die Gemeinde, nicht der Kanton oder der Bund.
Allerdings ist die GVB diesen Schritt bislang noch nie gegangen und auch in Frutigen müsste noch einiges passieren, bis es zum Regress käme: «Es müssten repetitiv grosse Schäden entstanden sein, die durch geeignete und verhältnismässige Massnahmen hätten verhindert werden können, die die Gemeinde mehrfach nicht ausgelöst hat», so die GVB.
Auch Hans Schmid erachtet es als unwahrscheinlich, dass die Gemeinde bei einem künftigen Hochwasser zur Rechenschaft gezogen würde. Zwar liegt es nicht nur an den kantonalen und eidgenössischen Fachstellen, dass die Projektierung so lange dauert: Auch die unterschiedlichen Partikularinteressen in der Frutiger Bevölkerung verkomplizierten den Prozess in der Vergangenheit. Im Jahr 2018 verweigerte die Gemeindeversammlung gar einen zusätzlichen Planungskredit, was das Projekt um einige Jahre zurückwarf. Doch eine hinreichende Bedingung für einen Regress dürfte das kaum sein.
Ein Brief, der sensibilisieren soll
Am Ende wäre es somit wohl wie üblich die Gebäudeversicherung, welche die Schäden decken würde. Dennoch möchte Hans Schmid an die höheren politischen Behörden gelangen, sollte das BAK neue Auflagen machen. Der Hauptzweck eines solchen Briefs sei ohnehin nicht die Klärung der Haftungsfrage. Vielmehr wolle man die Entscheidungsträger auf die Konsequenzen ihres Handelns aufmerksam machen. «Die jetzige Situation setzt Menschen und Gebäude einem erhöhten Risiko aus», mahnt Schmid. Das müsse so rasch wie möglich geändert werden.