Wie eine Pflanze im Asphalt
17.05.2024 GesellschaftFESTTAGSARTIKEL Vor dem langen Wochenende wünschen wir uns gegenseitig oft «Frohe Pfingsten». Doch was beinhaltet dieser Wunsch eigentlich genau?
Mögen Sie Pfingsten? Ich schon. Ein schönes Fest! Man muss vorher keine Geschenke kaufen wie z.B. ...
FESTTAGSARTIKEL Vor dem langen Wochenende wünschen wir uns gegenseitig oft «Frohe Pfingsten». Doch was beinhaltet dieser Wunsch eigentlich genau?
Mögen Sie Pfingsten? Ich schon. Ein schönes Fest! Man muss vorher keine Geschenke kaufen wie z.B. zu Weihnachten und folglich gibt es auch keine Umtauschaktion in den Tagen danach. Von Pfingsten erwarten viele nicht viel und darum werden sie auch nicht enttäuscht. Etwas stutzig werde ich dennoch, wenn mir jemand beim Verabschieden «Frohe Pfingsten» zuruft. Am liebsten würde ich zurückfragen: Was wünschst du da eigentlich?
Die beiden freien Tage kommen gelegen, die nehmen alle gern mit. Ein Geschenk! Das ist schon ganz sachgemäss und passt zu Pfingsten. Denn an diesem Fest geht es um etwas, was uns allen geschenkt wird. Die Osterzeit findet ihren festlichen Abschluss. «Pfingsten» bedeutet «fünfzig». Fünfzig Tage nach Ostern hat Gott seinen Heiligen Geist gesendet, so berichtet es die Bibel. Wenn Jesus schon weg ist, dann sollen seine Weggefährtinnen und Freunde doch wissen: Wir sind nicht allein. Geradezu pfingstlich hat Udo Lindenberg im Lied «Hinter‘m Horizont geht‘s weiter» getextet:
«Du und ich, das war einfach unschlagbar, ein Paar wie Blitz und Donner. Zwei wie wir, die können sich nie verlier‘n.»
Die römisch-katholische Kirche spricht von den «Sieben Gaben des Heiligen Geistes». So drückt sie aus, dass Gottes Geist etwas bewirken kann, Verstand, Einsicht, Rat und Erkenntnis. Ach, wie schön wäre es, wenn ich solche Gaben des Geistes erfahren könnte. Wenn ich also jedes Jahr zum Pfingstfest an Verstand, Einsicht, Rat und Erkenntnis wüchse.
Aber nun ganz im Ernst: «Frohe Pfingsten» – was wünschen wir uns da eigentlich? Wir wünschen, dass ein Geist der Hoffnung unser Leben erfüllt und dass wir uns von nichts und niemandem entmutigen lassen.
Pfingsten kann ich Ihnen am besten mit einem Bild beschreiben. Manches ist einfach nicht kleinzukriegen. Manches ist, wie andere es nennen, nicht auszurotten. Zum Bespiel die Pflanzen, die sogar durch Asphalt oder Beton wachsen. Zum Beispiel die Liebe, die an den unwahrscheinlichsten Stellen erblüht. Zum Beispiel der Geist, der nicht von dieser Welt und darum der Heilige Geist ist. Manches ist einfach nicht kleinzukriegen, allen Gärtnern dieser Welt zum Trotz. Ich sehe ihn direkt vor mir, den Ordnungsfanatiker, der aus seinem kleinen Küchenfenster schaut und das Pflänzchen sieht, das sich durch den Asphalt seiner Garagenausfahrt bohrt. Ich sehe es direkt vor mir, wie er mit einem Spachtel oder einem anderen spitzen Gerät aus dem Haus läuft, um den Pflanzen den Garaus zu machen. Ich sehe seine kurze Befriedigung und sehe darin zugleich seine tiefe Ohnmacht. Denn auf Dauer hat er die Pflanzen nicht besiegt. Sie kommen wieder.
Den Ordnungsmachern der Welt ist nicht beizukommen. Doch ebenso wenig dem Heiligen Geist und der Liebe. Eine natürliche und gepflegte Gegnerschaft hat sich hier aufgebaut in den Jahrhunderten. Die einen machen Ordnung, die anderen bringen sie durcheinander. Dann kommt wieder jemand und macht Ordnung, um dann zu erkennen, dass Ordnung nur ein kurzfristiger Erfolg ist. Der Beton bröckelt wieder, die Liebe erblüht neu und anders. Der Asphalt wird glatt gewalzt, der Heilige Geist bohrt sich hindurch. Irgendetwas und irgendjemand ist immer da, der uns daran erinnert, dass die Welt nicht alles ist. Dass in ihr der Keim einer anderen Welt liegt und manchmal wächst, sogar durch Beton. Oder, wie es der Philosoph Ernst Bloch (1885–1977) sinngemäss geschrieben hat: «In dieser Welt wird eine andere Welt ebenso verhindert wie gefördert.»
Der Gruss «Frohe Pfingsten» ist Ausdruck der Hoffnung, dass unter uns etwas erblüht – zur Not auch durch Asphalt und Beton –, was über die Welt hinaus weist: Liebe, Geist, Mitgefühl. Manches ist nicht kleinzukriegen. Zum Beispiel die Liebe, die an den überraschendsten Stellen erblüht. Zum Beispiel der Geist, der von der Welt Gottes in dieser Welt erzählt. Da können die Ordnungsmacher der Welt noch so viel anstellen: Die Liebe und den Geist töten sie nicht, so sehr sie sich auch bemühen.
Ich möchte nicht falsch verstanden werden: Ordnung ist häufig etwas Gutes. Sie hilft, dass wir uns zurechtfinden in der Welt oder im eigenen Zimmer. Wenn aber jemand nur noch mit Gift und Galle dem Kraut hinterherläuft, um es auszumerzen, dann wird aus der guten Ordnung bald eine tödliche Ordnung. Wenn jemand jede Form von angeblich unordentlicher Liebe oder fantasievollem Geist verspottet und nur noch verurteilt, was nicht in sein Weltbild passt, dann wird aus guter Ordnung eine vernichtende Ordnung.
«Frohe Pfingsten» heisst: Liebe und Geist passen oft nicht in die Viereckigkeit der Welt. Liebe und Geist müssen immer auch sprengen, was sie hindert. Das gehört zu ihrem Wesen. Liebe und Geist müssen auch unordentlich sein, bevor sie in ruhigere Bahnen gelangen. Liebe und Geist passen oft nicht zur Welt, weil sie die andere Welt Gottes spiegeln.
Liebe, Fantasie und Mitgefühl sind Früchte des Geistes, der von Gott ist. Lassen Sie uns nicht nur die gepflegten Oberflächen sehen, sondern auch das Kraut beachten, das durch Asphalt wächst. Frohe Pfingsten!
RAINER HUBER, PFARRER DER REFORMIERTEN KIRCHGEMEINDE FRUTIGEN