Wie Kandergrund sich vor 175 Jahren von Frutigen ablöste
03.10.2025 Kandergrund, Blausee, MitholzDer Ort hat sich emanzipiert, würde man heute wohl sagen. Vor 175 Jahren erkämpfte sich Kandergrund eine eigene Kirche und wenig später auch das Recht, als selbständige Einwohnergemeinde Entscheide zu fällen. Damit waren die Veränderungen aber nicht zu ...
Der Ort hat sich emanzipiert, würde man heute wohl sagen. Vor 175 Jahren erkämpfte sich Kandergrund eine eigene Kirche und wenig später auch das Recht, als selbständige Einwohnergemeinde Entscheide zu fällen. Damit waren die Veränderungen aber nicht zu Ende.
HANS RUDOLF SCHNEIDER Seit dem Mittelalter gab es in der oberen Herrschaft Frutigen nur eine Pfarrkirche, nämlich jene im Hauptort Frutigen. Als erstes schuf sich das abgelegene Adelboden 1433 einen eigenen Versammlungsort, dann dauerte es bis 1840, bis das obere Kandertal als Helfereibezirk (Kirchgemeinde) selbständig wurde und schliesslich ab 1848 eine Kirche in Kandergrund bauen durfte (siehe «Frutigländer» vom 19. August 2025). Mit dem neu gewonnenen Selbstvertrauen wurde nicht nur eine geistliche, sondern auch eine politische Eigenständigkeit angestrebt. Die Einwohnergemeinde Frutigen umfasste damals das ganze Gebiet bis an die Kantonsgrenze zum Wallis.
Die Petition von 1849
In den Archiven des Kantons Bern ist eine Petition des Helfereibezirks Kandergrund vom Februar 1849 zu finden, welche eine Abtrennung von Frutigen zum Inhalt hat. Mit der anstehenden Fertigstellung der Kirche möchte man einen «seit längerem gefassten Gemeinsbeschluss ins Gedächtnis rufen», dem bisher keine Folge gegeben worden sei. «Obschon kirchlich getrennt stand nemlich Kandergrund bis dahin noch mit Frutigen im nemlichen Gemeindeverband, und alle Gemeindeangelegenheiten wurden von einem gemeinsamen Einwohnergemeindrath besorgt. In Schulsachen wurde ein eigener Haushalt d. h. eine Schulcommission verwilligt.»
Diese Kommission umfasste die Schulkreise Kandersteg mit Gastern sowie Mitholz und Kandergrund. Auch erhielt man im Jahr 1845 das Recht einer eigenen Urversammlung». Das bedeutet zwar weitgehende politische Unabhängigkeit der Kandergrunder, aber noch keine Eigenständigkeit als Gemeinde. Am 6. April 1846 hatte diese Versammlung beschlossen, «bei der Hohen Regierung auf Entlassung aus dem Communalverband mit Frutigen anzutragen.» Man bittet darum, dass Kandergrund zu einer eigenen Einwohnergemeinde erhoben werde, und einen «Gemeindrath» wählen dürfe. Ein Armenverein sei bereits gegründet und ein eigenes Sittengericht wäre eine grosse Entlastung. Unterzeichnet ist das Schreiben vom Präsidenten der «Gmeindsversammlung» Abr. Grossen, Friedensrichter, und vom Sekretär Johannes Stoller, zudem vom Statthalter Klopfenstein.
Breite Unterstützung für die Trennung
Der Statthalter empfiehlt in seinem Bericht ausdrücklich diese Trennung: «Es bleibt nur noch übrig die Theilung des Landguts Armenguts und Kirchenguths usw., dann kann sich Kandergrund ohne weiteres Trennen, auch die geographische Lage empfiehlt die Trennung.» Die öffentliche Meinung zeigte im Kandergrund Einigkeit «und auch in Frutigen habe niemand gehört, dass etwas dagegen eingewendet wurde, im Gegentheil Frutigen wäre sehr froh, wenn die Trennung stattfinden könnte; ich bin überzeugt, dass wenn die Gemeinde Frutigen hierüber angefragt wird, dieselbe die Trennung mit ebenso grosser Mehrheit wünscht als es Kandergrund wünscht.» Das Gebiet der geplanten Einwohnergemeinde Kandergrund umfasste inklusive Kandersteg, Gastern und Mitholz rund 1200 Seelen.
Rascher Entscheid im Grossen Rat
Bereits ein Jahr später wurde das Begehren im Berner Regierungsrat behandelt und mit Datum vom 8. März 1850 wurde die neue Einwohnergemeinde vom Grossen Rat abgesegnet. Die Zustimmung erfolgte mit «Handmehr» und das Geschäft wurde mit heute ungewöhnlicher Geschwindigkeit durchgezogen. In der vorgängigen Debatte im Grossen Rat wurde darauf hingewiesen, dass doch vorgängig geregelt werde, wie die Vermögenswerte – Gemeindeland und Armengut – getrennt werden können. Die Trennung solle bis zur Klärung solcher Fragen zurückgestellt werden, stellte der Kandertaler Grossrat Thönen einen Antrag. Ein weiterer Antrag forderte ebenfalls, dass vorerst über die Aufteilung von Vermögen Einigkeit herrschen sollte, damit es zwischen den beiden neuen Gemeinden nicht zu Gerichtshändeln führen werde. Auch die Frage, wo denn ausserhalb der Region verarmte Bürger nach der Rückkehr hingehören und von wem diese unterstützt werden müssen, wurde aufgeworfen. Schliesslich wurden diese Fragen mit dem Ja zur Trennung quasi an den Statthalter delegiert, der die Trennung in der Realität vollziehen musste.
Am 27. Mai 1850 fand bereits die erste Versammlung der neuen Einwohnergemeinde statt, in der Kirche zu Bunderbach. Dabei wurde das entsprechende neue Gemeindereglement nach dem Vorlesen und einigen Abänderungen «sammt und sonders angenommen», wie im Protokoll nachzulesen ist. Erwähnenswert ist nebenbei, dass sich die weiteren Geschäfte der Versammlung um das Einrichten des Friedhofes und vor allem um den Armenverein drehten. Das Sozialwesen war eine Grundaufgabe der Gemeinde, damals wie heute.
Kandersteg geht eigene Wege
Die unterschiedliche Entwicklung innerhalb der Gemeinde Kandergrund führte 1910 zu einer weiteren Anpassung: Der Ort Kandersteg trennte sich von Kandergrund: Während Kandergrund eine
landwirtschaftlich geprägte Gemeinde blieb, wurde mit dem beginnenden Tourismus in Kandersteg eine andere Richtung eingeschlagen. Heute wird in Kandergrund diese politische Selbständigkeit hoch gewichtet. Der Gemeindepräsident Roland Stoller: «Massgebend hängt diese davon ab, dass die Gemeindeverwaltung und die politischen Behörden immer besetzt werden können.» Und man setze Zeichen, um gute Leute zu rekrutieren, beispielsweise mit dem sanierten und umgebauten Gemeindehaus, das moderne Arbeitsplätze biete. Die Bevölkerung wisse auch, dass man die Finanzen im Griff habe. Eine gewisse Skepsis gegenüber Zentralisierungen sei auf dem Land naturgemäss stärker vorhanden, erklärt Stoller.
Für die Zusammenarbeit mit den Nachbarn sei man offen, sowohl in den Behörden als auch den Vereinen. «Aber die Entscheidungen, wie weit diese geht, behält man sich gern vor. Ein Beispiel ist der Schützenverein, der künftig in Frutigen seinem Sport nachgeht, da die Anlage in Mitholz wegen der Munitionslagerräumung geschlossen wird. Eine Fusion ist das aber nicht.» Die wichtige Selbstbestimmung hindert die Gemeinde Kandergrund also nicht, sinnvolle Kooperationen einzugehen: Beim Schulweseen und der Kirche mit Kandersteg, bei der Feuerwehr und beispielsweise der Bauverwaltung und dem Sozialdienst mit Frutigen. «Es ist absehbar, dass diese Entwicklung zur nachbarschaftlichen und regionalen Zusammenarbeit künftig weitergeht», sagt der Gemeindepräsident Roland Stoller. «Auf die Eigenständigkeit seit 175 Jahren sind wir aber stolz.»

