Wie viel Wohlstand verträgt der Planet?
10.01.2025 PolitikAus Sicht der Jungen Grünen unternimmt die Schweiz zu wenig in Sachen Klimaschutz. Mit ihrer «Umweltverantwortungsinitiative» wollen sie einen Umbau des Wirtschaftssystems forcieren und den Konsum begrenzen. Die Gegner halten den Vorstoss für extrem, unrealistisch ...
Aus Sicht der Jungen Grünen unternimmt die Schweiz zu wenig in Sachen Klimaschutz. Mit ihrer «Umweltverantwortungsinitiative» wollen sie einen Umbau des Wirtschaftssystems forcieren und den Konsum begrenzen. Die Gegner halten den Vorstoss für extrem, unrealistisch und gefährlich.
BIANCA HÜSING
Die Ausgangslage für die Umweltverantwortungsinitative ist beinahe luxuriös: Keine andere Vorlage kann ihr die Aufmerksamkeit stehlen, da es für den 9. Februar schlicht keine gibt. Sie allein könnte also im Fokus der Abstimmungsdebatten stehen – wenn denn welche stattfinden würden. Einen Monat vor dem Urnengang ist es allerdings noch eher ruhig um die Umweltverantwortungsinitiative. Vor allem im Vergleich mit ihrer Namensvetterin, der Konzernverantwortungsinitiative, findet sie bislang wenig Beachtung. Während sich die Gegnerschaft damals besonders früh und mit besonders viel Werbung ins Zeug legte, scheint sie das diesmal nicht für nötig zu halten. Offenbar zu Recht, denn die Zustimmung zur Umweltverantwortung liegt gemäss aktuellen Umfragen bei mageren 35 Prozent. Auch das war bei der Konzernverantwortung anders: Das Anliegen fand in der Bevölkerung durchaus Anklang, vielerorts hingen die organgenen Ja-Transparente von Balkonen und sogar an Kirchtürmen. Es war auch nicht das Volks-, sondern das Ständemehr, an dem die Initiative 2020 scheiterte.
2025 geht es zwar vordergründig um ein anderes Thema, doch die Stossrichtung der Initianten ist ähnlich. Noch mehr gilt das für Gegnerschaft und deren Argumente.
6 von 9 «planetaren Belastbarkeitsgrenzen» überschritten
Wie seinerzeit die Konzernverantwortungsinitiative will auch die Umweltverantwortungsinitiative die Wirtschaft in die Verantwortung nehmen – allerdings nicht für Menschenrechte im Globalen Süden, sondern für den Globus überhaupt. Die Schweizer Art, zu leben und zu wirtschaften, überschreite die Belastbarkeitsgrenzen des Planeten. Durch den übermässigen Ressourcenverbrauch, durch Biodiversitätsverlust und Treibhausgasausstoss würden wir unsere eigene Lebensgrundlage unumkehrbar zerstören. Dies habe besonders gravierende Auswirkungen auf den Globalen Süden, zeige sich in Form von Unwettern aber immer häufiger auch vor unserer eigenen Haustür: «Die Klimakrise findet hier und jetzt statt», schreiben die Initianten in ihrer Broschüre. Sie fordern deshalb einen Verfassungsartikel, der sowohl Unternehmen als auch KonsumentInnen einschränken soll. «Wirtschaftliche Tätigkeiten» sollen nur noch «so viele Ressourcen verbrauchen und Schadstoffe freisetzen, dass die natürlichen Lebensgrundlagen erhalten bleiben». Die durch Konsum verursachte Umweltbelastung dürfe die «planetaren Grenzen gemessen am Bevölkerungsanteil» nicht mehr überschreiten.
Die «planetaren Belastbarkeitsgrenzen» entspringen nicht etwa der Phantasie der Initianten, sondern wurden 2009 von einem 29-köpfigen Wissenschaftlerteam definiert. Schon damals wurden sechs dieser neun Grenzen deutlich überschritten. Dafür, dass sie künftig zumindest in der Schweiz eingehalten werden, sollen nun Bund und Kantone sorgen. Viel Zeit hätten sie dafür nicht: Der Verfassungsartikel gäbe ihnen zehn Jahre.
«Die Schweiz nicht zum Entwicklungsland machen»
Wegen dieses knappen Zeithorionts halten ihre Gegner die Initiative denn auch für unrealistisch – und wegen der gesteckten Ziele für zu radikal. Um die definierten Grenzwerte zu erreichen, müsste das Wirtschaftssystem drastisch umgebaut und der Schweizer Lebensstandard auf das Niveau von Ländern wie Afghanistan oder Haiti gesenkt werden, schreibt etwa Alexander Keberle von economiesuisse: «Natürlich sollte die Schweiz ihren planetaren Fussabdruck weiter reduzieren – das ist ein Zeichen von Fortschritt und Stärke. Sie muss sich dabei aber nicht gleich selbst zum Entwicklungsland machen.» Der Wirtschaftsdachverband gehört wie viele andere Branchen- und Interessenverbände zur Gegnerschaft der Initiative. Die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete (SAB) fürchtet harte und «unsinnige» Einschnitte für den Tourismus, die Schweizer Bauern bezeichnen das Vorhaben als «utopisch». «Die Bauernfamilien wären wieder die ersten, die eine 180-Grad-Wende vollziehen müssten», glaubt der Verband. Auch der Bundesrat und die bürgerliche Grossmehrheit des Parlaments lehnen den Vorstoss ab. Wie schon bei der Konzernverantwortungsinitiative führen sie eine Schwächung des Wirtschaftsstandorts, die Abwanderung von Firmen sowie hohe Umsetzungskosten ins Feld. Gleichzeitig sei die Initiative viel zu unkonkret und überlasse die Massnahmensuche dem Parlament.
Ökonomie und Ökologie: ein Widerspruch?
Die Initianten halten dagegen, dass die Kosten durch Klimaschäden sechsmal so hoch seien wie die Kosten des Klimaschutzes und dass die Zeit dränge. Urheber des Vorstosses sind die Jungen Grünen, unterstützt wird er von SP, Grünen, EVP, Umweltverbänden und vom Kleinbauernverband. Auch aus der Wissenschaft erhält die Initiative Rückenwind, etwa von der FH Bern: «Fakt ist, dass wir mit den bisherigen Massnahmen klar unsere Umweltziele verfehlen werden. Wollen wir diese Ziele auch nur annährend erreichen, müssen wir uns damit abfinden, dass es einen nachhaltigen Umbau unserer Wirtschaft braucht. Alles andere ist Greenwashing» – also Symbolpolitik mit einem grünem Deckmäntelchen.
Ob ein Staat wirtschaftlich erfolgreich und gleichzeitig klimaneutral sein kann, ist die Kernfrage nicht nur dieser Abstimmung, sondern zahlreicher Debatten im In- und Ausland. Eine überzeugende Antwort darauf gibt es bisher nicht, weswegen die Umsetzbarkeit der Initiative tatsächlich fraglich ist. Die Schweizer Stimmbevölkerung scheint es auch gar nicht erst auf einen Versuch ankommen zu lassen, wie die Umfragen nahelegen.
Schon vor Weihnachten zeichnete sich ein knappes Nein ab, das fünf Wochen vor dem Abstimmungstermin recht deutlich geworden ist. Zum Vergleich: Die Konzernverantwortungsinitiative erzielte 2020 in den Umfragen hohe und sogar wachsende Zustimmungswerte – und trotzdem reichte es an der Urne nur für ein knappes Volks-Ja.
Gleichwohl birgt die Initiative Chancen. Mangels anderer Abstimmungsvorlagen könnte die Debatte um die wohl grösste Herausforderung der Gegenwart Fahrt aufnehmen: Wie viel Wohlstandsverlust vertragen die Menschen, wie viel menschlichen Wohlstand verträgt der Planet?
Neuer Anlauf für die KVI
Vier Jahre nach dem Stände-Nein zur Konzernverantwortungsinitiative (KVI) wagen die Initianten einen neuen Versuch. Diese Woche beginnen sie – auch im Frutigland – mit der Unterschriftensammlung für eine «KVI 2.0» und wollen binnen eines Monats das nötige Quorum erreichen. Wie damals geht es auch heute darum, Schweizer Konzerne für Menschenrechtsverletzungen im Globalen Süden zur Verantwortung zu ziehen. Im Unterschied zur früheren Version nimmt die neue KVI auch von Schweizer Firmen mitverursachte Umweltschäden in den Blick. Ausserdem sind explizit alle KMU ausgenommen.
Warum die Initianten das Anliegen trotz Abstimmungsniederlage noch einmal vors Volk bringen wollen, begründen sie mit einer veränderten Ausgangslage. In der Zwischenzeit hätten mehrere EU-Staaten sowie die EU als Ganzes entsprechende Gesetze verabschiedet. Nur Schweizer Firmen müssten sich bislang nicht daran halten. Der Schweizer Alleingang, vor dem damals Bundesrätin und KVI-Gegnerin Karin Keller-Suter gewarnt hatte, würde daher nun in umgekehrter Richtung gelten. Mit diesem Argument unterstützen diesmal auch bürgerliche Politiker und einzelne Mitglieder von economisuisse die Vorlage.
HÜS