«Wir blockieren nicht aus Prinzip»
11.03.2025 FrutigenSeit Anfang März ist der Frutiger Hanspeter Güntensperger Präsident von Pro Natura Berner Oberland. Die Anliegen des Verbands will er seriös vertreten – ohne radikale Ideen, aber überall dort, wo es nötig ist.
MARK POLLMEIER
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Seit Anfang März ist der Frutiger Hanspeter Güntensperger Präsident von Pro Natura Berner Oberland. Die Anliegen des Verbands will er seriös vertreten – ohne radikale Ideen, aber überall dort, wo es nötig ist.
MARK POLLMEIER
Sucht man in Mediendatenbanken nach dem Begriff Pro Natura, finden sich häufig Blockade-Berichte. Der Umweltverband sei «gegen Solarparks», heisst es dann etwa, oder: «Nun schaltet sich noch Pro Natura ein.» Seit Anfang März ist der Frutiger Hanspeter Güntensperger Präsident von Pro Natura Berner Oberland. Wie sieht er die Rolle «seines» Verbands?
Herr Güntensperger, sind Sie ein professioneller Störenfried? So jedenfalls wird Pro Natura häufig wahrgenommen …
Manchmal sieht man uns als Verhinderer, das stimmt.
Woran liegt das?
Unter anderem an unserem Rechtssystem. In der Schweiz wird das Eigentumsrecht sehr stark gewichtet. Wir versuchen, Naturwerte zu erhalten oder aufzuwerten, und dieses Anliegen kollidiert eben manchmal mit dem, was ein Eigentümer vorhat. Dabei wäre es generell besser, Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen – und nicht nur den kurzfristigen Eigennutz im Blick zu haben.
Sie blockieren also nicht aus Prinzip, wie das manchmal wahrgenommen wird?
Nein, natürlich nicht. Wir werden nur dann aktiv, wenn wir müssen. Eigentlich ist der Schutz der Natur in vielen Gesetzen enthalten, zum Beispiel im Baurecht. Würde sich jeder an die Vorgaben halten, hätten die Naturschutzverbände sofort weniger zu tun. Wir könnten uns voll auf Förderung und Sensibilisierung für die Werte der Natur konzentrieren.
Aber was ist mit den Fällen, in denen Pro Natura sich beispielweise gegen Solarparks ausspricht? Das verstehen viele Leute nicht. Müsste nicht gerade ein Umweltverband für erneuerbare Energien sein?
Wir sind ja nicht gegen erneuerbare Energien. Aber wir sind dagegen, dass dafür ökologisch wichtige Biotope geopfert werden. Das ist der falsche Weg.
Was wäre der richtige?
Dass wir zuerst jene Flächen nutzen, die nicht zur Natur gehören, etwa Gebäudedächer. Im Übrigen möchte ich an dieser Stelle mal an Adolf Ogis energieeffizientes Eierkochen erinnern ...
… also an die sogenannte Ogi-Methode, bei der in der Pfanne nur wenig Wasser zum Kochen gebracht wird?
Genau, und dann schaltet man den Herd aus. Was ich damit sagen will: Die beste Energie ist die, die wir gar nicht erst verbrauchen. Dass wir die Energiewende hinbekommen müssen, ist klar. Dass wir dafür aber immer neue Naturressourcen verbrauchen, halte ich für den falschen Weg. Wir sollten erst einmal versuchen, mit den Ressourcen und der Energie auszukommen, die wir haben. Dieser Aspekt wird noch viel zu wenig beachtet – möglicherweise auch, weil die Stromkonzerne gar kein grosses Interesse haben, dass Strom gespart wird.
Müsste die Politik mehr tun, um diesen Effizienzgedanken zu fördern?
Das sollte sie, ja. Stattdessen reden wir nun schon wieder über Fördergelder für die Atomenergie.
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2012 machte Pro Natura Berner Oberland Einsprache. Es ging damals um die Verlegung des Fürtbächli in Kandergrund. Oberflächlich betrachtet ging es nur um ein kleines Gewässer. Für die lokale Biodiversität war das Feuchtgebiet allerdings wichtig, weil dort ver schiedene Amphibien ihren Laichplatz haben. Nach über zehn Jahren kam die Einsprache zu einem guten Ende: Das Fürtbächli wurde renaturiert, Pro Natua steuerte 10 000 Franken dazu bei. Heute gibt es dort zwei Amphibientümpel, die verschiedenen Arten Lebensraum bieten.
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Wir haben bisher vor allem über Kritik gesprochen – reden wir über das Positive. Was hat Pro Natura Berner Oberland erreicht?
Ich habe davon gesprochen, dass wir Naturwerte erhalten und aufwerten möchten. Meine Vorgängerin Nadja Keiser hat dafür jahrzehntelang tolle Arbeit geleistet – obwohl sie mit dem gesamten Oberland ein riesiges Gebiet zu beackern hatte.
Wird diese Arbeit in der Öffentlichkeit zu wenig wahrgenommen?
Das mag sein. Dabei läuft sie vielerorts sehr gut, auch in der Zusammenarbeit. Wenn ein grösseres Projekt ansteht, ein Bauvorhaben oder eine Massnahme für den Hochwasserschutz, werden alle Player von vornherein eingeladen und können sich an der Mitwirkung beteiligen. Dadurch dauern manche Verfahren länger, das gebe ich zu. Aber das Motto «Eile mit Weile» halte ich für viel besser, als wenn kurz vor dem Baustart noch Einsprachen kommen. Dass man dann als Störfaktor wahrgenommen wird, ist doch klar. Aber selbst das hat manchmal sein Gutes. Die «Unruhe-Berichterstattung» in der Presse ist oft erst der Auslöser, dass man in der Bevölkerung aufmerksam wird und sich bei uns meldet.
Sie haben das Stichwort «Eile mit Weile» genannt: Braucht es für den Umweltschutz generell einen langen Atem?
Absolut. Viele Verbesserungen brauchen Jahre, wenn nicht Jahrzehnte. Ein Beispiel: Ich war 1968 auf einer Schulreise am Rhein. Damals hat der Fluss gestunken, kein Mensch wäre auf die Idee gekommen, darin zu baden. Heute ist das Rheinschwimmen in manchen Städten ein Volkssport.
... aber kaum jemand erinnert sich, wie es vor 50 Jahren war.
Genau. Der heutige Zustand wird als gegeben hingenommen. Aber es steckte hartnäckige Arbeit dahinter, ihn zu erreichen. Ein anderes Beispiel: Bis in die 1950er-Jahre schwammen in den Schweizer Flüssen Lachse. Jetzt stehen wir hierzulande vor dem Comeback dieser Fischart. Das zeigt, in welchen Zeiträumen sich Naturschutz abspielt. Über das, was wir heute anstossen, werden sich unsere Enkel freuen.
Kehren wir zurück ins Oberland. Welche Herausforderungen sehen Sie in unserer Region aktuell?
Da fallen mir zum Beispiel die Auswirkungen des Overtourism ein. Dass es für die alpine Natur nicht gut ist, wenn sich zu viele Menschen auf engem Raum bewegen, dürfte jedem einleuchten. Davon ist im Übrigen ja auch die Bevölkerung betroffen, mancherorts gibt es schon Protest gegen diese Entwicklung.
Aber die Region lebt eben auch vom Tourismus. Was sind die Alternativen?
Ein nachhaltiger Tourismus wäre toll. Ich bin zum Beispiel schon mit Feriengästen heuen gegangen, das war für die ein Erlebnis.
Die spürten abends sicher, was sie tagsüber gemacht hatten.
Ja, und es hat deshalb sicher ihr Verständnis dafür gefördert, wie im Alpenraum Landwirtschaft betrieben wird. Ich bin überzeugt, man könnte noch mehr solche Angebote entwickeln, Natursteinmauern bauen, Schnitzen – es gäbe viele Möglichkeiten.
Einfach ist eine solche Transformation nicht – erst recht nicht für den Wintertourismus. Ein Ort wie Adelboden schafft es trotz aller Bemühungen kaum, Alternativen zum Schneesport zu entwickeln. Der Anteil des Sommergeschäfts dümpelte bisher immer bei 10 bis 15 Prozent herum.
Jetzt muss ich eine kleine Geschichte erzählen. 1991 organisierte Adelboden Tourismus einen Vortragsabend: «Der Klimawandel und seine Auswirkungen auf Adelboden». Der Referent sagte damals, er könne keine exakte Prognose für einzelne Orte abgeben. Was er aber vorhersagte, war genau das, was wir heute erleben. Man wusste in groben Zügen schon alles, vor über 30 Jahren. Aber man hat das nicht ernst genommen, und so ist viel Zeit ungenutzt verstrichen. Man hätte damals anfangen müssen, sich auf das heutige Szenario einzustellen.
Apropos ernst nehmen: Die Landwirtschaft, die Sie eben schon angesprochen haben, lebt von natürlichen Ressourcen. Eigentlich müssten die Bauern auf Ihrer Seite sein – sind sie aber oft nicht. Umweltvorlagen werden von Landwirtschaftskreisen oft bekämpft.
Also für mich gibt es in der Landwirtschaft zwei Ligen. In der einen spielen die Grossbetriebe, die stark automatisiert arbeiten. Diese Liga hat über ihre Verbände starken Einfluss auf die Politik. Und dann gibt es die anderen, die kleinen Familienbetriebe, in denen alle mitanpacken müssen.
Dieser «Liga der Kleinen» stehen sie vermutlich näher.
Ja, und dort nehme ich auch ein Umdenken wahr. Die Ziele, die Pro Natura verfolgt, und die Arbeit, die ein Bergbauer macht, liegen meistens nicht so weit auseinander. Aber mit der industriellen Landwirtschaft der Grossbetriebe haben wir tatsächlich nicht so viele Gemeinsamkeiten.
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Er würde es begrüssen, wenn Kinder zum Beispiel Hilfseinsätze auf einem Bauernhof oder im Wald absolvieren würden, bei denen sie die Landwirtschaft kennenlernen könnten, sagt Hanspeter Güntersperger. «Dort würden sie wertvolle Erfahrungen machen.» Überhaupt ist ihm die Arbeit mit Kindern wichtig. Begeistert erzählt er von Ferienpass-Aktionen, bei denen die jungen TeilnehmerInnen Wasserlebewesen erforschen und die Wasserqualität überprüfen können.
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Herr Güntensperger, warum ist es wichtig, Kindern die Natur näherzubringen?
Nicht nur den Kindern! Ich war nie dafür, Schutzgebiete auszuweisen und sie dann für den Menschen zu sperren. Nehmen wir etwa das nationale Auengebiet an der Engstlige in Frutigen. Ein solches Gebiet sollte Bürgerinnen und Bürgern offenstehen, es sollte erlebbar bleiben.
Die Natur als Erholungsraum, den man schätzen lernt ...
Ja, Natur hat einen Erholungswert, und den sollten alle geniessen dürfen. Aber dafür muss man Naturwerte bewahren – oder sie neu schaffen. Nachdem die Neat gebaut worden war, wurden zwischen Frutigen und Reichenbach im Gebiet Schwandi-Ey Ersatzmassnahmen realisiert. Damals waren sie sehr umstritten: Wer ist für die Flussaufweitung zuständig, wer zahlt später für den Unterhalt? Die Pachtvereinigung, in dem die regionalen Fischereivereine zusammengeschlossen sind, hat sich damals für das Projekt eingesetzt und viel Kritik geerntet. Aber heute sind viele froh, dass es dieses Gebiet gibt.
Was bedeuten die genannten Beispiele für die Arbeit von Pro Natura Berner Oberland?
Ein kleiner Teil der Bevölkerung zeigt sich mit unseren Anliegen solidarisch. Die meisten sind eher desinteressiert. Aber wir müssen versuchen, die Leute mitzunehmen, nicht durch radikale Forderungen, sondern indem wir uns seriös für die Natur einsetzen, wo es sinnvoll ist.
ZUR PERSON
Er sei so alt wie das erste Gewässerschutzgesetz, sagt Hanspeter Güntensperger: Jahrgang 1957. Geboren ist er im Kanton Zürich, zog aber später nach Frutigen, wo er auch das letzte Schuljahr absolvierte. Nach der Lehre in Münsingen ging Güntensperger zurück nach Zürich, wo er sich weiterbildete, kehrte später aber nach Frutigen zurück. Bis 2024 arbeitete Hanspeter Güntensperger als Konstrukteur und Ausbilder bei Bucher Hydraulics und war kantonaler Prüfungsexperte. Die Arbeit mit dem Berufsnachwuchs bereitete ihm Freude und brachte auch, wie er erzählt, schöne Erfolge.
Seit Jahrzehnten ist Hanspeter Güntensperger in Fischereivereinen engagiert. Er gehörte u. a. dem Vorstand des Schweizerischen Fischereiverbands und dessen Geschäftsleitung an und ist Ehrenmitglied des Bernischkantonalen und des Schweizerischen Fischerei-Verbands. Seit 26 Jahren ist er auch Pro-Natura-Mitglied, nicht zuletzt, weil ihm der Gewässerschutz ein grosses Anliegen ist. Anfang März wurde er zum Präsidenten von Pro Natura Berner Oberland gewählt.
Hanspeter Güntensperger ist zum zweiten Mal verheiratet, hat deswegen sechs Kinder und mittlerweile fünf Enkelkinder.
POL