«Wir möchten mitbestimmen»
08.09.2023 PolitikEINBÜRGERUNG Wer FrutigerIn werden möchte, muss nicht nur Ortskenntnisse nachweisen, sondern auch einen engen Kontakt zu Einheimischen pflegen. Damit die Gemeinde diese Vorgaben weiter anwenden kann, hat sie zusätzlich zur bestehenden Verordnung ein neues Reglement ...
EINBÜRGERUNG Wer FrutigerIn werden möchte, muss nicht nur Ortskenntnisse nachweisen, sondern auch einen engen Kontakt zu Einheimischen pflegen. Damit die Gemeinde diese Vorgaben weiter anwenden kann, hat sie zusätzlich zur bestehenden Verordnung ein neues Reglement erlassen.
BIANCA HÜSING
Um den Schweizer Pass zu bekommen, braucht man Geld und Geduld. Das dreistufige Einbürgerungsverfahren (Bund, Kanton und Gemeinde) kann je nach Wohnort mehr als 3000 Franken kosten und um es überhaupt einleiten zu können, muss man mindestens zehn Jahre im Land gelebt haben. Diese Zeit sollte man tunlichst zum Lernen nutzen: Neben Sprachkenntnissen wird auch der Wissensstand geprüft – etwa zum politischen System, Flussverläufen oder Bergspitzen.
«Kein Fachexamen»
Die genannten Mindestanforderungen gelten auf Bundesebene. Kantone und Gemeinden können ihrerseits noch strengere Regeln erlassen, zum Beispiel punkto Sprachniveau oder Ortskenntnisse. So sollten Einbürgerungswilllige in Oberiberg (SZ) wissen, was ein «Oberällmiger» ist (ein Mitglied der Oberallmeindkorporation Schwyz) oder welche Nachnamen in dem Örtchen besonders häufig vorkommen.
Obwohl Gemeinden also einen gewissen Gestaltungsspielraum haben, dürfen sie es mit den Spitzfindigkeiten aber nicht übertreiben. Für eine allzu strenge Einbürgerungspraxis wurde Arth (SZ) vor ein paar Jahren vom Bundesgericht gerügt. Die Gemeinde hatte das Gesuch eines seit 30 Jahren in der Schweiz lebenden Italieners abgelehnt, weil dieser nicht wusste, dass sich Wölfe und Bären im Tierpark Goldau das Gehege teilen. Das Bundesgericht hingegen befand, der Italiener erfülle alle relevanten Voraussetzungen. Wegen eines solchen Details dürfe man ihm das Bürgerrecht nicht verwehren. In seiner Urteilsbegründung betonte das Gericht, die Prüfung der Einbürgerungsvoraussetzungen sei kein «Fachexamen». Man dürfe von Ausländern nicht mehr erwarten als «von einem durchschnittlichen Schweizer mit Wohnsitz in der Gemeinde».
Bewilligungsquote bei 100 Prozent
Nicht überall sind die Gemeinden so streng wie im Kanton Schwyz, wo landesweit die wenigsten Pässe ausgestellt werden und wo das Verfahren am meisten kostet. Vielerorts ist man der Auffassung, dass die Bundes- und Kantonsbestimmungen ausreichen – offenbar auch in den meisten Frutigländer Gemeinden. Fast keine verfügt über eine eigene Einbürgerungsverordnung. Wer überhaupt eine hatte, setzte sie in letzter Zeit wieder ausser Kraft – zum Beispiel Adelboden im Jahr 2015 und Kandergrund vor ein paar Wochen. «Die Einbürgerungsverordnung hatte keine gemeindespezifischen Vorgaben und wiederholte ausschliesslich die Bestimmungen des übergeordneten Rechts», heisst es in Kandergrund zur Erklärung. Das Verfahren bleibe jedoch dasselbe, sprich: Der oder die Einbürgerungswillige muss alle nötigen Nachweise erbringen und den obligatorischen Einbürgerungstest durchlaufen (z.B. am bzi Interlaken). Am Schluss befindet der Gemeinderat über das Gesuch.
Erfüllt die Antragstellerin alle Grundvoraussetzungen, scheint der Gemeinderatsentscheid zumeist Formsache zu sein. Die Bewilligungsquote der letzten fünf Jahre liegt in allen Gemeinden bei 100 Prozent (siehe Kasten).
Wissensfragen und Sozialkontakte
Auch in Frutigen werden die meisten Gesuche bewilligt. Trotzdem bildet die Gemeinde eine Ausnahme im Tal. Sie verfügt über eine Einbürgerungskommission, die in Ergänzung zu den obligatorischen Sprach- und Einbürgerungstests nach Bundes- und Kantonsvorgaben auch gemeindespezifische Fragen stellt.
Bislang war diese Praxis im Rahmen einer Verordnung geregelt. Letzten Donnerstag hat der Gemeinderat dafür ein neues Reglement verabschiedet, das am 1. Januar 2024 in Kraft treten soll*. Dieses erlaubt es der Einbürgerungskommission weiterhin, AusländerInnen spezifische Fragen über Frutigen zu stellen – zum Beispiel, wie viele Unternehmen es im Ort gibt oder wie die Spissen heissen. Grundlage für den Wissenstest ist die Gemeindebroschüre. Wer weniger als zwei Drittel der Fragen beantworten kann, muss innerhalb eines Monats erneut zum Einbürgerungsgespräch antreten. Scheitert man wieder, beantragt die Einbürgerungskommission dem Gemeinderat, das Gesuch abzulehnen.
Auch das Sozialleben wird überprüft. «Das Vertrautsein mit den örtlichen Lebensverhältnissen» ist laut Reglement erfüllt, wenn «ein regelmässiger und enger Kontakt zu Schweizerinnen und Schweizern gepflegt wird». Ob dem so ist, kann die Kommission mittels Referenzauskünften in Erfahrung bringen – indem sie etwa Freunde, Bekannte und den Arbeitgeber des Einbürgerungswilligen fragt.
«Wir gehen genauso vor wie vorher»
Neu ist all das nicht. Wie Gemeinderatspräsident Hans Schmid auf Nachfrage betont, enthält das Reglement gegenüber der bestehenden Verordnung keine westenlichen Änderungen. «Wir gehen genauso vor wie vorher auch. Nur brauchen wir dafür jetzt von Gesetzes wegen ein Reglement.»
Dass Frutigen überhaupt ein strengeres Einbürgerungsregime führt als die umliegenden Gemeinden, begründet der Obmann mit der Grösse der Zentrumsgemeinde und mit entsprechend höheren Gesuchszahlen (siehe Kasten). «Wir möchten mitbestimmen können, wer bei uns das Gemeindebürgerrecht erhält.» Die Bundes- und Kantonsvorgaben reichen aus Sicht des Gemeinderats nicht aus, die Verbundenheit mit dem Wohnort zu überprüfen. Während Schmids fast siebenjähriger Amtszeit sei es durchaus vorgekommen, dass man ein Gesuch aufgrund mangelhafter Integration abgelehnt habe. Damit dies weiterhin möglich bleibe, brauche es das vom Gemeinderat letzte Woche verabschiedete Reglement. Da dieses dem fakultativen Referendum unterliegt, wird es demnächst 60 Tage öffentlich aufliegen. Die Bevölkerung wird im amtlichen Teil des «Frutiger Anzeigers» darauf aufmerksam gemacht.
* Per 1. Januar 2018 wurden die überarbeiteten gesetzlichen Grundlagen im Bürgerrechtswesen auf Bundes- und Kantonsebene in Kraft gesetzt. Das Gesetz über das Kantons- und Gemeindebürgerrecht (KBüG) verlangt neu in Art. 6, Ziffer 2 und Art. 10, Ziffer 2, dass die Einbürgerungskriterien der Gemeinden in einem Reglement festgelegt werden müssen.
Einbürgerungen pro Gemeinde
Die wenigsten Einbürgerungen werden in Kandergrund vorgenommen. In den letzten fünf Jahren wurde hier lediglich ein Gesuch gestellt. Dabei handelte es sich um eine sogenannte erleichterte Einbürgerung*.
In Adelboden, Kandersteg und Krattigen gab es in den letzten fünf Jahren je fünf Gesuche. Die Bewilligungsquote lag bei 100 Prozent, allerdings ist in Adelboden und Kandersteg derzeit noch je eines der Gesuche in Bearbeitung. In Reichenbach wurden alle sechs Einbürgerungsgesuche der letzten fünf Jahre bewilligt.
Die Gemeinde Aeschi hat in den letzten fünf Jahren ein bis zwei Gesuche pro Jahr bearbeitet und bewilligt.
In Frutigen werden die meisten Gesuche gestellt, in den letzten fünf Jahren waren es etwa fünf bis sieben pro Jahr. Alle, die nicht schon vorab nach Kriterien wie Strafverfahren o.ä. «aussortiert» wurden, sind bewilligt worden.
HÜS
* Unter bestimmten Bedingungen kann man sich früher einbürgern lassen als im ordentlichen Verfahren. Dies gilt zum Beispiel für Ehepartner oder Kinder von Schweizern, oder für Angehörige der dritten Ausländergeneration.