«Wir wollten weg vom Öl»
09.08.2022 GesellschaftENERGIE Auch ohne Verbot verlieren fossile Heizsysteme an Bedeutung, immer mehr Hauseigentümer setzen auf Alternativen. Vor allem Wärmepumpen sind zurzeit so gefragt, dass Material und Handwerker knapp werden. Zwei Frutiger Brüder haben den Wechsel bereits hinter sich und ...
ENERGIE Auch ohne Verbot verlieren fossile Heizsysteme an Bedeutung, immer mehr Hauseigentümer setzen auf Alternativen. Vor allem Wärmepumpen sind zurzeit so gefragt, dass Material und Handwerker knapp werden. Zwei Frutiger Brüder haben den Wechsel bereits hinter sich und sehen (fast) nur Vorteile.
BIANCA HÜSING
Umweltwärme boomt. Befeuert durch die Klimaziele des Bundes einerseits und die Krisen der letzten Jahre andererseits verabschieden sich immer mehr Haushalte von fossilen Energieträgern. Beliebter werden dagegen Wärmepumpen, die sich natürlicher Wärmequellen wie Grundwasser oder Luft bedienen (siehe Kasten). Zwar heizen immer noch zwei Drittel der Schweizer Haushalte mit Öl oder Gas. Doch bei Neuanschaffungen wendet sich das Blatt zusehends. Letztes Jahr machten Wärmepumpen bereits 54 Prozent aller verkauften Energiesysteme aus.
Im Kanton Bern geht die gestiegene Nachfrage unter anderem auf das vergleichsweise grosszügige Förderprogramm zurück. Das 2019 gestartete «Berner Experiment» lief so gut, dass der Kanton seine Förderbeiträge schon nach zwei Jahren wieder senken musste, um die Kosten in den Griff zu bekommen.
Noch einmal verstärkt wurde der Wärmepumpen-Trend durch die Pandemie und den Krieg in der Ukraine. Öl ist zurzeit doppelt so teuer wie vor Jahresfrist und die Versorgung mit russischem Gas steht auf wackligen Füssen. Vor diesem Hintergrund können sich Energieberater und Wärmepumpen-Installateure kaum vor Aufträgen retten. Gleichzeitig herrschen Materialengpässe – Wartezeiten von mehreren Monaten sind inzwischen normal.
Volle Auftragsbücher in der Region
Auch im Frutigland macht sich der Boom bemerkbar. Wer aufmerksam durch die «Frutiger Anzeiger» der letzten Monate blättert, findet praktisch in jeder Ausgabe eines oder mehrere Gesuche für die Installation von Wärmepumpen. Entsprechend füllen sich auch bei einheimischen Anbietern die Auftragsbücher. So berichtet etwa Beat Spiess, Geschäftsführer der Adelbodner Spiess Energie und Haustechnik AG: «Die Nachfrage ist seit Anfang Januar enorm gestiegen. Im Gegensatz zu früher, als man wartete, bis die alte Heizung nicht mehr lief, nehmen sich die Hausbesitzer der Sanierung heute früher an.» Spiess führt dies unter anderem auf den Ölpreis zurück. Mit der Auftragslage komme seine Firma gut zurecht, problematisch sei allerdings die Verfügbarkeit der Produkte. «Je nach Modell mussten wir unserer Kundschaft schon Lieferfristen von bis zu 23 Wochen mitteilen. Wir haben uns danach für einen Fabrikatswechsel entschieden.»
Die Energieschmiede GmbH aus Reichenbach stellt ebenfalls einen Aufwärtstrend fest. Bei Neubauten seien Wärmepumpen – allen voran Luft-Wasser-Wärmepumpen – das am häufigsten eingebaute Heizsystem. Und seit Beginn der Corona-Krise sei die Nachfrage nach alternativen Energiequellen erneut gestiegen. «Als Zwei-Mann-Betrieb haben wir dementsprechend sicher eine überdurchschnittliche Auslastung», meint Mitinhaber Martin Mägert. Als reines Planungsbüro kann die Energieschmiede zwar nur bedingt etwas zur Auftragslage der Installateure sagen. Aber: «Aus den Erfahrungen in den letzten Monaten kann ich bestätigen, dass viele Unternehmer dieses Jahr keine Aufträge mehr annehmen, da sie bereits überbucht sind.» Hinzu komme die eingeschränkte Verfügbarkeit einiger Produktlinien.
«Zur Not muss man eben mal ein kleines Elektro-Öfeli dazustellen»
So gesehen hatten Arthur und Hans Grossen ein glückliches Timing. Die Brüder teilen sich ein Haus mit Stockwerkeigentum in Frutigen und haben bereits vor zwei Jahren beschlossen umzusatteln. «Wir wollten unsere 30-jährige Ölheizung rechtzeitig ersetzen – und zwar durch ein umweltfreundlicheres System», so Arthur Grossen. Sein Bruder Hans ergänzt: «Die Preisproblematik hat für uns nicht die entscheidende Rolle gespielt. Wir wollten weg vom Öl.»
Für eine erste Grobeinschätzung hätten sie die (kostenlose) Regionale Energieberatung in Thun aufgesucht, um zu erfahren, ob ihr Haus überhaupt geeignet ist. «Schon vor Jahren haben wir die Dämmung verbessert und eine Photovoltaik-Anlage installieren lassen. Die Energieberatung ist deshalb zum Schluss gekommen, dass eine Wärmepumpe bei uns Sinn macht. Bei einem schlecht isolierten Haus hätte sie vielleicht etwas anderes vorgeschlagen», glaubt Arthur Grossen.
Die Frutiger Brüder entschieden sich schliesslich für eine sogenannte Aussenluftwärmepumpe, die hinter dem Haus steht und Wärme aus der Umgebungsluft zieht – selbst im Winter.
Für die Detailplanung und die Montage beauftragten sie ein ortsansässiges Unternehmen. Der Prozess bis zum Einbau der Anlage sei allerdings nicht ohne, betonen sie. «Man muss sehr viele Abklärungen treffen. Weil wir keine Bodenheizung haben, mussten wir zum Beispiel messen, welche Vorlauftemperatur unsere Radiatoren benötigen.» Effizient können Wärmepumpen nämlich nur bei einer Vorlauftemperatur von maximal 50 Grad arbeiten. «Nur bei anhaltend zweistelligen Minustemperaturen erzeugt unsere Pumpe nicht genügend Wärme . Aber man kann ja nicht alles nach Extremwerten ausrichten», findet Hans Grossen. «Zur Not muss man eben mal ein kleines Elektro-Öfeli dazustellen.»
Teuer in der Anschaffung – sparsam beim Verbrauch
Wie gut ihre Anlage im Winter tatsächlich heizt, wissen die Brüder noch nicht: Sie steht erst seit Mai. Doch die Warmwasseraufbereitung – auch dafür ist die Wärmepumpe zuständig – funktioniere bereits bestens und verbrauche weniger Strom als der Elektroboiler. Nach den Berechnungen ihrer Energieberatung können Grossens 5000 Franken im Jahr einsparen. «Und das nach Stand 2021. Bei den aktuellen Öl- und Gaspreisen ist das Sparpotenzial noch grösser», sind sie überzeugt. Dies relativiere auch den hohen Anschaffungspreis. Insgesamt hat ihre Wärmepumpe 56 000 Franken gekostet. Abzüglich des Kantonsbeitrags von 10 000 Franken bleiben immer noch 46 000. «Das ist natürlich eine grosse Summe, die nicht jeder zur Verfügung hat», räumt Arthur Grossen ein. «Gerade für ältere Menschen, die oft keinen Bankkredit mehr bekommen, ist das ein Problem.» Im Vergleich dazu sei eine neue Ölheizung günstiger. Doch zumindest in ihrem Falle lohne sich die Anschaffung, glauben die Brüder. Dadurch sind sie unabhängig vom Öl – und produzieren dank ihrer Photovoltaikanlage sogar noch ihren eigenen Strom.
Gut zehn Jahre Amortisationszeit
Wann sich eine Wärmepumpe amortisiert, ist von Haushalt zu Haushalt verschieden. «Gängige Kalkulationen gehen von etwa zehn Jahren aus », erklärt dazu Beat Spiess. «Bedenken muss man allerdings, dass der Ölpreis heute ein sehr hohes Niveau hat und sich dort irgendwo einpendeln wird.» Da jedoch auch der Strompreis aller Voraussicht nach steigen werde, sei eine Kombination aus Wärmepumpe und Solaranlage durchaus sinnvoll.
In die gleiche Kerbe schlägt Martin Mägert: «Wenn ein grosser Teil des Elektrizitätsbedarfs auf dem eigenen Dach produziert wird, rechnet sich die Wärmepumpe natürlich schneller.» Dass man, anders als bei fossilen Systemen, seinen Energieträger selbst erzeugen könne, sei überhaupt ein grosser Vorteil der Wärmepumpe. Die Kostenfrage gewichtet Mägert indes weniger stark als die ökologische: «Das Ziel ‹weg von den fossilen Brennstoffen› muss meiner Meinung nach nicht gratis sein. Es sollte ganzheitlich betrachtet werden.»
«Das Verfahren muss vereinfacht werden»
Das einzige, was Arthur und Hans Grossen an ihrer Neuanschaffung stört, ist das Verfahren. «Es gab ein kompliziertes Hin und Her mit dem e-Bau-System – und letztlich ein 80-seitiges e-Dossier. Das müsste dringend vereinfacht werden.» In ihrem Fall kam noch ein weiteres Problem hinzu. «Uns wurde gesagt, dass wir keine Baupublikation brauchen, wenn wir das Einverständnis unserer Nachbarn einholen. Statt sämtliche Stockwerkeigentümer zu kontaktieren, haben wir die Unterschriften der jeweiligen Hausverwaltungen eingereicht.» Reinen Gewissens hätten sie dann mit dem Bau begonnen – bis die Bauverwaltung ihnen mitteilte, dass diese Unterschriften nicht genügen und sie ein nachträgliches Baugesuch publizieren müssen. «Das wirft in der Öffentlichkeit natürlich Fragen auf. Dabei hatten wir überhaupt nichts Illegales im Sinn», betont Arthur Grossen.
Auch Martin Mägert von der Energieschmiede hat den Eindruck, dass das Planverfahren durch die Einführung von e-Bau ein wenig komplizierter geworden sei. «Ich denke jedoch, dass die Fehler vom Gesuchsteller (wie uns) ausgehen und dass sich nach einer gewissen Zeit und dem nötigen Lernprozess keine grosse Hürde mehr stellt.»
Beat Spiess von der Spiess AG hält das Planverfahren nicht für besonders kompliziert. «Es kann sein, dass es gemeindespezifische Unterschiede gibt. Aber grundsätzlich braucht es wie bei allem etwas Zeit. Eine draussen aufgestellte Wärmepumpte erfordert zudem (noch) eine Baubewilligung und einen Lärmschutznachweis.»
«Allenfalls ein feines Säuseln»
An einer Vereinfachung des Verfahrens ist auch der Nationalrat interessiert. In der letzten Sommersession hat er sich mit grosser Mehrheit für eine Anpassung der Lärmschutzverordnung und eine Abschaffung der Baugesuchspflicht für Wärmepumpen ausgesprochen. In der Öffentlichkeit stösst dieses Vorhaben jedoch nicht nur auf Gegenliebe. Diverse Onlinekommentatoren bemängeln, dass Nachbarn künftig das Mitspracherecht entzogen werden soll und fragen sich, ob es denn «guten und schlechten Lärm» gebe. Andere betonen indes, dass die neuen Geräte nicht mehr laut seien. Dem schliessen sich auch die Grossen-Brüder aus Frutigen an: «Das Label ‹Lärmschleudern› tut den modernen Wärmepumpen völlig unrecht. Was da rauskommt, ist allenfalls noch ein feines Säuseln», meint Hans Grossen.
Doch ganz unabhängig von dieser Debatte hat die Schweiz noch einen gewissen Weg vor sich, wenn sie die Ziele der Energiestrategie 2050 erreichen will. Bis zum Stichtag müssten jährlich rund 30 000 fossile Heizsysteme durch erneuerbare ersetzt werden. Im Falle von Wärmepumpen ist diese Marke erstmals 2021 überschritten worden. Ob der Trend anhält – und angesichts der Hanwerker- und Materialknappheit überhaupt anhalten kann –, muss sich noch zeigen. Fest steht aber: Auch ohne Ölheizungsverbot zeigen sich immer mehr Hausbesitzer offen für neue Systeme – manche aus ökologischen, andere aus Kostengründen.
Das Frutigland setzt auf Holz
Von allen neu verkauften Heizsystemen in der Schweiz machten Wärmepumpen letztes Jahr den grössten Anteil aus (54 Prozent). Doch auch Öl- und Gasheizungen wurden vielfach neu eingesetzt (42 Prozent). Holz- und Pelletsysteme spielen landesweit eine vergleichsweise unbedeutende Rolle, anders sieht es jedoch im Frutigland aus. Kandergrund und Reichenbach sind regionale Spitzenreiter, was erneuerbare Wärmequellen angeht. In beiden Gemeinden wird vorwiegend mit Holz geheizt.
In Frutigen sind erneuerbare Wärmequellen ebenfalls auf dem Vormarsch. Im Energierichtplan der Gemeinde wird bis 2035 ein Anteil von über 70 Prozent angestrebt. Als das Dokument erarbeitet wurde, lag der Anteil noch bei 33 Prozent, heute beträgt er 46. Auch hier ist Holz die bevorzugte Quelle unter den «Erneuerbaren». Das theoretische Potenzial der «Umweltwärme Luft» wird im Energierichtplan zwar ebenfalls hoch eingestuft, aber: «Der Einsatz von Umweltwärme hat gemäss kantonalem Energiegesetz letzte Priorität bei der Festlegung prioritärer Versorgungsgebiete. Die Wärme aus der Luft soll andere Energieträger nicht konkurrenzieren; Luft-Wasser-Wärmepumpen sollen nur dort zum Einsatz kommen, wo kein anderer Energieträger zur Verfügung steht.»
HÜS
Von der Umgebungswärme zur Wärmepumpe
Aufgrund ihres relativ niedrigen Temperaturniveaus lässt sich die Umgebungswärme nur mit Wärmepumpen in Heizwärme umwandeln. Durch die Leitungen innerhalb der Wärmepumpe zirkuliert ein Kältemittel, das unter Aufnahme der Umgebungswärme bei tiefen Temperaturen verdampft und gasförmig wird. Der Dampf wird vom Kompressor auf hohe Temperatur und hohen Druck verdichtet und in den Kondensator geleitet. Das kondensierende Kältemittel gibt die Nutzwärme nun an den Heizkreis ab. Dabei verflüssigt es sich und kann anschliessend wieder Umgebungswärme aufnehmen – der Kreislauf beginnt von vorn. Die Nutzenergie zum Heizen umfasst, je nach Wärmequelle, ein Vielfaches der aufgenommenen elektrischen Arbeitsenergie, der Wärmepumpenwirkungsgrad (Jahresarbeitszahl JAZ) kann bis zu 400 Prozent (JAZ = 4) betragen – bei der Wärmenutzung aus Geothermie gar bis zu 500 Prozent.
Wärmepumpen arbeiten umso effizienter, je kleiner die Differenz zwischen der Quellentemperatur und der Heizungsvorlauftemperatur ist.
QUELLE: BUNDESAMT FÜR ENERGIE