Wo alte Volksheilkunde auf Pharmakologie trifft
13.05.2025 WirtschaftIm Kanton Bern sorgen über 80 Drogerien für eine kompetente Beratung beim Kauf von rezeptfreien Medikamenten und alternativen Heilmitteln. Der «Frutigländer» sprach mit den DrogistInnen im Frutigland anlässlich des Jubiläums des ...
Im Kanton Bern sorgen über 80 Drogerien für eine kompetente Beratung beim Kauf von rezeptfreien Medikamenten und alternativen Heilmitteln. Der «Frutigländer» sprach mit den DrogistInnen im Frutigland anlässlich des Jubiläums des Drogistenverbands.
BETTINA GUGGER
Der Kantonal-Bernische Drogistenverband (KBD) feiert dieses Jahr sein 130-Jahr-Jubiläum. Damit ist er fünf Jahre älter als sein eidgenössisches Pendant. Etwas über 80 Drogerien gehören dem KBD an. Während der Verband von 14 Drogisten gegründet wurde, ist der Beruf heute zu 90 Prozent weiblich geprägt. Im Frutigland sorgen in Adelboden, Frutigen, Kandersteg und Reichenbach gleich vier Drogerien für eine medizinische Erstberatung, die Abgabe von rezeptfreien Medikamenten und ein grosses Wissen über komplementärmedizinische Mittel wie etwa Phytotherapie, Spagyrik, Homöopathie und Schüssler-Salze. Die Drogerie in Kandersteg ist allerdings nicht dem KBD angeschlossen.
Was viele nicht wissen: Die Beratung in den Drogerien ist kostenlos, während Apotheken diese teilweise verrechnen. Die Berufslehre dauert vier Jahre, in denen die angehenden DrogistInnen zum Beispiel 70 Heilkräuter mit ihrem Stammp!anzennamen, ihrer Wirkungsweise und ihrem Anwendungsbereich kennenlernen, um dieses Wissen im Verkaufsgespräch vermitteln zu können.
In der Pharmakologie werden sie mit der Wirkung von Arzneimitteln und anderen chemischen Stoffen vertraut gemacht und im Labor üben sie das Herstellen von Medikamenten. Drei von vier Drogerien im Frutigland bilden Lernende aus. «Drogisten sind aufgrund ihrer Ausbildung in der Pharmaindustrie sehr begehrt», so Larissa Borean, Inhaberin der Erlebnisdrogerie Adelboden und KBD-Vorstandsmitglied. Diesen Weg wollte sie allerdings nicht einschlagen. Nach der Höheren Fachschule in Neuchâtel übernahm sie 2023 die Wildstrubel-Drogerie Koller in Adelboden, die sie nun schrittweise modernisiert. Das Retro-Design erinnert an alte Zeiten und erzählt die Geschichte der Drogerie neu. Ein Showlabor hat sie bereits eingerichtet. Hier produziert die Erlebnisdrogerie Spagyrik, Tinktur-Mischungen und Hustensäfte – jede Saison kommt eine neue Hausspezialität dazu, verrät Borean. In Kursen lernen die Teilnehmenden in der Erlebnisdrogerie beispielsweise, Utensilien wie Riechstifte herzustellen.
Kompetente Beratung
Die Pedro-Drogerie Frutigen wartet gleich mit einer ganzen Palette an Hausspezialitäten auf. Von Kapseln über Tees, Tropfen und Salben bis zu spagyrischen Mischungen reicht ihr Angebot, das sie entweder im Haus selbst herstellt oder, wenn die Infrastruktur fehlt, extern gemäss eigener Rezeptur fabrizieren lässt. Auch für Nutz- und Haustiere bietet sie ein grosses Sortiment an Hausspezialitäten, Ergänzungsfuttermitteln und Komplementärmedizin an, von der Phytotherapie bis zu Mineralmischungen.
Einige der Teammitglieder der Pedro-Drogerie führen eigene Landwirtschaftsbetriebe und können so auf einen grossen Erfahrungsschatz zurückgreifen. In Kursen vermitteln sie LandwirtInnen ihr Wissen über den Nutzen der Natur für Haus und Hof.
Weiterbildungen sind für die Drogist-Innen zentral. So hat jede Drogerie ihre SpezialistInnen, die über vertieftes Wissen in Bereichen wie zum Beispiel Schüssler-Salze oder Aromatherapie verfügen. Die Pedro-Drogerie AG, zu der mit Frutigen fünf Drogerien im Kanton Bern gehören, geht auf Victor Mey zurück, der in den 70er-Jahren eine Dorfdrogerie in Heimberg betrieb, woraus sich dank seines Engagements die erste Drogerie-Gruppierung in der Schweiz entwickelte. Für Geschäftsführerin Kathrin Nydegger, die sich auch im Stiftungsrat der Ballenberg-Drogerie engagiert, ist das enorme Wissen, das in den einzelnen Drogerien zusammenkommt, zentral. «Drogisten betrachten den ganzen Menschen und können ein ganzheitliches Therapiekonzept anbieten.»
Anhand von gezielten Fragestellungen schätzen sie rasch ein, wie sich Beschwerden mit Selbstmedikation behandeln lassen oder ob ärztliche Hilfe notwendig ist. Würden mehr Menschen von diesem Angebot Gebrauch machen, liessen sich die Kosten im Gesundheitssystem reduzieren.
Gesundheit in die Hand nehmen
Auch Martin von Känel, der seit 16 Jahren zusammen mit seiner Frau Evi die Drogerie von Känel in Reichenbach führt, betont das Potenzial der klassischen Heilp!anzenkunde, die ihren Ursprung in der Klostermedizin und in der Volksmedizin hat. «Während der Corona-Zeit hatten die Drogerien eine deutlich höhere Kundenfrequenz zu verzeichnen und konnten ihre Flexibilität und Fachkompetenz unter Beweis stellen», so von Känel.
Der Umsatz sei heute höher als noch vor Corona. «Vor allem die Nachfrage im Bereich der alternativen Heilmittel ist steigend», so von Känel. «Die Leute wollen ihre Gesundheit selbst in die Hand nehmen.» Auch die Drogerie von Känel stellt individuelle Spagyrikmischungen, Tee- und Tinktur-Mischungen sowie viele Hausspezialitäten her. Im Bereich Veterinärmedizin arbeitet sie heilp!anzenbasiert mit Tierärzten zusammen. Von Känel beobachtet aber auch den Trend zum Bestellen von Medikamenten im Internet, was höchst problematisch sei. Es kursieren gefälschte Waren, und anders als in der Schweiz dürfen Anbieter im Ausland mit Heilsversprechen werben. Während der Online-Handel kaum kontrolliert werden kann, setzt das kantonale Heilmittelinspektorat auf die Kontrolle von Drogerien und Apotheken, wobei die strengen Au!agen den Drogerien die Herstellung von eigenen Heilmitteln erschweren können. Die Gründerväter des KBD hatten mit ähnlichen Hürden zu kämpfen. Eine kantonale Verordnung, welche die Freiheit der Berner Drogisten beschneiden sollte, gab vor 130 Jahren den Anlass zur Gründung des Verbandes, wie Elisabeth von Grünigen-Huber, Inhaberin der Drogerie von Grünigen in Gstaad, an der letzten GV des KBD aufzeigte.
Im Archiv ihres Schwiegervaters Johann Peter von Grünigen, ehemaliger Präsident des KBD, stiess sie in der Chronik zum 100-Jahr-Jubiläum des Verbandes auf das Gründerprotokoll vom 8. Mai 1895. Die Versammlung der Gründerväter sei zu folgendem Schluss gekommen: «Die Verordnung befolgt die ausgesprochene Tendenz, den Drogistenstand, so wie er sich seit einer langen Reihe von Jahren im Canton Bern speziell aus den Bedürfnissen der Bevölkerung zu Stadt und Land und zwar zu deren vollständigster Befriedigung herausgebildet hat, auf die empfindlichste Art lahmzulegen.» Die Versammlung war der Ansicht, dass die neue Verordnung der Handels- und Gewerbefreiheit zuwiderlief und die Berner Drogisten sich zur Wahrung ihrer Interessen zu einem Verband zusammenschliessen mussten.