Wohnraum für Saisonangestellte: Wunsch und Wirklichkeit
21.10.2025 AdelbodenIn einem Workshop vertieften Vertreterinnen und Vertreter von Hotels und Bergbahnen sowie Tourismusfachleute Fragen rund um die teils schwierige Wohnsituation von saisonweise beschäftigten Arbeitskräften. Können Baugenossenschaften Linderung bringen?
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In einem Workshop vertieften Vertreterinnen und Vertreter von Hotels und Bergbahnen sowie Tourismusfachleute Fragen rund um die teils schwierige Wohnsituation von saisonweise beschäftigten Arbeitskräften. Können Baugenossenschaften Linderung bringen?
RETO KOLLER
«Marco ist Italiener. Er arbeitet in einem Hotel und verdient sich abends in einem Sportgeschäft ein Zubrot. Er wohnt in einer kleinen Gemeinde, etwa acht Kilometer ausserhalb seiner Arbeitsstätte, eines bekannten Gästeortes im Oberwallis. Jeden Morgen um 5.11 Uhr besteigt er den Bus, um pünktlich am Arbeitsplatz einzutreffen. Dort zu wohnen, wo er arbeitet, kann sich Marco nicht leisten. Zu hoch sind die Mieten, zu tief sein bescheidenes Einkommen. Teil des pulsierenden Lebens im Ferienort zu sein, bleibt dem 25-Jährigen verwehrt.» So eröffnete der Oberwalliser Tourismusfachmann Andreas Zenhäusern den Workshop am letzten Mittwoch im Adelbodner Gemeindehaus. Zusammen mit seinem Kollegen Ephraim Gerber leitet er ein schweizweites Forschungsprojekt zum Thema Unterkunft von Saisonniers in Bergtourismusorten (siehe Kasten). In vier Arbeitsgruppen machten sich die Adelbodner Touristikerinnen und Touristiker Gedanken über die Bedürfnisse von Saisonniers und das lokale Wohnangebot. Anschliessend zerbrach man sich den Kopf über Lösungsansätze.
Bedürfnis und Wirklichkeit
Die Gruppen waren sich weitgehend einig: Wohnraum für nur saisonweise Arbeitende ist knapp, häufig überteuert, schlecht ausgestattet und zu wenig zentral gelegen – so lautete der Tenor.
Wer als Hotelier seinem saisonweise arbeitenden Personal passende Wohnungen bieten will, muss solche ganzjährig anmieten und Leerstände während der Schliessungszeiten seines Betriebes auf die eigene Kappe nehmen. «Ich habe 15 solcher Studios und Kleinwohnungen unter Vertrag», meinte Hotelier und Adelboden-Tourismus-Präsident Ralph-Marc Diebold. Er müsse einige davon verbilligen, um sie für sein Personal überhaupt erschwinglich zu machen. Die Tatsache, dass in Adelboden der öffentliche Ortsverkehr ab etwa 18 Uhr den Betrieb einstellt, macht die Wohnungssuche für die häufig ohne Auto anreisenden Arbeitskräfte nicht einfacher.
Die Schweiz ist teuer
Ein Thema waren auch die häufig falschen Erwartungen der Arbeitssuchenden. Die Kosten, welche Arbeitnehmende in der Schweiz zu tragen haben, werden häufig unterschätzt. «Die Wohnungsmiete und die hohen Krankenkassenprämien gehen zu Lasten des Angestellten und schmälern den Bruttolohn», bemerkte eine Teilnehmerin. Kursleiter Zenhäusern brachte es auf den Punkt: «Häufig sind die Angebote teuer, nicht zeitgemäss ausgestattet und schlecht erreichbar – wie in anderen untersuchten Tourismusorten auch. Dies kann die Leistungsbereitschaft der Arbeitnehmenden verringern, was sich negativ auf die Gastfreundschaft auswirkt und die Attraktivität der Destination als Arbeitsplatz verkleinert. Das verschärft den Arbeitskräftemangel zusätzlich», kommentierte der Tourismusexperte.
Im zweiten Teil des Workshops setzte man sich mit den wichtigsten Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner auseinander. Ein Internetanschluss ist heute ein Muss, ebenso eine zentrale oder zumindest gut erschlossene Lage. Der Ausbaustandard der Wohnung sollte zeitgemäss sein, und das Kochen einer Mahlzeit muss möglich sein. «Personalunterkünfte mit einer Toilette für 15 Personen genügen den heutigen Ansprüchen nicht mehr», bemerkte ein Hotelier. Die 22 durch Ephraim Gerber in Adelboden durchgeführten Interviews mit Saisonniers ergeben ähnliche Aufschlüsse wie der Workshop.
Ganzjahres-Ferienort als Ziel
Tourismuspräsident Diebold dachte laut über die Gründung einer Wohnbaugenossenschaft nach: «An für Saisonniers passende Erstwohnungen dürfen keine Renditeerwartungen geknüpft sein. Wir Betroffenen müssten uns zusammentun und einen Beitrag zu einer solchen Lö- sung leisten.» Auf die Frage nach Bauland, welches die beschriebenen Voraussetzungen erfüllen könnte, erwähnte Gemeinde-Obmann Willy Schranz das gemeindeeigene Areal des Dorfkindergartens. Dieser könnte im Zuge der geplanten Schulraumerweiterung im Sekundarschulhaus verlegt werden. René Müller ist Präsident der Bergbahnen Adelboden und Hotelier. Er setzt auf die Entwicklung Adelbodens zur Ganzjahresdestination: «So können wir aus Saisonangestellten ganzjährig Beschäftigte machen», meinte er und fand mit dieser Ansicht breite Unterstützung. Das Ziel steht auch im hiesigen touristischen Masterplan weit oben.
Zenhäusern fasste zusammen: «Das Problem ist weithin erkannt, und die betroffenen Kreise müssen es gemeinsam lösen. Nur Arbeitskräfte, die sich in ihrer Wohnung und im Job wohlfühlen, strahlen echte Gastfreundschaft aus.»
Die Grundlage der Zahlen
Das Forschungsprojekt «Wohnsituation von Saisonniers in Wintersportorten» wurde vom Bundesamt für Wohnungswesen an die Universität Lausanne vergeben und von den Kantonen Bern, Waadt und Wallis mitfinanziert. Villars-sur-Ollon, Leysin, Saas-Fee und Adelboden wurden unter die Lupe genommen. Die Forschenden richteten ihr Augenmerk auf die Bedürfnisse der Saisonniers und das Angebot, welches sie erwarten. In lokalen Workshops tauschte man sich über die Ergebnisse der Befragungen aus und beugte sich über mögliche Lösungsansätze. In einem nationalen Anlass Ende Oktober werden die Resultate zueinanderfinden. Projektleiter sind Ephraim Gerber (Universität Lausanne) und Andreas Zenhäusern (Fachhochschule Wallis).
RK