Zweischneidige Solidarität

  14.03.2023 Politik

KANTONALE ABSTIMMUNG VOM 12. MÄRZ

Das Frutigland meinte es gut mit den Randregionen am anderen Ende des Kantons und stimmte den beiden Verkehrssanierungen im Emmental und im Oberaargau klar zu. Doch nicht alle Direktbetroffenen freuen sich über diese Geste.

JULIAN ZAHND
Das Kandertal kennt sich mit Umfahrungen aus: Wer mit dem Auto zwischen Spiez und Frutigen unterwegs ist, rollt über weite Strecken auf Strassenstücken, die zwischen 1985 und 2008 entstanden sind: Durch diese Umfahrungen wurden Ortskerne verkehrstechnisch entlastet, AutomobilistInnen kommen zudem schneller ans Ziel – ein doppelter Vorteil also.
Bis auf Kandersteg unterstützten die Frutigländer Gemeinden die Verkehrssanierungen Burgdorf–Oberdorf–Hasle («Emmentalwärts») sowie Aarwangen überdurchschnittlich. Dabei könnten Erfahrungswerte zwar eine Rolle gespielt haben, aber wohl nicht die entscheidende. Seit Jahrzehnten sucht man in den betroffenen Gegenden nach Lösungen, um die dortige Verkehrssituation zu entschärfen. Ein Ja stand daher für einen gewissen Pragmatismus, zumal für die Projektierung bereits mehrere Millionen Franken ausgegeben worden waren. Als Randregion gewichtet man im Oberland zudem die Vorteile des Individualverkehrs grundsätzlich stärker als in gut erschlossenen Gebieten. Vor allem aber appellierten die Befürworter der Umfahrungen an die Solidarität, die gerade unter Gegenden an der Peripherie ausgeprägt ist. Die Projekte, so die Unterstützer, seien fürs Emmental und den Oberaargau von wirtschaftlicher Bedeutung und würden dort die Lebensqualität steigern. Dieses Argument schien zu verfangen.

Zumindest beim Projekt «Emmentalwärts» scheint das Argument der Solidarität für eine Randregion stichhaltig: Die über 300 Millionen Franken teure Verkehrssanierung Burgdorf–Oberburg– Hasle beinhaltet die beiden Umfahrungen von Oberburg und Hasle sowie mehrere Massnahmen zur Verflüssigung und Beruhigung des Verkehrs in Burgdorf. In der ganzen Region war das Projekt unumstritten und fand eine Dreiviertelsmehrheit. Die kantonsweite Zustimmung lag bei 56,9 Prozent.

Ist das Problem nur lokal gelöst?
Anders das Bild bei der rund dreimal günstigeren Umfahrung Aarwangen: Im direkt betroffenen Oberaargau fand die Vorlage bloss eine Zustimmung von 54 Prozent. Besonders augenfällig: Während in der Gemeinde Aarwangen über 70 Prozent Ja sagten, lehnten zahlreiche Gemeinden in der näheren Umgebung die Vorlage teils wuchtig ab. Im benachbarten Thunstetten unterstützten nur gerade 23,6 Prozent die Umfahrung. Während es dem Kanton gelungen ist, das Projekt «Emmentalwärts» breit abzustützen, scheinen die Vorteile der Umfahrung Aarwangen lokal begrenzt. Ein Ja war daher durchaus eine Solidaritätsbekundung gegenüber der verkehrsbelasteten Gemeinde Aarwangen, jedoch nicht für die ganze Region Oberaargau. Tatsächlich bekämpften EinwohnerInnen vor Ort dieses Projekt unter anderem deshalb, weil sich das Aarwangener Verkehrsproblem durch die Umfahrung bloss um ein paar Kilometer verlagere, jedoch nicht lösen lasse. Hinzu kamen Argumente des Naturschutzes, da die Umfahrung mitten durch das sogenannte Smaragdgebiet führt, das als ökologisch besonders wertvoll gilt. Diese Argumente sowie die Grundhaltung, wonach solche «Megastrassen» nicht mehr zeitgemäss seien, überzeugten auch ausserhalb der Region. Dies führte letzten Endes zum knappen Ergebnis von 51,7 Prozent Ja-Stimmen, das für die Gegner durchaus als Erfolg gewertet werden kann: Als im Jahre 2017 über den Projektierungskredit abgestimmt wurde, lag die Zustimmung noch bei über 60 Prozent, obwohl die Plandetails bereits damals bekannt waren.

Die mit Abstand grösste Unterstützung erhielt die Umfahrung Aarwangen vom benachbarten Verwaltungskreis Emmental, der Ja-Anteil lag bei satten 64,7 Prozent. Vermutlich spielte auch hier die Solidarität mit: Wer sich selbst ein kostspieliges Verkehrsprojekt leistet, sollte bei anderen schliesslich nicht knauserig sein.

Auffallend ist letztlich die tiefe Stimmbeteiligung: nur 30 Prozent der StimmbürgerInnen äusserten am Sonntag ihre Meinung, im Tal waren es noch ein paar Prozentpunkte weniger.

Politisch abgeschlossen, rechtlich noch nicht
Wie wurde das Abstimmungsresultat bei GegnerInnen vor Ort gelesen? Eva Fuhrimann ist Co-Präsidentin des Vereins «Natur statt Beton», der den Widerstand vor Ort orchestrierte. Zuerst sei viel Frust vorhanden gewesen, so die gebürtige Kanderstegerin am Sonntag. Doch im Laufe des Nachmittags sei eine Portion Stolz hinzugekommen, da man realisiert habe, was erreicht worden sei.

Der politische Entscheid bedeutet für Fuhrimann aber keineswegs das Ende des Kampfes. Nach wie vor stehe den GegnerInnen der Rechtsweg offen. Fuhrimann verweist dabei auf insgesamt 19 Beschwerden, die bereits 2022 eingereicht worden und noch hängig seien. «Zunächst muss sich der Regierungsrat um die Sache kümmern. Wir sind der Meinung, dass dieses Projekt nicht bewilligungsfähig ist, dies wird nun auf dem Rechtsweg geklärt. Es kann somit noch Jahre dauern, bis die Projekte realisiert werden.» Auch bei der Verkehrssanierung Burgdorf–Oberburg–Hasle sind noch Beschwerden hängig, wie das kantonale Referendumskomitee gegen die beiden Projekte in einer Stellungnahme schreibt.

Die Unterlegenen haben die Lust am Widerstand offenbar noch nicht verloren – und auch den Humor nicht, wie die letzte augenzwinkernde Bemerkung von Eva Fuhrimann zeigt: Ihre Heimatgemeinde Kandersteg hat die Vorlage nämlich abgelehnt. «Mein Einfluss scheint damit höher zu sein als jener Adolf Ogis, der beherzt für ein Ja warb.»


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