Zwillinge im Gleichschritt – und doch jede auf ihrem Weg
07.10.2025 SportSeit ihrer Kindheit sind die 25-jährigen Zwillingsschwestern Gianna Chiara und Carla Nina Wohler mit dem Laufsport verbunden. Bereits im Alter von sieben Jahren begleiteten sie ihren Vater zu Trainings und Wettkämpfen – der Beginn einer Leidenschaft, die bis heute ...
Seit ihrer Kindheit sind die 25-jährigen Zwillingsschwestern Gianna Chiara und Carla Nina Wohler mit dem Laufsport verbunden. Bereits im Alter von sieben Jahren begleiteten sie ihren Vater zu Trainings und Wettkämpfen – der Beginn einer Leidenschaft, die bis heute anhält. Laufen war für beide stets unkompliziert und effektiv, ob als Ausgleich zum Langlauf oder als eigenständige Disziplin.
MICHAEL SCHINNERLING
Es ist Samstagmorgen, der 13. September, als sich Gianna Chiara und Carla Nina Wohler zum Lauftraining in Reichenbach bereit machen. Der Zeitplan der beiden Schwestern ist eng. Heute gestalten sie ihre Trainingswochen individuell: Gianna kombiniert ihr Pensum mit einem anspruchsvollen Berufsalltag als Pflegefachfrau und ihrem Studium. An freien Tagen stehen längere Einheiten auf dem Programm, während sie an Arbeitstagen kürzere, intensive Trainings absolviert. Auch Carla passt ihr Training flexibel an. Meist beginnt sie die Woche mit einem Ruhetag und nutzt freie Zeit für längere oder doppelte Einheiten.
Zwillinge im Gleichschritt – und doch individuell stark
In ihrer Herangehensweise unterscheiden sich die Zwillinge zunehmend: Gianna trainiert intuitiv und pragmatisch, Carla reflektiert viel und sucht nach Optimierung. Diese Unterschiede bereichern ihr gemeinsames Training. Sie fordern sich gegenseitig heraus und profitieren voneinander. Bei Rückschlägen und Verletzungen gehen beide unterschiedlich damit um: Gianna hat gelernt, auf ihren Körper zu hören und ihm nötige Pausen zu gönnen. Carla arbeitet daran, Niederlagen besser zu verarbeiten und sich die nötige Zeit zur Erholung zu nehmen. Beide sind sich einig: «Mentale Stärke ist im Sport genauso entscheidend wie körperliche Fitness.»
Die Beiden verbindet nicht nur die Leidenschaft für den Ausdauersport, sondern auch eine besondere Zwillingsbeziehung, die ihre Entwicklung stark geprägt hat. Lange profitierten beide davon, gemeinsam zu trainieren, sich zu motivieren und ihre Stärken zu bündeln. Mit der Zeit wurde der Vergleich von aussen jedoch zur mentalen Herausforderung. Beide mussten lernen, ihre Leistungen unabhängig voneinander zu betrachten und sich als individuelle Athletinnen wahrzunehmen.
«Es war nicht einfach, sich nicht ständig zu vergleichen», sagt Gianna. «Aber ich kann das heute besser differenzieren.» Carla hat durch die Zusammenarbeit mit einem Sportpsychologen gelernt, den Fokus wieder auf die Vorteile ihrer Zwillingsbeziehung zu legen. Die gegenseitige Herausforderung bleibt dennoch bestehen – besonders bei intensiven Einheiten oder Wettkämpfen.
Für Carla ist Gianna ein grosses Vorbild, das sie antreibt, selbst besser zu werden. Wenn eine von beiden erfolgreicher abschneidet, ist die Freude für die andere da. Gianna erzählt, wie sie früher Mühe hatte, sich nicht als Teil von Carlas Leistung zu sehen. Carla wiederum gesteht, dass sie sich oft hinterfragt hat, wenn Gianna vorne lag.
Heute gelingt es beiden besser, ihre Leistungen differenziert zu betrachten und stolz aufeinander zu sein. Die Vorstellung, einmal in unterschiedlichen Disziplinen zu starten, ist inzwischen realistisch geworden. Während sie früher alles gemeinsam machten, erkennen sie heute ihre individuellen Stärken – und sehen darin eine Chance, sich weiterzuentwickeln: als Athletinnen und als Schwestern.
Mentale Stärke und Teamgeist
Gianna Chiara und Carla Nina Wohler sind nicht nur erfolgreiche Ausdauerathletinnen, sondern auch ein eingespieltes Team. Ihre Zwillingsbeziehung prägt ihren sportlichen Alltag ebenso wie ihre Persönlichkeiten, die sich auf besondere Weise ergänzen. Beide sind ehrgeizig und zielstrebig – Gianna eher organisiert und strukturiert, Carla impulsiv und lernbereit. Gemeinsam bilden sie ein starkes Duo, das sich gegenseitig motiviert und unterstützt.
Mentale Stärke spielt für beide eine zentrale Rolle. Sowohl im Langlauf als auch im Laufsport sind körperliche Belastung und mentale Widerstandskraft entscheidend. «Du musst an dich glauben, auch wenn sich die Beine einmal nicht gut anfühlen», sagt Gianna. Carla ergänzt: «Mentale Stärke entscheidet im Langlauf über Sieg und Niederlage – gerade weil viele Faktoren im Wettkampf nicht beeinflussbar sind.»
Vor Wettkämpfen setzen die Schwestern auf gemeinsame Routinen: Einlaufen zu zweit, Gespräche über Alltägliches oder kleine Ablenkungen helfen, die nötige Lockerheit zu bewahren. «Es gibt mir das Gefühl, nicht allein zu sein», so Carla. In intensiven Momenten spüren beide die Kraft ihrer Verbindung – wie bei der Universiade, wo Carla Bronze holte und Gianna auf Platz sechs folgte. «Es war unser Tag», erinnert sich Gianna. «Wir konnten gemeinsam unsere Leistung abrufen.»
Klare Ziele für die Zukunft
Für die kommenden Jahre haben beide klare Ziele: Gianna möchte bei Skimarathons und im Traillauf vorne mitmischen, Carla strebt einen Weltcup-Start an und will ihre Laufzeiten über zehn Kilometer und Halbmarathon verbessern. Beide sind Teil des neuen Adidas-Terrex-XC-Ski-Teams und freuen sich auf die kommenden Herausforderungen.
Auch ausserhalb des Sports sind die Schwestern aktiv: Gianna arbeitet als Pflegefachfrau auf der Notfallstation und absolviert den Master in Pflege (Master of Science Nursing) mit der Vertiefung Clinical Nurse Specialist. Carla interessiert sich für eine Karriere im Radiojournalismus – ein Beruf, der Menschen erreicht und bewegt. Sie studiert Politikwissenschaften und arbeitet daneben zu fünfzig Prozent im Eventmanagement. Der Sport bleibt für beide ein zentraler Teil ihres Lebens, auch wenn sich der Fokus in zehn Jahren verändern könnte. Inspiration finden sie unter anderem bei Marlen Reusser, deren Zielstrebigkeit und mentale Stärke sie beeindrucken. Auch ihr jüngerer Bruder Ursin ist sportlich aktiv. Trotz Altersunterschied bewundern die Schwestern seinen Ehrgeiz und unterstützen ihn, wo sie können. «Ich bin stolz auf ihn», sagt Gianna. «Er geht seinen Weg – und das beeindruckt mich», ergänzt Carla.
Ein Mentaltrainer hilft
Ein wichtiger Schritt war die Zusammenarbeit mit einem Mentaltrainer im vergangenen Herbst und Winter. Diese Erfahrung hat den beiden geholfen, sich selbst besser zu verstehen und als Team noch stärker zu agieren – ein Schlüssel für ihre Erfolge und ihre persönliche Entwicklung.
Ob auf der Laufstrecke, im Studium oder im Alltag: Gianna Chiara und Carla Nina Wohler zeigen, wie viel Kraft in Zusammenhalt, Individualität und gegenseitigem Vertrauen steckt.