Zwischen Lob und Schelte
26.05.2023 Reichenbach, KientalDie Gemeindeversammlung vom Dienstagabend lief ruhig ab – bis zum letzten Traktandum. Im «Verschiedenen» meldeten sich mehrere Bürger zu Wort und erteilten dem Gemeinderat ganz unterschiedliche Noten.
JULIAN ZAHND
Der Beginn der ...
Die Gemeindeversammlung vom Dienstagabend lief ruhig ab – bis zum letzten Traktandum. Im «Verschiedenen» meldeten sich mehrere Bürger zu Wort und erteilten dem Gemeinderat ganz unterschiedliche Noten.
JULIAN ZAHND
Der Beginn der Gemeindeversammlung vom 23. Mai war geprägt von vielen Zahlen und wenig Diskussionsbedarf. Wer will schon eine Jahresrechnung beanstanden, deren Steuerhaushalt um 1,15 Millionen Franken besser abschliesst als budgetiert. Die Gründe für die Differenz sind vor allem auf der Einnahmenseite zu finden: Die Gemeinde nahm massiv mehr Steuern ein als erwartet. Die Corona-Nachwehen blieben aus, zudem gab es im letzten Jahr einen saftigen Lottogewinn, der über 300 000 Franken an Gewinnsteuern einbrachte. Die Gemeinde konnte sämtliche Investitionen selbst finanzieren. Die Eigenmittel stiegen um knapp eine Million Franken, zudem konnten Schulden abgebaut werden. Letztlich genehmigte die Versammlung die Rechnung 2022 einstimmig.
Trotz des einwandfreien Ergebnisses setzten die Verantwortlichen viel daran, nicht in Jubelstimmung zu verfallen. Er müsse sich eingestehen, zu vorsichtig budgetiert zu haben, sagte Gemeinderat Toni Imsand zwar. «Aber im Nachhinein sind wir alle Experten.» Wie schwierig das Endergebnis vorauszusehen ist, zeigte Finanzverwalter Marco Schläppi anhand eines Gedankenspiels auf: «Wären etwa die Lottogewinnsteuer sowie die Mehrerträge durch die Neubewertungen ausgeblieben und hätten wir gleichzeitig einen strengen Winter mit viel Winterdienst erlebt, dann hätte die Rechnung wohl negativ abgeschlossen.»
Abkehr vom Kreisel
Nachdem die Versammelten zwei Kreditabrechnungen (Wasserleitungen Holzmatte und Gisel) zur Kenntnis genommen hatten, erhielten sie im Traktandum «Verschiedenes» das Wort. Zunächst informierte Gemeinderat Martin Gerber über den Stand des Kreiselprojekts. Nach jahrelanger Planung des Kantons hatte sich der Gemeinderat 2022 entschieden, beim neu zuständigen Bundesamt für Strassen (Astra) eine Sistierung zu beantragen. Die Kreisellösung stelle ein Sicherheitsrisiko für Schulkinder aus Reudlen dar, welche die Strasse queren müssten. Eine Ampel, die den Verkehr zwischenzeitlich anhalte, sei letztlich die bessere Lösung, so Gerber. Deshalb habe das Astra zugesagt, die Installation einer «intelligenten» Lichtsignalanlage zu prüfen, die den Verkehr effizienter steuern würde.
Für sein Vorgehen erntete der Gesamtgemeinderat Glückwünsche. «Es hat zwar einige Zeit gedauert, aber nun ist die Einsicht doch gekommen, dass dieser Kreisel keine gute Sache wäre», so ein sichtlich erleichterter Bürger. Bereits zu Beginn der Projektierung hätten Direktbetroffene grosse Zweifel angemeldet. Vom Kanton sei das aber nicht wirklich ernst genommen worden. «Die kantonalen Behörden handelten teilweise katastrophal.»
Kritik, die ins Leere lief
Auf einen kurzen Überblick über den Stand des Steinschlagschutzprojekts in Reudlen kam mit dem Kleinwasserkraftwerk Howald am Ende der Veranstaltung ein weiterer Dauerbrenner aufs Tapet. So technisch einwandfrei die Anlage funktioniert, so turbulent verlief lange Zeit deren Organisation. Es gab einen Rechtsstreit zwischen der Bauherrin und dem zuständigem Bauunternehmer. Die Gemeinde als Mehrheitsaktionärin zog zudem nicht am selben Strick, im Gemeinderat herrschte zunehmend Uneinigkeit. Im letzten Jahr trat infolge dieser Querelen der gesamte Verwaltungsrat der Kleinwasserkraftwerk Howald AG zurück. Mittlerweile ist er neu besetzt, die Lage scheint sich beruhigt zu haben. Doch nach wie vor kann das Kraftwerk nicht mit seiner Vergangenheit abschliessen. Zurzeit ist nämlich eine aufsichtsrechtliche Beschwerde gegen den Gemeinderat bei der Statthalterin hängig, eingereicht von einem Bürger, der bis Ende Jahr selbst Mitglied dieses Gremiums war. Der Beschwerdeführer artikulierte seine Schelte am Gemeinderat an der Versammlung wortreich, blitzte letztlich aber ab. Einerseits verzichtete der Gemeinderat angesichts des hängenden Beschwerdeverfahrens auf eine Stellungnahme. Und auch von den übrigen 57 Anwesenden schien niemand Lust zu haben, in die Diskussion miteinzustimmen, die erstens für Aussenstehende schwer zu fassen war und zweitens auch von persönlichen Beweggründen geprägt zu sein scheint.
Und so verhallte die Kritik an diesem Abend im Kirchgemeindehaus. Verstummen dürfte sie in nächster Zeit jedoch kaum – zumindest so lange, bis die Statthalterin ein Urteil fällt.