Hochschulabsolventen stammen nicht immer aus Akademikerfamilien: In bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen, schaffte es Niklaus Künzi zum angesehenen Wissenschaftler im Bereich der Tierzucht. Im Ruhestand pflegt er vermehrt wieder seine Engstligtaler Wurzeln.

TONI KOLLER
In diesem Bau würde man nicht unbedingt einen Adelbodner Bauernsohn vermuten: Das Haus «Tuttelmattli» am Hörnliweg verkörpert mit vertikaler Holzverschalung und rot eingefassten quadratischen Fenstern eine ungewohnt zeitgenössische alpine Baukunst. Entworfen hat es eine von Niklaus Künzis Töchtern – sie ist gelernte Architektin – und bei den Bauarbeiten hat ihr Vater damals kräftig mit Hand angelegt. Das war vor 16 Jahren, nachdem Künzi als Professor für Tierzuchtlehre an der ETH Zürich in Pension gegangen war. Nach wie vor lebt er mit seiner Gattin Verena zwar im zürcherischen Steinmaur, aber inzwischen verbringen die beiden drei bis vier Monate pro Jahr in Adelboden, öfters auch mit Besuch von Kindern und Enkelkindern. Das hochwertige, aber in der äusseren und inneren Gestaltung schnörkellos einfache «Tuttelmattli» ist Künzis zweite Heimat.

Gefördert und gefordert
Schliesslich ist Niklaus Künzi auch unweit von hier im Schlegeli gross geworden – allerdings in einer anderen Art von Einfachheit: 1936 geboren, wuchs er als eines von zehn Kindern in einer Grossfamilie auf; sein Vater war zunächst Landwirt, musste seine Famile aber später als Gelegenheitsarbeiter durch schwierige Zeiten bringen. Sohn Niklaus besuchte im Dorf die Primarschule, verbrachte etliche Sommer als Statterbub auf der Alp und ergriff dann eine landwirtschaftliche Lehre.

Ganz gerne wäre er auch Bauer geworden – aber die Umstände wollten es anders. Als der Direktor der Landwirtschaftsschule Rütti dem 20-Jährigen schliesslich empfahl, die Aufnahmeprüfung für ein Agronomiestudium an der ETH anzupeilen, war sein Ehrgeiz geweckt. «Dies war meine wichtigste berufliche Weichenstellung, ich bin dem Direktor noch heute dankbar», sagt Niklaus Künzi. Und weil sein Götti ihm Unterstützung zugesagt hatte, stand dem Vorhaben auch finanziell nichts mehr im Weg. Es folgten zweieinhalb harte Jahre an der Berner Privatschule «Humboldtianum» zur Vorbereitung auf die ETH-Zulassungsprüfung. «Das gedrängte Einpauken des Mittelschulstoffes war kein Vergnügen», erinnert sich Künzi. «Es war die strengste schulische Zeit meines Lebens.» Aber es sollte sich lohnen: 1959 konnte er an der Abteilung für Landwirtschaft der ETH Zürich das Studium aufnehmen, welches er vier Jahre später als Dipl. Ing. Agr. ETH abschloss.

Akademische Laufbahn in der Tierzucht
Spätestens jetzt galt es, sich auf ein Tätigkeitsfeld zu fokussieren. «Trotz meiner Erfahrungen auf Ackerbaubetrieben während der Lehrzeit fühlte ich mich vor allem der Tierzucht verbunden», erinnert sich Künzi, «da wirkte wohl meine Herkunft aus der Berglandwirtschaft mit.» Er erhielt eine Assistentenstelle auf einem ETH-Versuchsgut im Kanton Zug mit der Aufgabe, zum Beispiel Futterverzehr und Milchleistung von Kühen unterschiedlicher Rassen zu erforschen – was mit der statistischen Auswertung riesiger Datenmengen (mittels Lochkarten!) auf dem damals völlig neuen ETH-Grosscomputer verbunden war.

Diesem Thema widmete Niklaus Künzi – 1967 frisch vermählt mit Verena – auch seine Doktorarbeit, bevor die beiden für ein Jahr in die USA zogen: «Post Doctoral Research Assistant am Department of Animal Science der University of Nebraska» heisst dieser Lebensabschnitt. Nach acht weiteren Jahren als Oberassistent an der ETH Zürich wurde Niklaus Künzi 1978 – damals noch durch den Bundesrat – zum Professor für Züchtungslehre ernannt. Das Verzeichnis seiner entsprechenden Lehr- und Forschungstätigkeit umfasst zahllose für Laien unverständliche Begriffe, ganz praktisch gehörte dazu aber auch das Zusammenwirken mit den Tierzuchtverbänden und anderen landwirtschaftlichen Organisationen der Schweiz. Und nicht zuletzt leistete Prof. Künzi viele Einsätze im Rahmen der technischen Entwicklungszusammenarbeit in Asien, Nordafrika und Lateinamerika.

Zurück nach Adelboden
Mit der Emeritierung im Herbst 2001 (Künzi verzichtet gerne auf den universitären Jargon und spricht von seiner «Pensionierung») begann für ihn ein neues Leben: Im Unterschied zu manch anderen Hochschullehrern hat er sich weitgehend aus den akademischen Zirkeln und Interessenverbänden seiner Disziplin verabschiedet, zumal die angewandte Agronomie immer weniger an der ETH, dafür umso mehr an den Fachhochschulen betrieben wird. «Alles hat seine Zeit», sagt er. So hat er sich mit seiner Frau vermehrt wieder «seinem» Adelboden zugewandt. «Grad richtig integriert bin ich hier ja nicht», schmunzelt er – aber natürlich kennt er nebst seiner Verwandschaft eine Menge Leute hier, unternimmt mit einheimischen Freunden immer wieder Berg- oder Skitouren und ist winters auch auf den Pisten anzutreffen.

Misstrauen gegenüber «gstudierten» Neuerern
Die Basis von Künzis Adelbodner Aufenthalten ist ihr Minergie-Haus «Tuttelmattli» mit seiner radikalen Neuinterpretation der Chalet-Architektur – was dem Eigentümer nicht nur Applaus eingebracht hat. «Dachlattenhütte» war nur einer der kritischen Kommentare, die Niklaus Künzi zu hören kriegte. Aber als überzeugten Verfechter moderner Baukultur bringen ihn «Stammtisch-Sprüche» dieser Art nicht aus der Fassung. Ebensowenig wie damals, als hiesige Bauern ihn wegen seiner Milchleistungsforschung den «10 000-Liter-Mann» nannten und nichts wissen wollten von der heute längst üblichen künstlichen Besamung. Wie auch immer: Niklaus Künzi, stolz und bescheiden zugleich, kann auf ein Leben zurückblicken, das ihn als Primarschüler bis in höchste Ränge der Wissenschaft führte.

Vom Bauernbub zum ETH-Professor

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