Virtuelle Wertminderung
29.01.2019 Frutigen, PolitikBei Schäden gilt das Verursacherprinzip – eigentlich. Denn wenn der Verursacher VBS heisst, ist die Sache meist ein wenig komplizierter. Das zeigen zwei aktuelle Fälle aus dem Tal.
MARK POLLMEIER
Im Sommer 2016 begann man vis-à-vis des Frutiger Bahnhofs mit den ...
Bei Schäden gilt das Verursacherprinzip – eigentlich. Denn wenn der Verursacher VBS heisst, ist die Sache meist ein wenig komplizierter. Das zeigen zwei aktuelle Fälle aus dem Tal.
MARK POLLMEIER
Im Sommer 2016 begann man vis-à-vis des Frutiger Bahnhofs mit den Aushubarbeiten für eine Ausbildungsstätte des Holzbauverbands. Doch schon bald standen die Bagger wieder still – im Erdreich unter der Baustelle waren Kohlenwasserstoffe, also Benzinrückstände gefunden worden. Deren Herkunft war schnell geklärt: Bis in die frühen 1980er-Jahre hatte sich an dieser Stelle ein Tanklager des Militärs befunden. Offenbar hatte das VBS die altlastenrechtliche Untersuchung nicht gründlich genug durchgeführt, bevor das Grundstück neben der Widihalle 1983 an die Gemeinde Frutigen übergeben wurde. So erbte also erst die Gemeinde und dann der Holzbauverband die Rückstände im Erdreich.
Allein Frutigen zahlte 170 000 Franken
Der juristische Laie denkt bei solchen Fällen spontan ans Verursacherprinzip: Derjenige, der den Schaden angerichtet hat, soll auch für dessen Beseitigung sorgen und die Kosten tragen. Tatsächlich ist dieser Grundsatz sogar im Umweltschutzgesetz verankert. In Artikel 2 steht der lapidare Satz: «Wer Massnahmen nach diesem Gesetz verursacht, trägt die Kosten dafür.»
Die Kosten, das waren in diesem Fall rund 500 000 Franken. Wer nun aber dachte, das VBS würde diese Summe komplett übernehmen, wurde diese Woche eines Besseren belehrt. Am Montag gab der Gemeinderat bekannt, wer in welcher Höhe für die «Bauherrenaltlast» geradestehen muss. Das VBS zahlte demnach rund 187 000 Franken, die Gemeinde Frutigen übernahm 170 000. Der Holzbauverband Berner Oberland, der mit den Benzinrückständen am allerwenigsten zu tun hatte, musste sich mit immerhin 130 000 an den Kosten beteiligen. Vom Ärger und der Verzögerung auf dem Bau einmal ganz zu schweigen.
Die Gründe für diese Aufteilung finden sich ebenfalls im Umweltschutzgesetz. Die Kostenverteilung hängt nämlich davon ab, ob ein belasteter Standort als sanierungspflichtig gilt oder nicht. Sanierungspflichtig sind schwerwiegende Verunreinigungen, die beispielsweise eine Gefahr für das Grundwasser darstellen. Ist dies nicht der Fall, kommt der Verursacher vergleichsweise günstig weg, weil er die Entsorgungskosten grösstenteils auf andere abwälzen kann.
Vollzugsbehörde im Fall Widi war übrigens nicht das kantonale Amt für Wasser und Abfall, sondern das VBS selbst. Für dessen Sprecher Renato Kalbermatten kein Widerspruch: Auch das VBS müsse sich ja wie alle anderen an die geltenden Gesetze halten.
Das mag so sein. Dass der Verursacher eines Schadens auch dessen Untersuchung leitet, hat gleichwohl einen merkwürdigen Beigeschmack.
Nur «effektive entstandene» Kosten werden anerkannt
Dieser Geschmack liegt womöglich auch den Bewohnern von Mitholz auf der Zunge. Auch ihnen hat das VBS bekanntlich eine Altlast in Form von mehreren Tausend Tonnen Munition und Sprengstoff hinterlassen. Neben der latenten Gefahr einer Explosion müssen die Mitholzer nun mit einer Wertminderung ihrer Immobilien leben. Dass ein Haus im betroffenen Perimeter nicht mehr so viel Wert hat wie zuvor, scheint auf der Hand zu liegen, und wäre Mitholz ein Dorf in den USA, würde wohl längst eine Sammelklage gegen das Pentagon laufen. Doch nicht nur die Mitholzer, auch der Frutiger Nationalrat Jürg Grossen musste inzwischen lernen, dass der offensichtliche Wertverlust zunächst ein rein virtueller ist. Im letzten Sommer hatte Grossen im Parlament nachgefragt, «wie, wann und von wem die betroffene Bevölkerung für Wertminderungen an Gebäuden und Grundstücken, für Mietzinsausfälle, Rechtsschutz» und ähnliche Beeinträchtigungen entschädigt werde. Der Bundesrat antwortete darauf, der Bund übernehme in den genannten Fällen grundsätzlich schon die Kosten – allerdings erst dann, wenn sie effektiv entstünden und direkt auf nicht vertretbare Risiken zurückzuführen seien. Ähnlich waren zuletzt auch Fragen aus der Mitholzer Bevölkerung beantwortet worden: «Der Bund wird in begründeten Fällen für einen effektiven Minderwert der Liegenschaft zum Realisierungszeitpunkt (z. B. beim Verkauf der Liegenschaft) finanziell aufkommen, sofern er im direkten Zusammenhang mit der aktuellen Situation entstanden ist.»
Der Verlust an Lebensqualität
Es gibt demnach nur eine Situation, in der das VBS vorbehaltlos Entschädigung leisten würde: Wenn es in Mitholz zu einer erneuten Explosion und dadurch zu «effektiven» Schäden an Gebäuden und Grundstücken käme. In allen anderen Fällen – zum Beispiel bei einem Immobiliengeschäft – müsste zunächst geklärt werden, ob eine Wertminderung tatsächlich «im direkten Zusammenhang mit der aktuellen Situation entstanden ist».
Wer also in Mitholz demnächst sein Haus verkaufen will und bei diesem Geschäft einen tiefen Preis befürchtet, muss sich vorgängig beim VBS melden. Denn: «Entschädigungsbegehren werden durch das VBS geprüft», wie dessen Sprecherin Valentine Zubler bestätigt. Da jeder Fall einzeln beurteilt werden müsse, solle man bei Verkaufsabsichten frühzeitig mit dem VBS Kontakt aufnehmen. «So kann das Vorgehen für den konkreten Fall gemeinsam festgelegt und unnötiger Formalismus vermieden werden.»
Unnötigen Formalismus vermeiden, das klingt nach unbürokratischer Hilfe. Es heisst aber auch: Wie schon in Frutigen prüft das VBS als Verursacher des Schadens die Entschädigungsansprüche selbst – eine, vorsichtig ausgedrückt, ungewöhnliche Konstellation.
Grossen trifft die Bundesrätin
Gänzlich unberücksichtigt bleibt bei alledem die emotionale Komponente. Vielen Mitholzern ist seit dem letzten Sommer bewusst, dass sie im Nahbereich eines potenziellen Explosionsereignisses leben. Von den Behörden kam zuletzt die Empfehlung, in den Häusern Schutzräume einzurichten. Dieser Wertverlust an Lebensqualität lässt sich schwer in Geld umrechnen.
Jürg Grossen gibt sich mit der Antwort des Bundesrates nicht zufrieden. Er werde sich im März mit der neuen VBS-Chefin Viola Amherd treffen und dann auch die Frage möglicher Entschädigungszahlungen ansprechen, so der glp-Politiker. Die beiden kennen sich: Bevor sie zur Bundesrätin gewählt wurde, gehörte Amherd der Kommission für Verkehr- und Fernmeldewesen (KVF) an, zeitweise war sie deren Präsidentin. In der KVF sitzt seit 2011 auch Jürg Grossen. Ob der glp-Präsident die neue VBS-Chefin umstimmen kann, bleibt gleichwohl abzuwarten.