ABSTIMMUNG Die AHV-Steuervorlage entlastet die Unternehmen und führt eine steuerliche Gleichbehandlung ein. Im Gegenzug soll die AHV zwei Milliarden Franken pro Jahr zusätzlich erhalten. Die Verknüpfung der beiden Vorlagen ist ziemlich umstritten.

HANS RUDDOLF SCHNEIDER

Was ist der Unterschied zwischen einem Kuhhandel und einem gut eidgenössischen Kompromiss? Mit Blick auf die Abstimmung über die Steuerreform und AHV-Finanzierung (STAF) vom 19. Mai gibt es wohl keinen: Je nach Interessenlage werden beide Ausdrücke für die Vorlage benutzt. Doch warum? Die Ausgangslage ist die Folge zweier gescheiterter Abstimmungen. Die Schweiz muss ihr Steuersystem für Firmen anpassen, um nicht auf einer schwarzen Liste zu landen. Das hat sie mit der Unternehmenssteuerreform III versucht, die 2017 vom Volk aber abgelehnt wurde. Eine leicht angepasste Version ist nun Bestandteil des Abstimmungspakets. Inbegriffen ist neu ein sozialer Ausgleich, welcher der Finanzierung der AHV zugute kommen soll. Der letzte Versuch einer Rentenreform zur Stabilisierung der Finanzierung ging ebenfalls 2017 an der Urne bachab. Nun wird eine Übergangslösung vorgelegt.

Das Parlament hat die beiden Vorlagen – die inhaltlich nichts miteinander zu tun haben – verknüpft und hofft so, dass dieses Gesamtpaket eine Mehrheit an der Urne finden wird.

Worum geht es beim Steuerdeal?
Die international nicht mehr akzeptierten Steuerprivilegien für Statusgesellschaften – das sind überwiegend international tätige Unternehmen – werden gemäss Vorlage abgeschafft. Künftig sollen alle Firmen gleichbehandelt werden. Dass EU und OECD in dieser Hinsicht Druck machen, ist allgemein nicht umstritten. Die Statusgesellschaften liefern dem Bund jedoch 4,3 Milliarden Franken an Steuern ab – dies entspricht knapp 50 Prozent der Einnahmen aller juristischen Personen. Um die Firmen vom Wegzug abzuhalten, sollen nun international anerkannte Steuervorteile eingeführt werden. Die Statusgesellschaften würden so zwar tendenziell mehr Steuern bezahlen, die heute nicht privilegierten Unternehmen – vor allem inländische KMU – aber weniger. Das ist möglich, weil die Kantone mit dieser Reform die Gewinnsteuern senken könnten, was eine Entlastung verspricht.

Den Bund kostet die Steuervorlage rund 700 Millionen Franken. Setzen die Kantone ihre Pläne um, verlieren sie rund 1,3 Milliarden Franken, was total Mindereinnahmen von 2 Milliarden Franken ergibt. Als teilweiser Ausgleich soll der Anteil der Kantone an der direkten Bundessteuer von 17 Prozent auf 21,2 Prozent erhöht werden, dies entspräche etwa 1 Milliarde Franken.

Wie profitiert die AHV?
Das Vorsorgewerk soll 2 Milliarden Franken zur Sicherung der Finanzierung erhalten. Für jeden mit der Steuervorlage wegfallenden Franken wird quasi noch einer in die AHV-Kasse gelegt. Die Finanzierung erfolgt über jene 17 Prozent des Mehrwertsteuer-Demografieprozents, die heute in die Bundeskasse fliessen. Das bringt 520 Millionen Franken. Der Bundesanteil an die AHV-Ausgaben soll von 19,55 auf 20,2 Prozent erhöht werden. Dies würde Mehreinnahmen von 300 Millionen Franken generieren. Zudem müssten zur Restfinanzierung sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer je 0,15 Lohnprozente abliefern, was auf 1000 Franken Lohn 1.50 Franken ausmacht. Mit diesen Massnahmen würde die AHV für einige Jahre Luft bekommen – eine umfassende Rentenreform erübrigt sich dadurch jedoch nicht. Diese ist bereits vom Bundesrat aufgegleist und soll nächstens vorgestellt werden.

Die Argumente und Meinungen
Hauptgegenargument der bürgerlichen Jungparteien und einem Teil der SVP ist die fehlende Einheit der Materie. Wer für das eine, nicht aber für das andere Element der Vorlage sei, könne seinen politischen Willen nicht zum Ausdruck bringen, argumentieren sie. Aus dem linken Spektrum kämpfen Juso und gewerkschaftliche Kreise zusammen mit den Grünen gegen neue Steuererleichterungen für Unternehmen. Ein Generationenkomitee fürchtet, dass mit einem Ja nötige Reformen bei der AHV verhindert würden.

Die Befürworter verweisen darauf, dass das Steuersystem gerechter und gleichzeitig den internationalen Normen angepasst würde. Zudem würden Forschung und Entwicklung in der Schweiz gestärkt. Als sozialer Ausgleich und Stärkung des Sozialwerkes wird die Zusatzfinanzierung der AHV bezeichnet. Beides zusammen sei ein guter Kompromiss, der auch Arbeitsplätze sichere.

Nationale Politiker aus dem Frutigland oder solche mit lokalen Wurzeln haben sich zur Vorlage wie folgt geäussert:

• Für Jürg Grossen, Nationalrat und glp-Präsident, ist die Vorlage ein «fauler Deal». Er unterstütze die Steuervorlage, mit welcher der Wirtschaftsund Forschungsplatz Schweiz international konkurrenzfähig bleibe. Den AHV-Teil sieht er aber «nicht als sozialen Ausgleich». Den Arbeitern und den KMU werde je eine halbe Milliarde Franken aus der Tasche gezogen. Die Verknüpfung der beiden Abstimmuntsthemen kritisiert er heftig; diese sei «weder demokratisch noch nachhaltig».
• Werner Luginbühl, BDP-Ständerat: In der Ständeratsdebatte zur AHV äusserte er sich zwar dahingehend, dass es «eine Bankrotterklärung ist, wenn man mit Gegengeschäften Mehrheiten erkauft». Schliesslich hat seine Partei jedoch die Ja-Parole herausgegeben.
• Albert Rösti, SVP-Präsident, machte an der letzten Delegiertenversammlung seiner Partei klar, dass sich die SVP Schweiz in der Abstimmungskampagne nicht engagieren werde. Eine Stimmfreigabe sei ein klares Signal, «dass wir eine Verknüpfung nicht gutheissen».

Und die Chancen?
Die Abstimmungsumfrage der SRG von Anfang April zeigte eine Zustimmung von 54 Prozent und eine ablehnende Haltung von 37 Prozent der Befragten. In der Tamedia-Umfrage von Mitte des Monats resultierte eine deutliche 62-Prozent-Zustimmung und eine 32-Prozent-Ablehnung. Die Befürworter starten also mit einem komfortablen Vorsprung in die Hauptphase des Abstimmungskampfes. Verschiedene politische Beobachter prognostizieren am 19. Mai eine knappe Annahme.

Parteien und Parolen

Für den Bundesrat und das Parlament stellt die Vorlage einen ausgewogenen Kompromiss dar, welcher der gesamten Bevölkerung zugutekommt. Die Parteien hingegen sind zerstritten, die nationalen Parolen sehen wie folgt aus:
• Die SVP Schweiz hat Stimmfreigabe beschlossen, Teile der SVP bekämpfen die Vorlage. Der SVP-Kreisverband Frutigen-Niedersimmental hat sich zu einem Ja durchgerungen.
• Ebenfalls Ja sagen die nationale SP, die FDP, die CVP und die BDP.
• Gegen die Vorlage haben sich die Grünen und die glp entschieden.
• Gespalten sind auch die Wirtschaftsverbände: Während Economiesuisse, der Schweizer Gewerbeverband und der Arbeitgeberverband zustimmen, lehnt beispielsweise der Berner KMU-Verband den Deal ab. HSF

Wer gewinnt bei dieser komplexen Vorlage?

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