Dauernd unter Strom und überall dabei
05.07.2019 Frutigen, GesellschaftPORTRÄT Die Jugend ist faul und setzt sich für nichts mehr ein – wer so denkt, hat Nina Lüdi und Joyce Roth noch nicht getroffen. Wann immer es etwas zu organisieren gibt, sind die Schülerinnen der OSS Frutigen nicht weit.
BIANCA HÜSING
Will man Joyce Roth auf ...
PORTRÄT Die Jugend ist faul und setzt sich für nichts mehr ein – wer so denkt, hat Nina Lüdi und Joyce Roth noch nicht getroffen. Wann immer es etwas zu organisieren gibt, sind die Schülerinnen der OSS Frutigen nicht weit.
BIANCA HÜSING
Will man Joyce Roth auf dem Natel erreichen, braucht man vor allem eines: Geduld. In ihrer Mailboxansage stellt die 16-Jährige auch gleich klar, ob je die Chance auf einen Rückruf besteht – nur dann nämlich, wenn ihr die Nummer des Anrufers bekannt ist. Man ahnt es: Ein gewöhnlicher Teenager ist Joyce nicht. Selten vergeht eine Woche, in der sie und ihre beste Freundin Nina Lüdi nicht an einem Projekt arbeiten. Und gibt es keines, bei dem sie helfen können, so denken sie sich eben selbst eins aus. Ihr Geniestreich in dieser Hinsicht war ein Benefizkonzert an der Oberstufenschule Frutigen, das sie im Rahmen ihrer Abschlussarbeit durchführten (der «Frutigländer» berichtete im März).
«Ein paar Nummern zu gross für euch»
Ein Konzert als Abschlussarbeit? Die Skepsis in ihrem privaten und schulischen Umfeld war gross. Da mussten Bands und Sponsoren aufgetrieben werden, da waren Catering und Technik zu organiseren und schliesslich eine Helferschar zu dirigieren. «Alle waren sich einig: Das ist ein paar Nummern zu gross für euch», erinnert sich Nina. «Aber das hat uns nur noch mehr angespornt.» Und sind die Zweifel doch einmal auf eine der beiden übergeschwappt, baute die andere sie umgehend wieder auf. Dieser Zusammenhalt ist überhaupt das Erfolgsgeheimnis der Freundinnen. Das Benefizkonzert haben sie damit gut über die Bühne gebracht. Auch manch andere Idee kommt wohl nur zustande, weil sie sich dauernd gegenseitig pushen.
Dabei kennen sich die Neuntklässlerinnen erst seit wenigen Jahren. «Wir sind uns auf einem Anlass der OKJA begegnet und haben schnell gemerkt, dass wir ähnlich ticken», erinnert sich Joyce. Und das sollte sich bewahrheiten: «Wenn es etwas zu organisieren oder zu helfen gibt, sind wir immer die ersten, die sich melden.» Ob beim Sommerlager der OKJA, beim Theaterprojekt der Schule oder bei ihrem eigenen Internet-Radio «08 / 14» mit entstehender Webseite: Die Schülerinnen hängen sich stets rein. Das hat auch Nachteile: «Uns steht der eigene Optimismus schon manchmal im Weg», sagt Nina. Alles halten die zwei für machbar und sind dann umso enttäuschter, wenn etwas mal nicht klappt – wie etwa der geplante OKJA-Ausflug ins Disneyland, für den es schlicht an Anmeldungen mangelte.
Zelebriertes Nichtstun kommt nicht infrage
An diesem Punkt werfen die 15- und die 16-Jährige einen leicht kritischen Blick auf ihre Altersgenossen. «Viele machen heute zu wenig. Sie gehen nach der Schule lieber heim und schauen TV oder beschäftigen sich mit ihrem Handy», klagt Nina. Dafür fehlt auch Joyce das Verständnis. Einfach mal «Chillen», also zelebriertes Nichtstun, kommt für sie kaum infrage. «Wir würden uns dann viel zu schnell langweilen.»
Eine politische Agenda verfolgen die zwei übrigens nicht. Ihre Motivation speist sich aus etwas anderem: «In erster Linie machts einfach Spass, als Freundinnen etwas auf die Beine zu stellen», so Joyce. Ein positiver Nebeneffekt sei dabei das Netzwerken. Man lerne viele Leute kennen, die sich später als wertvolle Kontakte erweisen könnten. Auch in Bewerbungsgesprächen mache sich die Liste der Engagements gut.
Als völlig unpolitisch würden sie sich trotzdem nicht bezeichnen. Am Frauenstreik haben sie nur deshalb nicht teilgenommen, weil parallel eine OKJA-Sitzung lief. Dafür sind sie mal auf einer Klima-Demo mitgegangen – dies vor allem, um das Engagement der Bewegung zu würdigen und sie in ihrem Anliegen zu unterstützen. «Leider achten wir selbst nicht so auf die Umwelt, wie wir sollten», räumt Nina ein.
«Begegnet uns auf Augenhöhe!»
Und wie verbringen Mädchen wie Joyce und Nina ihre Sommerferien? Wenig überraschend: Bei Joyce ist die meiste Zeit schon durchgetaktet. Eine Woche wird sie jobben, eine weitere Woche geht fürs Sommerprojekt der OKJA drauf (drei Tage Geld verdienen für einen zweitägigen Ausflug). Ausserdem überlegt sie, eine Woche mit einer Freundin in Spanien zu verbringen – immerhin. Nina wird wohl vor allem mit dem Umzug ihrer Familie beschäftigt sein: Es geht nach Thun, wo sie ursprünglich auch herkommt. Eine räumliche Trennung bedeutet das für die Freundinnen nur bedingt: Beide besuchen nach den Ferien die zehnte Klasse in Spiez und werden wohl darüber hinaus noch viel gemeinsam unternehmen. Für die fernere Zukunft tönen ihre Pläne dann doch etwas vager: Joyce will mal als Journalistin arbeiten, Nina zieht es in die Sozialbranche.
Von den Erwachsenen wünschen sie sich unterdessen mehr Respekt. Gerade im Hinblick auf das Konzert habe man sie unterschätzt und belächelt. Ihr Appell: «Nehmt die Jugend ernst und begegnet ihr auf Augenhöhe! Wir können was!»