Die Kraft des Wortes
10.09.2019 Reichenbach, Kiental, KulturMit einer packenden Lesung und umrahmt von Handorgelspiel wurden am Samstag die Dichtungen Maria Laubers zum Leben erweckt. Das Spezielle an der Lesung in Aris: Alle Mitwirkenden hatten einen Bezug zur Mundartpoetin.
RUTH STETTLER
«Un underiinischt sy si all zämen ...
Mit einer packenden Lesung und umrahmt von Handorgelspiel wurden am Samstag die Dichtungen Maria Laubers zum Leben erweckt. Das Spezielle an der Lesung in Aris: Alle Mitwirkenden hatten einen Bezug zur Mundartpoetin.
RUTH STETTLER
«Un underiinischt sy si all zämen da: die us em Bäliz, die vam Seewli u die us dr Äglere. Das polet uber d Stäga ueha un uber d Luuba, das stolperet uber d Schwela mit schwere, gnaglete Schuenen u rumplet im Stübli ...» Während das Feuer im Cheminée der Allmihütte loderte, zog Silvia Zurbrügg, passend zum Herbstmonat, mit dem Vorlesen des «Schiidaabe» die Besucher in ihren Bann. Wenn auch die meisten im Saal den Sinn einiger Ausdrücke nicht vollständig verstanden haben, so konnte man sich den geselligen Abend der Sennen zum Abschied ihrer Alpzeit an Elsigen dennoch lebhaft vorstellen. Es ist genau diese differenzierte Sprache, die an Maria Laubers Werk so besonders ist. Die unterschiedlichen literarischen Facetten wurden mehrheitlich aus dem 2016 erschienenen Band der Kulturgutstiftung Frutigland «Isch net mys Tal emitts» vorgetragen.
Maria Lauber erhält Frauenstimmen
Mit Yvonne Lauber und Silvia Zurbrügg erhalten Maria Laubers Geschichten, Sagen, Verse und Gedichte, nebst den Vorlesern Ueli Schmid und Andreas Wäfler auch zwei weibliche Stimmen. Somit treten die beiden Frauen gewissermassen in die Fussstapfen von Luise Schranz aus Achseten, welche kurz nach dem Erscheinen des Sammelbands verstorben ist. «Meine Grosseltern aus Gempelen haben so gesprochen», stellt Silvia Zurbrügg ihren Bezug zum alten «Frutigtütsch» dar. Während ihre Schüler im Oberfeld ab und zu in den Genuss von Lesungen aus alten Zeiten kommen, war dies ihre erste an einem öffentlichen Anlass. Es habe schon Vorbereitung gebraucht, betont sie, und weist vor allem auf die langen Sätze hin, bei denen es von Vorteil ist zu wissen, worauf die Dichterin hinauswollte.
«Iina wa meh cha wan ander.» Voller Spannung hörten die Besucher Yvonne Lauber zu, wie sie aus den Sagen «Vam Strahmli», «D March im Ariswald» und «Van altem-Burgen u vam Chappelewald» vorlas. In jenem Haus an Prasten, in dem Maria Lauber aufgewachsen ist, lebt nun Yvonne Lauber mit ihrer Familie. Ihr Vater ist ebenfalls dort aufgewachsen. Nach ihren «Lehr- und Wanderjahren» ist sie ins Frutigtal zurückgekehrt. Von Urs Küffer, dem Grossneffen Maria Laubers, der ihren Nachlass verwaltete, wurde sie direkt angefragt, ob sie nicht in der Kulturgutstiftung mitwirken möchte. Beide Leserinnen verbindet der Verwandtschaftsgrad zur Taldichterin: Maria Laubers Vater und die Urgrossväter von Silvia Zurbrügg und Yvonne Lauber waren Brüder. Vor diesem Hintergrund wirkte das gelesene Wort besonders authentisch.
Zwischen Himmel und Erde
«Alpenlegendchen» war Maria Laubers erstes, 1920 in gebundener Form erschienenes Werk. Die in Hochdeutsch verfassten Legenden stellen einen spannenden Kontrast zur Dialektliteratur dar. Diese Inhalte «zwischen Himmel und Erde» wurden 1937 von einer Leserin als Gotteslästerung verurteilt und stürzten Maria Lauber damit in Gewissenskonflikte und Schuldgefühle. Obwohl ihr selbst Pfarrer Hutzli aus Reichenbach versicherte, dass seine Söhne sie lesen würden, haderte Lauber mit ihren Texten. In den Zuhörerrängen in der Allmihütte war man sich einig, dass es die Geschichten im Dialekt sind, die besonders lesens- und hörenswert seien.
Die Moderation des «Aabesitz am Namittag» übernahm Urs Gilgien. Seine ergänzenden Erläuterungen ergaben ein Gesamtbild der Literatur Maria Laubers, die das Tal so stolz macht und die die Kulturgutstiftung mit viel Herzblut vertritt. Alt Gemeindeschreiber Jakob Mürner aus Faltschen sorgte mit seiner «Hand-Orgela» für die Musik rund um die Lesungen. Maria Lauber war in Kien, wo sie im Schulhaus die meisten ihrer literarischen Schmuckstücke geschrieben hatte, die Lehrerin seiner Mutter. Und wer am Samstagnachmittag in Aris keinen direkten Bezug zu Maria Lauber hatte, genoss einfach die Kraft des Wortes.