Traditionell und provokativ jubiliert
10.09.2019 Frutigen, PolitikVier regionale SVP-Sektionen haben an einem symbolträchtigen Ort gemeinsam ihren 100. Geburtstag gefeiert – dies einerseits bodenständig, im Hinblick auf die kommenden Wahlen aber auch kämpferisch.
PETER ROTHACHER
Bereits von Weitem winkte das gelbe Maskottchen ...
Vier regionale SVP-Sektionen haben an einem symbolträchtigen Ort gemeinsam ihren 100. Geburtstag gefeiert – dies einerseits bodenständig, im Hinblick auf die kommenden Wahlen aber auch kämpferisch.
PETER ROTHACHER
Bereits von Weitem winkte das gelbe Maskottchen am Sonntag den Gästen auf dem Weg zur Tellenburg zu. Auf das garstig-kalte Wetter hatte das SVP-Sünneli allerdings keinen Einfluss. Und am Anlass der Volkspartei wurden in der Folge auch keine hitzigen Debatten geführt, denn man war ja unter seinesgleichen. Gefeiert wurde an der historischen Stätte das 100-jährige Bestehen der Sektionen Aeschi, Frutigen, Kandersteg und Reichenbach, denen derzeit gut 400 Mitglieder angehören. In eher ungewohnter Montur – nämlich im Chüjermutz – empfing alt Nationalrat Hansruedi Wandfluh vorgestern die Gäste im Festzelt zur Party. Angesagt waren Apéro, Mittagessen, Festreden sowie Vorstellungsrunden der National- und Ständeratskandidierenden. Genutzt wurde die Infrastruktur des Vereins Burgfreunde Tellenburg, der am Vortag sein erstes Burgfest gefeiert hatte, und der nun auch die Verköstigung der SVP-Vertreter übernahm.
An Grundlagen festhalten
Der Eröffnungsrede von Nationalrat Albert Rösti (SVP-Präsident Schweiz) ging ein festlicher Akt voraus: Zur Begleitung der Örgeli-Fründe Ritzgrat wurde der Schweizerpsalm gesungen. Und zwar – nach alter Väter Schule – stehend. Später wurde auch der Berner Marsch entsprechend zelebriert. «Wir stehen zu unseren Wurzeln», betonte Rösti. Und er meinte damit die Partei ebenso wie sich selbst und seine Beziehung zum Frutigland. «Hier wurde ich geprägt. Beim Studium in Zürich während der EWR-Abstimmung habe ich aber gelernt, wie es ist, wenn das ganze Umfeld gegen einen ist.» Dann aber habe er auch gespürt, wie es sich anfühlt, wenn man trotz Gegenwind erfolgreich sei.
Sein Vater habe deutlich mehr gearbeitet als er jetzt, meinte Rösti. Und der habe geglaubt, dass es nicht noch besser gehen könne. «Aber es geht uns so gut wie noch nie», betonte der Parteipräsident. «Diesen Wohlstand verdanken wir den früheren Generationen und unserem politischen System. Unserer funktionierenden direkten Demokratie.» Das alles dürfe jetzt nicht dem Rahmenabkommen mit der EU geopfert werden. «Ich bin ganz klar für eine bilaterale Zusammenarbeit – aber mit Verträgen auf Augenhöhe.»
Mit Plakat gezielt provoziert
Das vielfach kritisierte Apfel-Plakat der SVP zeige die Realität, meinte Rösti. «Wir bezeichnen niemanden explizit als Wurm, aber wenn sich jemand betroffen fühlt … Wir mussten die Bevölkerung aufrütteln, um Gehör zu finden.» Als Beispiel nannte er die Kohäsionsmilliarde an die EU, deren Zahlung angeblich nicht nur die SVP ablehne. «Der Entscheid über zahlen oder nicht zahlen wurde auf den Zeitpunkt nach den Wahlen vom 20. Oktober verschoben – ein aus meiner Sicht hinterhältiges Komplott der anderen Parteien und der Gewerkschaften, die dann der Zahlung wohl bedingungslos zustimmen werden.»
Die kommende SVP-Werbung werde unter dem Slogan «frei und sicher» laufen, fügte Rösti an. «Wir werden uns im kommenden Jahr weiterhin klar für eine starke Armee und eine sichere Ernährung einsetzen. Denn wenn wir die inländische landwirtschaftliche Produktion wegen weiterer Vorschriften abwürgen, ist niemandem gedient.» Wenn demnächst Vorstösse wie «vegane Ernährung» und «künstliche Fleisch-Erzeugung» auf dem Programm stünden, frage er sich schon, wo eigentlich die Vernunft geblieben sei.
Eine Korrektur anstreben
Nationalrat Werner Salzmann (SVP-Präsident Kanton Bern) zeigte sich nach einem Rückblick auf die Gründerjahre mit seinem Votum gleichermassen kämpferisch: «Die Wahlbeteiligung ist in der Stadt höher als auf dem Land – das müssen wir wieder korrigieren. Wir müssen alles daran setzen, den Sitz des abtretenden Adrian Amstutz zu verteidigen.» Die SVP stehe zum ländlichen Raum. Linke und Grüne würden dagegen mit der fortschreitenden Zentralisierung den Graben zwischen Stadt und Land fördern und mit Fingern auf die Landwirte zeigen. «Wisst ihr, was offensichtlich schlimmer als ein Terrorist ist? Ein fleischfressender Bauer, der schiesst … Wer soll denn all unser Gras fressen?»
Der Klimawandel sei klar spürbar, hielt Salzmann fest. «Dieser ist naturgegeben und nur zu einem Teil vom Menschen verursacht. Um dagegen anzukämpfen, müssen wir Anreize schaffen und nicht mit unvernünftigen Forderungen unsere wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit aufs Spiel setzen.»
Politik ist kein Zuckerschlecken
Der einheimische alt Nationalrat Hansruedi Wandfluh hielt als OK-Präsident des Anlasses fest: «Nach der Gründungs-Euphorie waren wir über lange Zeit eine 10-Prozent-Partei. Die EWR-Abstimmung – mit gleichen Themen wie heute – stärkte die SVP dann gewaltig. Seither ist die Partei staatstragend, Lösungen suchend und bestrebt, diese durchzusetzen.» Das politische System habe sich wenig verändert, der Respekt vor den Gewählten sich aber merklich verschlechtert: «Das geht im Extremfall bis hin zu Morddrohungen. Ich bin aber zuversichtlich, dass die aktuellen und zukünftigen Politikerinnen und Politiker dem standhalten und für ihre Überzeugung einstehen.»
Im Rückblick verwies Wandfluh auf den Start vor 100 Jahren: «Nach der Gründung der kantonalen Partei sind innert zehn Monaten 275 Sektionen entstanden, vier davon in unserem Tal.» Erst diesen Frühling habe er realisiert, dass somit ein Jubiläum anstehe. «Ich danke darum unserem OK-Team sowie dem Verein Burgfreunde Tellenburg mit nunmehr 724 Mitgliedern für den spontanen Einsatz.»
Aus der Geschichte lernen
Alt Regierungsstatthalter Christian Rubin blickte in seinen Ausführungen ebenfalls zurück: «Dies täte diversen aktuellen Politikerinnen und Politikern auch gut, denn viele Probleme sind vergleichbar.» Das Frutigland habe die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs und die daraus folgende Armut gespürt. Das öffentliche Leben sei über die Bäuerten organisiert worden und dank einer guten Selbstversorgung sei es möglich gewesen, sich gegenseitig zu helfen.
Bereits davor habe jedoch Arnold Gottlieb Bühler (Notar in Aeschi und Reichenbach) dafür gesorgt, dass das Tal mit Strasse, Bahn und Strom erschlossen wurde. Verschiedenste Organisationen sowie aufstrebende Firmen seien in der Folge gegründet worden und der Tourismus habe sich entwickeln können. Andererseits seien tüchtige junge Leute nach Russland und Ostdeutschland ausgewandert. «Wir dürfen aber stolz auf viele Persönlichkeiten sein, die sich im vergangenen Jahrhundert mit Anstand und Sachlichkeit für unsere Region eingesetzt haben», bilanzierte Rubin. «Ich hoffe, solche werden uns nun auch ins nächste Jahrhundert führen.»