«Ich musste das Buch quasi zweimal schreiben»
25.10.2019 Frutigen, Kandergrund, Blausee, Mitholz, GesellschaftUrsprünglich wollte Hans Rudolf Schneider bloss eine Broschüre erstellen, die das lose Dokumentationsmaterial zur Explosion im Munitionslager zusammenfasst. Durch die neue Risikobeurteilung von 2018 erhielt das Thema jedoch eine völlig neue Dimension. Nun ist ein Werk mit ...
Ursprünglich wollte Hans Rudolf Schneider bloss eine Broschüre erstellen, die das lose Dokumentationsmaterial zur Explosion im Munitionslager zusammenfasst. Durch die neue Risikobeurteilung von 2018 erhielt das Thema jedoch eine völlig neue Dimension. Nun ist ein Werk mit Aktualitätsbezug entstanden, in dem man die Vorgänge rund ums Jahr 1947 fast in Echtzeit nachempfinden kann.
JULIAN ZAHND
«Am Dienstag, 19. Juni 2018, um 19.48 Uhr klingelt mein Handy.» So beginnt Kandergrunds Gemeindepräsident Roman Lanz sein Vorwort zum Buch «Die Schreckensnacht von Mitholz». Zwar liegt die Explosion des Munitionslagers zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als 70 Jahre zurück, doch die Geschehnisse von 2018 enthalten ebenfalls massive Sprengkraft. Der 19. Juni ist der Tag, an dem auch Hans Rudolf Schneider «von der Realität eingeholt wird». Seine Idee, das zugängliche Datenmaterial zum Thema Explosion in Mitholz zusammenzutragen, hat bereits Gestalt angenommen – bald schon will Schneider eine rund 60-seitige Broschüre herausgeben. Der Anruf an den Gemeindepräsidenten, der übrigens vom VBS getätigt wurde, stellt diese Pläne auf den Kopf: Aufgrund einer Neubeurteilung werde das Explosionsrisiko vor Ort höher eingeschätzt als bisher, erfährt die Öffentlichkeit wenige Tage später. Die Armeeanlage wird darauf komplett geräumt, die Pläne, dort ein VBS-Rechenzentrum zu realisieren, storniert. Vor allem aber gibt das Bundesarchiv in Absprache mit dem VBS massenhaft neue Akten frei, die bis anhin geheim gehalten worden sind. «Ich musste das Buch quasi zweimal schreiben», sagt Hans Rudolf Schneider.
Das Buch liefert viel Material ...
Die Broschüre wuchs zu einem Werk von 240 Seiten an. Darin werden von der Planung des Munitionsstollens über dessen Inbetriebnahme bis hin zum Unglück und dem Wiederaufbau die Geschehnisse minutiös aufgearbeitet. Der Autor und Herausgeber selbst hält sich bei den Ausführungen zurück, präsentiert stattdessen Auszüge aus Fach- und Amtsprotokollen sowie Augenzeugenberichte. Die Vorgänge sind zudem reich illustriert mit Plan- und Fotomaterial.
«Ich wollte mit dem Buch eine Lücke schliessen, ist die Katastrophe von Mitholz doch bislang nur erstaunlich lose dokumentiert», so Hans Rudolf Schneider. Das Vorhaben ist definitiv gelungen: Durch die detailreichen Schilderungen und visuellen Eindrücke kann der Leser die Zeit von damals sehr plastisch nachempfinden. Man ist versucht zu sagen: Wer etwas über das Thema wissen will, der findet es in diesem Werk.
… beantwortet aber nicht alle Fragen
Wirklich alles? Nicht ganz. Nach wie vor bestehen offene Fragen, die der Autor am Ende des Buches gleich selbst aufgreift. Sie betreffen einerseits die Ursachen der Explosion von 1947 – das Ausschlussverfahren der Experten lieferte keine abschliessenden Erkenntnisse, wie das Buch verrät. Doch auch Fragen zu den Räumungsarbeiten bleiben ungeklärt, etwa jene, weshalb die Stollen bis heute nicht vollständig von den Munitionsresten befreit wurden – obwohl das VBS bereits seit 1949 weiss, dass noch Unmengen davon im Berginnern liegen.
Politiker fordern aktuell immer wieder eine «lückenlose Aufklärung» der Geschehnisse. Nach der Lektüre fragt sich nun: Ist eine solche denn überhaupt möglich? Hans Rudolf Schneider will sich da nicht festlegen. Es sei nicht auszuschliessen, dass in den Archiven noch weitere Dokumente schlummerten, die er nicht gefunden habe. Deshalb hat Schneider eine Webseite eingerichtet, auf welcher allfällige News zum Thema zu finden sind.
«Es brachte Willen, Geld und Zeit»
Dass er die dunklen Stellen der Causa Mitholz nicht gänzlich ausleuchten konnte, nimmt Schneider gelassen. Viel wichtiger als die Vergangenheit scheint dem Frutiger sowieso die Zukunft. Das verrät auch das Schlusswort, in dem der Autor doch noch klar in Erscheinung tritt, um Position zu beziehen: «Die Mitholzerinnen und Mitholzer und das ganze Kandertal müssen von dieser Altlast befreit werden», steht da, der Staat sei dies den Anwohnern und den Opferangehörigen schuldig. «Die Räumung ist technisch möglich», sagt Schneider auf Nachfrage. Was es nun brauche, seien drei Dinge: «Wille, Geld und Zeit.»
Das Buch erscheint Anfang November. Erhältlich ist es im Onlineshop des Verlages HS-Publikationen (Frutigen) und in der Buchhandlung Treffpunkt (Frutigen). Weitere Informationen zum Thema finden Sie in unserer Web-Link-Übersicht unter www.frutiglaender.ch/web-links.html