30? 50? Oder ein Kompromiss?
08.11.2019 Frutigen, PolitikBevor der Kanton die Dorfdurchfahrt saniert, will die Gemeinde ihre Hausaufgaben gemacht haben. Am Infoanlass vom Montag ging es jedoch für die Anwesenden nur indirekt um die konkrete Vorlage der Urnenabstimmung vom 17. November.
HANS RUDOLF SCHNEIDER
Es war zu ...
Bevor der Kanton die Dorfdurchfahrt saniert, will die Gemeinde ihre Hausaufgaben gemacht haben. Am Infoanlass vom Montag ging es jedoch für die Anwesenden nur indirekt um die konkrete Vorlage der Urnenabstimmung vom 17. November.
HANS RUDOLF SCHNEIDER
Es war zu erwarten: Die Idee einer Temporeduktion auf der Dorfdurchfahrt beschäftigt etliche Bürger nach wie vor intensiv. Dabei wollte der Gemeinderat am Montag ja vor allem informieren, wieso er an der Urne 1,74 Millionen Franken beantragt. Den eindeutig konfliktfreieren Infoteil dazu bestritt Gemeinderätin Marianna Bütschi. Im Zusammenhang mit der Sanierung der Dorfdurchfahrt durch den Kanton sollen einige Kanalisations- und Sauberwasserableitungen ersetzt oder neu gebaut werden, was 760 000 Franken kosten wird. «Die Koordination ist anspruchsvoll, sind doch neben der Gemeinde die Wasserversorgung, die BKW, die Swisscom, die Fernwärme und die Kabelgenossenschaft beteiligt.» Von den laufenden Bauarbeiten im Bälliz weiss Bütschi auch, dass beim Graben in die Tiefe oftmals Überraschungen auftauchen – unbekannte Fundamente oder alte Rohre. Ausgelegt werden die neuen Wasserrohre unter den Strassen für eine Lebensdauer von 80 Jahren. Ob sie dies auch erreichen werden, hänge beispielsweise vom Gewicht künftiger Lastwagen ab. Aus dem Publikum wurde erwähnt, dass eine Umfahrung des Dorfes eine Entlastung der unterirdischen Infrastruktur bringen könnte. Diese ist jedoch in den nächsten zwei Jahrzehnten kaum realistisch.
Was muss die Gemeinde übernehmen?
Genauer Auskunft wollten dann die gut 60 Interessierten von Gemeinderat Bernhard Rubin haben. Kurz und knapp erläuterte der Ressortchef Tiefbau, Verkehr und Wasserbau, dass die Anpassungen der Einmündungen von Gemeindestrassen in die sanierte Durchfahrt Sache der Gemeinde sei, ebenso wie die drei Bushaltestellen bei der Migros, beim Märitplatz und beim Spital. Zudem sollen die vier Dorfbrunnen beim Märitplatz, beim «Landhaus Adler», beim «Leist» und neben dem ehemaligen «Lötschberg» aufgewertet werden. Dazu gehören Infotafeln und eine anständige Pflästerung rundherum. Kostenpunkt: 980 000 Franken.
Die Gemeinde war bei den Planungen des Kantons für das Sanierungsprojekt jeweils eingebunden. Der Baustart ist mittlerweile auf Frühjahr 2021 verschoben worden, da noch zwei Beschwerden hängig sind. Damit war die Abstimmungsvorlage vorgestellt – und die kritische Diskussion ging los.
Wer trägt welche Verantwortung?
Der Gemeinderat musste sich rechtfertigen, wieso auf der Durchfahrt nicht wie vom Kanton empfohlen Tempo 30 eingeführt werden soll. Aktuell hat sich der Gemeinderat auf Tempo 50 festgelegt. Die Sicherheit von Velofahrern durch fehlende Radstreifen, das Wegfallen von Fussgängerstreifen, die Sicherheit der Schulwege ohne diese markierten Übergänge, die Vortrittsrechte bei den vorgesehenen Mittelstreifen und die Kosten waren die wichtigsten Gesprächsthemen. Fazit: Derzeit gehe die Entwicklung in die Richtung, dass die Verkehrsteilnehmer mehr Eigenverantwortung übernehmen sollen. Das gelte insbesondere für Fussgänger. Nach dem Anlass und den anschliessenden Gesprächen wird für Schmid klar, dass man sich nochmals Gedanken insbesondere zu den Schulwegen machen wird, wie er auf Anfrage erklärt.
Die Argumente für das tiefere Tempo überwogen in der Diskussion deutlich, für das Abstimmungsprojekt spielen diese jedoch keine Rolle. Die beantragten Arbeiten müssen unabhängig von der erlaubten Geschwindigkeit realisiert werden.
Was ist mit den Gemeindestrassen?
In etlichen Quartieren abseits der Durchfahrtsstrasse will die Gemeinde Tempo 30 einführen. Nach der Prüfung durch den Kanton ist das Konzept als zu wenig konkret wieder in Frutigen angekommen. Der stellvertretende Bauverwalter Simon Bircher bestätigt, dass es eine Überarbeitung brauche, bevor an eine Realisierung zu denken sei. Die unterschiedlichen Tempi von Dorfdurchfahrt und Quartieren wird bei den Signalisationen sicht- und spürbar: Insgesamt 26 Tempo-30-Markierungen sind nach derzeitigem Stand nötig, die Kosten für Fundamente, Masten und Signaltafeln gehen gegen 50 000 Franken.
Ein gut schweizerischer Kompromiss wurde von einem Votanten gemacht: «50 ist zu schnell, da bin ich einverstanden. 30 ist dann schon sehr langsam. Wieso nicht 40?» Bircher erklärte ihm dann, dass das geprüft worden sei. Dieses Tempodiktat sei aber nicht für die flächendeckende Anwendung vorgesehen und müsste nach jeder Einmündung wieder signalisiert werden. Zumindest finanziell gesehen wäre dieser Vorschlag also nicht besser als die aktuell vorgesehene Lösung.
KOMMENTAR
Der Druck ist spürbar
Ursprünglich sollte das bewilligte Tempo auf der Dorfdurchfahrt auf 30 km/h reduziert werden. Nach einer Petition mit über 1300 Unterschriften schwenkte der Gemeinderat plötzlich um und änderte seinen Entscheid: Nun ist auch nach der Strassensanierung Tempo 50, wie bisher, vorgesehen. Die Meinungen am Infoanlass vom Montag gingen mehrheitlich in Richtung 30 km/h, die Argumente für die höhere Geschwindigkeit fielen spärlich aus.
Der Gemeinderat hält an seinem Entscheid fest, solange keine massgebenden anderen, respektive neuen Argumente auf dem Tisch liegen. Das bestätigte Gemeinderatspräsident Hans Schmid. Die kritischen Fragen und deutlichen Bemerkungen aus dem Publikum lassen vermuten, dass sich der Gemeinderat noch nicht zum letzten Mal mit dem signalisierten Tempo auf der Durchfahrt beschäftigt hat – ob er will oder nicht. Der Druck ist spürbar und schon einmal wurde ein Tempoentscheid umgestossen.
HANS RUDOLF SCHNEIDER
H.SCHNEIDER@FRUTIGLAENDER.CH