«Es ist eine verzwickte Situation»
24.03.2020 Coronavirus, Kultur, RegionKeine Veranstaltungen, viele Fragen: Christoph Trummer ist Leiter politische Projekte im Schweizer Verband der Musikschaffenden (Sonart). Im Interview nimmt der gebürtige Frutiger Stellung zu den Auswirkungen der Pandemie auf die Branche.
«Frutigländer»: ...
Keine Veranstaltungen, viele Fragen: Christoph Trummer ist Leiter politische Projekte im Schweizer Verband der Musikschaffenden (Sonart). Im Interview nimmt der gebürtige Frutiger Stellung zu den Auswirkungen der Pandemie auf die Branche.
«Frutigländer»: Christoph Trummer, Sie singen in einem ihrer Lieder «Alls wird anders si». Seit dem 16. März gilt dieser Satz mit der «ausserordentlichen Lage» auch für den gesamten Kulturbetrieb.
Für uns fingen die Einschränkungen ja schon früher an, als Veranstaltungen über 1000 Personen verboten wurden und einzelne Kantone mit ihren Einschränkungen noch weiter gingen. Seit dem 28. Februar sind wir am Rotieren. Aber nun wurde die Situation schon noch einmal krasser.
Sie hätten selber noch sechs Konzerte alleine im nächsten Monat gespielt. Wie gross ist die Rechtsunsicherheit nun bei den Entschädigungen?
Die meisten Kunstschaffenden versuchen, die Termine zu verschieben. Aber dann steht einem das Ausweichdatum nicht mehr für andere Shows zur Verfügung. Einnahmeverluste bestehen also in jedem Fall. Ist ein Auftritt nicht verschiebbar, gibt es oft ein vertragliches Recht auf die Gagen. Doch gerade im Kulturbereich haben Veranstalter oft kleine Polster und gehen dann pleite. Es ist eine verzwickte Situation.
Ein Vorteil der Künstlerszene ist immerhin, dass sie kreativ ist und improvisieren kann.
Es gibt die Möglichkeit, Konzerte ins Internet zu stellen. Andere kurbeln gerade das Online-Merchandising hoch. Aber unter dem Strich ersetzt das Liveauftritte nicht annähernd. Wir empfehlen, die Ausfälle gut zu dokumentieren und bei Sonart zu melden. Ansonsten gilt es, ruhig und zu Hause zu bleiben.
Am 12. März luden das Bundesamt für Kultur (BAK) und die Kulturstiftung Pro Helvetia zur erste Anhörung der Kulturverbände. Was kam dabei heraus?
Der Bund wurde informiert, dass im Kulturbereich nun finanzielle Sofortmassnahmen gefragt sind. Das Problem kam in der Politik an, und wir bekamen so eine gute Ausgangslage.
Tatsächlich versprach Bundesrat Parmelin dann an der Medienkonferenz vom letzten Freitag unter anderem 280 Millionen Fran ken für den Kulturbereich. Sind Sie zufrieden mit dem Hilfspaket?
Ja, das ist ein guter und wichtiger erster Schritt. Für den Moment kann man nun aufatmen: Es gibt Hilfe für Notsituationen, und Kompensation für die ausgefallenen Gagen ist auch in Aussicht. Nun muss man sicherstellen, dass alle dazu Zugang bekommen – auch jene, die nicht direkt auf der Bühne stehen.
Der Berner Regierungsrat hat letzte Woche zudem eine Notverordnung beschlossen, zu der Überbrückungskredite oder finanzielle Garantien für Selbstständigerwerbende gehören. Können Künstler und Veranstalter davon profitieren?
Grundsätzlich sollte das möglich sein. Es wäre aber keine gute Lösung, wenn am Ende all unsere Strukturen, die Clubs, Bookingagenturen und Labels, verschuldet sind. Sie sollten hier gleich behandelt werden wie die Kreativen und nicht Kredite aufnehmen müssen.
Das BAK soll Ihre Interessen auf Bundesebene weiter vertreten. Wie laut ist diese Stimme im Gesamtchor?
Wir werden sehen. Bisher wurden wir gut gehört. Die Kulturbranche sorgt sich allerdings manchmal schon, weil es bei uns im Vergleich zur Gesamtwirtschaft um eher kleine Budgets geht.
Wo setzt man Prioritäten? Es gibt auch Stimmen, die verlangen, die Kulturschaffenden sollen sich jetzt hintenanstellen …
Unter dem Strich sitzen wir alle im selben Boot. Das Ziel muss sein, dass unsere Gesellschaft mit all ihren wichtigen Stützen weiter funktioniert, und da gehört Kultur dazu. Wir sollten nicht hervorheben, welcher Bereich nun wichtiger ist, sondern versuchen, möglichst viel zu erhalten.
Welche Schritte sind dafür mittel- und langfristig gefragt?
Mittelfristig braucht es innert der nächsten zwei Monate Konzepte für die Veranstalter, wie sie wieder aus dem Schlamassel kommen. Langfristig geht es um das Systemproblem, dass Kulturschaffende so schlecht abgesichert sind. Diesen Missstand gilt es sozialpolitisch anzugehen.
Befürchten Sie, dass der Kulturbetrieb trotz solcher Massnahmen dauerhaft geschädigt wird?
Die Gefahr ist sehr gross. Dass alles erhalten bleibt, ist leider unwahrscheinlich – auch bei grossen Bands oder Veranstaltern. Entscheidend ist, wie lange die Pandemie noch dauert. Wenn alle die Massnahmen des Bundes mittragen, können wir auch wieder auf Normalbetrieb umschalten – oder zumindest auf Betrieb. Aber ich bin im Moment vorsichtig mit Hoffen.
INTERVIEW BENJAMIN HALTMEIER