Eine lange und erfolgreiche Sportkarriere geht zu Ende
31.03.2020 Frutigen, Reichenbach, Kiental, SportMONOSKI Kürzlich gab Christoph Kunz den Rücktritt vom Spitzensport bekannt. Der Frutiger ist seit 20 Jahren auf den Rollstuhl angewiesen. Auf dem Monoski gewann er unter anderem an den Paralympics in Vancouver und Sotschi Edelmetall. Nun blickt der vierfache Vater in eine neue ...
MONOSKI Kürzlich gab Christoph Kunz den Rücktritt vom Spitzensport bekannt. Der Frutiger ist seit 20 Jahren auf den Rollstuhl angewiesen. Auf dem Monoski gewann er unter anderem an den Paralympics in Vancouver und Sotschi Edelmetall. Nun blickt der vierfache Vater in eine neue berufliche Zukunft.
KATHARINA WITTWER
Christoph Kunz, der Bauernbub aus Reinisch, war schon als Kind gerne schnell unterwegs. Mittel- und Langstreckenlauf wurden schon früh zu seiner Passion, weswegen er dem Laufclub All Blacks Thun beitrat. Am Gymnasium Hofwil fand er die ideale Ausbildungsstätte, in der er die gymnasiale Ausbildung und den Laufsport kombinieren konnte. Schon damals gab er sich nie mit dem Erreichten zufrieden.
Im Juni 2000 wurde ihm das Tempo zum Verhängnis: Er verunfallte schwer mit dem Motorrad, die Folge war eine komplette Lähmung vom fünften Brustwirbel an abwärts (Paraplegie). Der Schock sass tief, denn das bedeutete ein Leben im Rollstuhl. Nach der Reha kehrte er in die Klasse zurück und schloss die Matura erfolgreich ab.
Zuversicht bereits im Spitalbett
Im Schweizer Paraplegiker-Zentrum in Nottwil ans Spitalbett gebunden, sagte sich der damals 18-Jährige, seine Behinderung und der Rollstuhl seien noch lange kein Grund, auf den Spitzensport zu verzichten. Weil der Frutiger ein leidenschaftlicher Ski- und Snowboardfahrer gewesen war, versuchte er so bald wie möglich, das Pistengefühl wiederzuerlangen. Dies tat er mithilfe einer Sitzschale, befestigt auf einem «handgestrickten» Monoski. Er trat dem Skiclub Adelboden bei und genoss von dieser Seite stets grosse Unterstützung.
In der Saison 2002 / 03 sammelte Kunz erste Rennerfahrungen. Vom Ehrgeiz gepackt und dank guter Resultate durfte er 2006 an den Paralympics in Turin teilnehmen. Mit einem Diplom für den achten Rang kehrte er zurück.
2010: Das Jahr der Jahre?
Von nun an ging es aufwärts. 2010 gewann er zwei Medaillen an den Paralympics in Vancouver (siehe Kasten) und wurde zum Behindertensportler des Jahres gewählt. Dieses Jahr erachtet Kunz aber nicht als einzigen Höhepunkt seiner Karriere. «Auch stille, emotionale Momente und die vielen neu geschlossenen Freundschaften sind für mich ebenso wertvoll wie Siege und Titel», meint er. «Zweifellos waren der Rummel, die mediale Aufmerksamkeit und die vielen Empfänge aber toll.» Bis die für seine grossartige Leistung von der Gemeinde Frutigen versprochene Christoph Kunz Olympiastrasse fertiggebaut und eingeweiht werden konnte, sollten noch sieben Jahre vergehen.
An den Paralympics in Sotschi 2014 gewann er die Goldmedaille im Riesenslalom, und nach einem Materialwechsel durfte er 2017 endlich den lang ersehnten Weltmeistertitel in seinen Palmarès aufnehmen. «Dieser Titel war umso schöner, weil meine Frau Steffi und die Kinder Elio und Livia vor Ort waren.»
Auch Enttäuschungen gehören dazu
Von nun an reihten sich Siege an Podestplätze, aber auch von Pech und Enttäuschungen wurde der Frutiger nicht verschont. So zum Beispiel an den Weltmeisterschaften 2011 und 2013, wo er (zu) viel von sich erwartet hatte. Beide Male kehrte er «bloss» mit einer Bronzemedaille zurück. An der WM 2015 lag er in Abfahrt und Riesenslalom bei der Zwischenzeit an der Spitze. Doch bekanntlich ist jedes Rennen erst im Ziel zu Ende. Nach je einem Sturz kurz vor dem Ziel war der Traum vom erneuten Edelmetall ausgeträumt.
2014 und 2017 war er wiederum als Behindertensportler des Jahres nominiert. Leider blieb ihm eine erneute Ehre verwehrt: «Gemäss meinen Beobachtungen werden die Leichtathleten von der Jury stärker gewichtet als wir Skifahrer.»
Der Weg an die Spitze wurde immer härter
In den zwei letzten Saisons zog sich Christoph Kunz bei Stürzen mehrmals leichtere Verletzungen zu, sodass Spitzenklassierungen ausser Reichweite lagen. Zudem mussten wegen zu wenig oder zu viel Schnee mehrere Rennen abgesagt werden. Nach längerem Überlegen gab er am 18. März, genau 10 Jahre nach dem Sieg in Vancouver, seinen Rücktritt aus dem Profisport bekannt.
Der Behinderten-Skisport hat sich seit Anfang der Nullerjahre markant verändert. «Damals war alles viel amateurhafter und das Feld der FahrerInnen gross. Viele Athleten standen voll im Berufsleben und betrieben den Sport eher hobbymässig», resümiert Kunz und fügt gleich an, dass im Laufe der Jahre alles professioneller, der Weg an die Spitze härter und das Teilnehmerfeld kleiner wurde. «Diesen Weg wählte auch ich.»
Die Familie – wichtigste Kraftquelle und Rückzugsort
Im September 2008 führte Christoph Kunz die Adelbodnerin Steffi Allenbach vor den Traualtar. Fünf Jahre später wurden sie Eltern von Elio, und zwei Jahre später kam Livia zur Welt. Kurz vor Weihnachten 2017 komplettierten die Zwillinge Noah und Nino das Familienglück. «Steffi war und ist meine grösste Stütze. Ganz wichtig sind mir natürlich auch unsere vier Sonnenscheine. Die Kraft, mich von Rückschlägen nicht aus der Bahn werfen zu lassen, geben mir meine positive Art und der christliche Glaube.»
Vor einem halben Jahr zog die Familie von Reichenbach nach Frutigen in ihr neues Eigenheim. Irgendwann wird der Familienvater seine Medaillen- und die Trophäensammlung aufstellen, doch das eile nicht, meint er in seiner gewohnt bescheidenen Art.
«Aktuell bin ich auf der Suche nach einer neuen beruflichen Herausforderung. Es wird wohl etwas im Büro sein – in meinem ursprünglichen Beruf. Es haben bereits erste Gespräche stattgefunden.» Ob er ein weiteres Mal mit dem Handbike an der Tortour – einem knallharten Radrennen durch die Schweiz – teilnimmt, hängt von seiner künftigen Anstellung ab. «Sport treiben will ich weiterhin, denn ich bin ein Bewegungsmensch und will mich fit halten.» Niemand zweifelt an der Aussage dieses zielstrebigen Mannes.
Die wichtigsten Erfolge
• Gold (Abfahrt) und Silber (Riesenslalom) an den Paralympics in Vancouver 2010
• Gold (Riesenslalom) an den Paralympics in Sotschi 2014
• Diplom an den Paralympics in Turin 2006
• Weltmeister (Gold) im Super-G in Tarvisio 2017
• WM-Bronze (Riesenslalom) 2013 in La Molina
• WM-Bronze (Riesenslalom) 2011 in Sestriere
• 3-facher Sieger im Gesamtweltcup Riesenslalom (kleine Kristallkugel)
• 15-facher Weltcupsieger in Abfahrt, Super-G, Kombination und Riesenslalom
• Europacup-Gesamtsieger 2006 / 07 und 2007 / 08
• 13-facher Schweizermeister in verschiedenen Disziplinen
• Wahl zum Behindertensportler 2010 an den Sport Awards
WI