«Die Feier ist nur gemeinsam möglich»
19.05.2020 Frutigen, GesellschaftDer «Frutigländer» besuchte kürzlich die katholische St.-Mauritius-Gemeinde und sprach mit dem dortigen Pfarrer Stefan Signer: Was ist das Spezielle an dieser Gemeinde?
MARTIN NATTERER
Wer hätte es gedacht: Rund 1200 Mitglieder hat die katholische ...
Der «Frutigländer» besuchte kürzlich die katholische St.-Mauritius-Gemeinde und sprach mit dem dortigen Pfarrer Stefan Signer: Was ist das Spezielle an dieser Gemeinde?
MARTIN NATTERER
Wer hätte es gedacht: Rund 1200 Mitglieder hat die katholische St.-Mauritius-Gemeinde in Frutigen, zu deren Pfarreien auch die Marienkirche in Kandersteg und die Peter-und-Paul-Kirche in Adelboden gehören. Wenn Pfarrer Stefan Signer sich dazu äussert, schwingt fast ein wenig Wehmut mit. Denn obwohl seine Gemeinde damit überschlagen rund 7 Prozent der Bevölkerung des Frutiglandes zählt, werden – schon zu normalen Zeiten – die Gottesdienste meist nur von wenigen Kirchgängern besucht. Ausnahmen sind laut Signer die Kirchen- und grossen Familienfeste – ein Zustand, der wohl auch auf die eine oder andere reformierte Kirche zutrifft.
Wichtige Bestandteile sind – neben den treuen Gottesdienstbesuchern – die bis zu 400 Portugiesen, die meist als ServicemitarbeiterInnen in der Gastronomie und Hotellerie des Frutiglandes beschäftigt sind. Signer, der einige Zeit in Brasilien lebte, spricht ihre Sprache. Das schafft eine enge persönliche und damit auch seelsorgerische Bindung.
Überhaupt sind seine Gemeinden relativ international besetzt, denn zu den portugiesischen Mitgliedern kommen oft auch Katholiken aus verschiedenen osteuropäischen Ländern hinzu – und eben auch Deutsche, von denen so manche als Touristen im Kandertal Urlaub machen oder hier einen neuen Lebensmittelpunkt gefunden haben.
Keineswegs isoliert, aber manchmal missverstanden
Fühlt sich Pfarrer Signer nicht isoliert unter all den reformierten Gemeinden und Freikirchen? Das sei gar nicht der Fall. Mit so vielen, wie es irgend gehe, pflege er guten Kontakt, und er suche auch immer wieder deren Nähe. Die Ökumene, die Gemeinschaft mit den anderen Kirchen, das sei für ihn und für viele andere eine Selbstverständlichkeit geworden, die er gerne auslebe.
Manchmal könne das Gespräch zwischen den Konfessionen aber auch scheitern, etwa dann, wenn er – wie aus einem Abgrenzungsreflex heraus – ständig nach den Dingen gefragt werde, die die Konfessionen unterscheiden (zum Beispiel die Marienverehrung). Dann würde er betrübt, weil man gar nicht mehr an das Gemeinsame, an das «grosse, breite Verbindende» herankäme: an das weitgehend gemeinsame Glaubensbekenntnis und die tief verbindende biblische Basis.
Die Formen des Gottesdienstes seien für die Gläubigen nicht primär deshalb attraktiv, weil sie informativ oder unterhaltend seien. Die wirkliche Basis für den Gottesdienstbesuch ist nach Signers Einschätzung die Gottesbeziehung selbst, die da im Gottesdienst gefeiert wird: «Es ist eine Feier, eine nur gemeinsam mögliche Feier!» Und die wird in einer katholischen Gemeinde in einem sich grundsätzlich immer ähnlichen Ritual gefeiert. «Gottesdienstbesuch am Sonntag ist für uns Katholiken konstitutiv», so Signer. Damit will er sagen, dass Christsein im katholischen Verständnis ohne die eigentlich verpflichtende Gottesdienstpraxis vielleicht noch weniger möglich ist, als dies schon für die anderen Konfessionen der Fall ist.
Onlinetreffen spielen keine grosse Rolle
Die Corona-Beschränkungen stellen damit auch die Frutiger Katholiken vor eine ernste Belastungsprobe. Die Kirche ist in ihren Grundfesten berührt, wenn sie keinen Gottesdienst feiern kann. Es ist eine Herausforderung, die die Gemeindemitglieder nur gemeinsam bewältigen können. Da wird denn auch viel telefoniert, und immer wieder trifft man sich auf die eine oder andere «Corona-verträgliche» Weise rund um das kleine Frutiger Kirchlein «St. Mauritius» zum Gebet. Bei gutem Wetter ist das kein Problem. Die andernorts häufig gerühmten Onlinetreffen spielen jedoch in der St.-Mauritius-Gemeinde kaum eine Rolle.
Darauf angesprochen, dass das historische Pfingsten der heutigen Corona-Situation ein wenig ähnelte (man wartete wochenlang, in einem Raum eingeschlossen, auf die Kraft von oben), nickt Pfarrer Signer nachdenklich und lächelt hoffnungsvoll. Er spricht es nicht aus, aber es scheint, als könne er sich ein Eingreifen des Himmels – mitten hinein in die Bedrückung dieser Tage – sehr gut vorstellen. Auch an dem nun bevorstehenden Pfingstfest, an dem noch die Corona-Regeln gelten.
Es kommt eine Zeit nach Corona
Für die «Zeit nach Corona» hat die Mauritius-Gemeinde in Frutigen aber schon ein Programm vorbereitet. Man hält bislang immer noch am Plan fest, am Samstag, dem 27. Juni, gemeinsam und ohne Beschränkungen mit einem Car zum uralten burgundischen Kloster Romainmôtier bei Yverdon im Waadtland zu fahren. Auf den Spuren der Mönche von Cluny und den Anfängen des Christentums auf dem Gebiet der heutigen Schweiz.
Die nicht zu übersehenden Anfänge des Christentums aber trägt die Gemeinde ja schon im Namen: Die Holzstatue des Märtyrers Mauritius, der bis heute im gleichnamigen Walliser Kloster verehrt wird, steht am Rand des Altarraums in der Kirche. Sie erinnert den Geschichtsinteressierten daran, dass eben dieser Mauritius über Jahrhunderte der Reichspatron des römischdeutschen Kaiserreiches war – eines Reiches, in dem vor rund 1000 Jahren das Westschweizer Königtum Hochburgund eine Schlüsselrolle spielte, und dies vor allem durch seine ebenfalls aus der Gegend von Yverdon stammende Kaiserin Adelheid. Der geplante Ausflug nach Romainmôtier könnte unter diesem Blickwinkel eine zusätzliche Dimension gewinnen.
Beim Abschied blickt Pfarrer Signer kurz erwartungsvoll in den überraschend heiteren und sommerlichen Himmel über dem Kandertal. Die Zeichen der Hoffnung scheinen ihm buchstäblich naheliegend.
Die anderen Kirchen
Zur katholischen Gemeinde gehören noch zwei weitere Gotteshäuser. Die Kirche St. Peter und Paul (Adelboden) wurde 1913 durch den Thuner Pfarrer Karl Albrecht Cuttat eingesegnet. Die Marienkirche in Kandersteg wurde 1927 eingeweiht.
QUELLE: WEBSITE DER KIRCHGEMEINDE