Ein neues Dach für den Turm
22.05.2020 Reichenbach, Kiental, GesellschaftDie ersten neuen Schindeln auf dem Dach der St.-Nikolaus- Kirche sind angebracht. Die Sanierung wird voraussichtlich bis Juli dauern. Bei den Arbeiten stiess man auf interessante Zeugnisse vergangener Tage.
MICHAEL SCHINNERLING
Am 12. Mai wurden die ersten neuen ...
Die ersten neuen Schindeln auf dem Dach der St.-Nikolaus- Kirche sind angebracht. Die Sanierung wird voraussichtlich bis Juli dauern. Bei den Arbeiten stiess man auf interessante Zeugnisse vergangener Tage.
MICHAEL SCHINNERLING
Am 12. Mai wurden die ersten neuen Schindeln am Dach der Kirche in Reichenbach befestigt. Das Dachdeckerteam von Michael Beetschen (Kiental) führt diese anspruchsvolle Arbeit aus. Simon Küenzi vom Kirchgemeinderat amtet als Bauleiter. «Seit der letzten grossen Dachrenovation sind rund 50 Jahre vergangen. In den 90er-Jahren wurden kleine Renovationsarbeiten gemacht. Somit war es Zeit, sich Gedanken über eine erneute Sanierung des Daches zu machen», erklärt der Bauleiter. An der oberen schrägen Hälfte des Schindeldaches fliesse das Wasser schnell ab. Im flachen Bereich bleibe es jedoch länger stehen, weswegen die Schindeln mittlerweile durchgefault seien. «Das Schlimmste wäre, wenn der aus dem 16. Jahrhundert stammende Glockenstuhl undicht würde.»
Ein Wiedersehen mit alten Bekannten
Bei den Arbeiten wird auf regionales Know-how gesetzt. Dazu Küenzi: «Die regionalen Handwerker zeichnen sich durch grosses Können aus, arbeiten mit Herzblut und hoher Flexibilität. Man weiss schliesslich nie, was zum Vorschein kommt.» So muss beim Abtragen der Schindeln kontrolliert werden, ob die Querlatten und Balken noch in Ordnung sind. Erst dann kann weitergearbeitet werden. Bis Ende Juni, so die Schätzung, wird es dauern, bis alle neuen Schindeln vernagelt sind. Auch mussten beim Einrüsten zwei Eisenträger im Glockenturm eingebaut werden, weil das Gerüst zu schwer fürs Kirchendach war. «Auf Bildern der Renovation vor 50 Jahren sieht man, dass das Gerüst leichter, aber auch recht primitiv war. Damals war Absicherung noch kein Thema», so Küenzi.
Ein nettes Detail zur heutigen Sanierung: Der Turm trifft sozusagen alte Bekannte wieder. «Daniel von Känel hat 1970 als Lehrling Spenglerarbeiten auf der Kirchturmspitze ausgeführt. Heute, mit 65 Jahren, macht er diese Arbeiten noch einmal», erzählt der Bauleiter.
Die Uhr wird ebenfalls renoviert
Man hört die Kirchturmglocke schlagen, aber es sind keine Zeiger zu sehen. Es hängt nur ein Dorn an der Wand, an dem normalerweise die Zeiger befestigt sind. «Die Renovation des Zeigerblattes haben wir gleich mit in Auftrag gegeben. Die goldene Kugel des Daches wird sandgestrahlt, gelb angemalt und dann vergoldet. Das dauert rund 10 Wochen.» Das Budget für die Gesamtkosten beläuft sich auf 210 000 Franken. Der Denkmalschutz, die Kirchgemeindeversammlung sowie die Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn sprachen bereits Gelder für den Umbau.
Als Bauleiter befindet sich Küenzi in einer anspruchsvollen Position. Daran fasziniert ihn das Zusammenspiel aller und die Herausforderung, alles unter einen Hut zu bringen. «Für mich ist die Kirche ein Treffpunkt. Sie ist ein Symbol für Gemeinschaft. Es ist schön, hier zu arbeiten.» Wichtiger Stützpfeiler für alle Belange ist neben dem Präsidenten Gerhard Kunz noch Beatrice von Känel von der Verwaltung.
Zeitdokumente in der Turmkugel
«Wir haben am 1. Mai die Kugel von der Kirchturmspitze geholt. Die darin aufbewahrten Dokumente wurden entnommen», erklärt Küenzi. Mit Zeitzeugnissen aus der aktuellen Epoche wird sie anschliessend wieder gefüllt. In der Zeitkapsel, die Küenzi öffnete, befanden sich zwei beschriftete Kupferrollen von Pfarrer Ernst Moser aus dem Jahre 1943. «Im Bericht von Moser stand zum Beispiel, wer die Spengler waren, warum der Turm erneuert wurde und vieles über die Kriegsjahre.» Auch Bons für Kleider, Schuhe und Essen, die es in der damaligen Zeit gab, sowie eine Zeitung aus dem Jahre 1943 waren in der Kugel zu finden. Der Bauleiter hat vor, sein Baujournal und Aktuelles zum Zeitgeschehen hineinzulegen.
Schon der Urgrossvater war dabei
Die neuen Schindeln wurden vom Dachdecker Michael Beetschen hergestellt. Genauer gesagt waren dessen Vater Peter Beetschen und Mitarbeiter Ernst Rumpf dafür zuständig. «Die Herstellung der Schindeln fängt schon im Wald mit dem Auslesen der Fichten an. Das Holz stammt aus dem Tschingel im Kiental», erläutert Michael Beetschen. «Die Tanne wird gefällt, ins Tal transportiert, entrindet, gesägt und zum Schluss von Hand gespalten», führt er weiter aus. Sind die Arbeiten nicht heikel? «Eigentlich nicht. Man muss einfach wissen, wie. Wichtig ist aber, dass man das richtige Holz dafür verwendet», so Beetschen. Der Kirchturm in Reichenbach wurde schon von seinem Urgrossvater David Beetschen und letztmals von seinem Grossonkel Jonathan Beetschen mit «Schipfeni» eingedeckt. «Da mein Vater für die aktuelle Erneuerung des Kirchturmdaches die Schindeln hergestellt hat, sind mit mir vier Generationen ins Werk involviert.» Am Dach arbeiten zwischen drei und vier Personen. Diese müssen 43 000 Schindeln anbringen. «Das ist nach der Kirche Erlenbach und der Schlosskirche Spiez der dritte Kirchturm mit «Schipfeni» von uns. Im Sommer werden wir mit dem Kirchturm Aeschi den vierten in Angriff nehmen», schliesst Beetschen.
Daten zum Gerüst
Für den 35 Meter-Kirchturm wurden rund 40 Tonnen Material verbaut. Total wurden 650 Aluminium-Gerüstbeläge verwendet. Aufgrund des Gewichts des Gerüstes musste das Kirchenschiffdach mit zwei 13 Meter langen Eisenträgern entlastet werden. Zusätzlich wurde eine weitere Dachentlastung mit zwei Seilzügen (Zuglast zwei Tonnen) vorgenommen. Am Gerüst ist ein Senkrechtaufzug mit einer Nutzlast von 1000 Kilogramm montiert. Dieser transportiert Personen und Material bis auf 20 Meter hinauf.
MS