Er verkauft die Schweiz den Amerikanern
29.05.2020 Adelboden, TourismusUS-Touristen gesucht: Martin Oester wirbt in Übersee für das Ferienland Schweiz. Die Corona-Krise hat ihn zwar vorübergehend in seine Heimat zurückgetrieben. Aber Marketingleute sind mobil – die Arbeit geht weiter.
TONI KOLLER
«Swiss Travel System» heisst die ...
US-Touristen gesucht: Martin Oester wirbt in Übersee für das Ferienland Schweiz. Die Corona-Krise hat ihn zwar vorübergehend in seine Heimat zurückgetrieben. Aber Marketingleute sind mobil – die Arbeit geht weiter.
TONI KOLLER
«Swiss Travel System» heisst die Organisation, für die Martin Oester tätig ist. Sie ist ein Gemeinschaftswerk von Schweiz Tourismus und öffentlichen Verkehrsunternehmen mit dem Zweck, Schweiz-Reisen per Bahn, Bus und Schiff zu propagieren. Der 45-jährige Adelbodner tut dies seit zwei Jahren in der Zweigstelle in New York. Mitte April ist er pandemiebedingt in die Schweiz zurückgekehrt.
«Frutigländer»: Martin Oester, beim Stichwort New York kommen uns ziemlich schlimme COVID-19-Szenen in den Sinn.
Nun ja, die Medien legen den Fokus natürlich auf extreme Sachen: übervolle Spitäler, Schutzmaterialmangel, Kühllastwagen mit Leichen ... Das gab es auch alles. Aber im New Yorker Alltag hat man zunächst nicht so viel von der Krise gemerkt. Parks und Uferpromenaden wurden nie geschlossen, und die Amerikaner sind Dinge wie Homeoffice oder Hauslieferungen eher gewohnt als wir in der Schweiz. Allerdings hat die Pandemie vor allem ärmere Stadtteile abseits von Manhattan heftig getroffen – die Bronx zum Beispiel, wo Latinos und Schwarze oft in beengten Verhältnissen leben. Hier sieht man auch die fatalsten wirtschaftlichen Folgen: Unzählige verloren von einem Tag auf den anderen den Job, den Lohn und damit nicht selten auch die Krankenversicherung – ohne etwas auf der Seite zu haben. Zustände wie in der Dritten Welt. Zum Glück sind aber auch zahlreiche Hilfsorganisationen sehr schnell zur Stelle gewesen.
Wann haben Sie entschieden, New York zu verlassen?
Es gab da diesen Freitag, den 13. März. Genau an dem Tag, an dem auch in der Schweiz der Lockdown ausgerufen wurde, verordnete der New Yorker Gouverneur Cuomo ein ähnlich strenges Regime für seinen Bundesstaat. Nur noch plötzlicher als in der Schweiz wurde das öffentliche Leben radikal heruntergefahren, die Stadt war wie erstarrt. Da beschloss ich, mir das nicht anzutun ...
...und setzten sich ins nächste Flugzeug nach Europa?
Nein, noch grad nicht. Ich reiste für ein paar Wochen in den Westen der USA und tat, was ich ohnehin liebe: Wandern, Berge besteigen, Kanu fahren in einsamer Wildnis, schlafen im Zelt – fernab von der gedrückten Lockdown-Stimmung, die nun das städtische Leben beherrschte. Erst Mitte April bin ich dann von New York in die Schweiz gekommen – mit einem der raren Flüge, die überhaupt noch zu haben waren.
In der Schweiz haben Sie ja keine Wohnung mehr.
Nein, aber ich habe zum Glück Freunde und eine grosse Familie. Bisher habe ich viel Zeit bei meiner Schwester im Aargau verbracht, jetzt gehts dann auch bald mal nach Adelboden. Langweilig ist mir jedenfalls noch nie gewesen, zum Beispiel fröne ich oft meinen sportlichen Hobbys.
Und Sie arbeiten nach wie vor für Swiss Travel System?
Genau. Als Tourismusvermarkter ist man eh viel unterwegs und macht seinen Job am Laptop statt im Büro. Wobei das Geschäft natürlich zurzeit schon anders läuft. Wir konzentrieren uns auf die virtuelle Schulung unserer Agenten und Mitarbeiter und pflegen die Beziehung zu unseren Partnern. Zudem entwerfen wir unterschiedliche Strategien, die es brauchen wird, um den touristischen Markt wieder anzukurbeln.
Wann, glauben Sie, ist die Zeit dafür reif?
Wenn ich das wüsste! Wir halten für die USA mal eine Kampagne für die zweite Jahreshälfte bereit – aber vielleicht ist das auch noch zu früh. Mit den aktuellen Reisebeschränkungen steht der touristische Austausch zwischen den Kontinenten ja bei null. Die Reisebranche hat schon manche Krise durchgestanden: Nine-Eleven, die Finanzkrise 2008 mit dem Frankenschock ... aber das hier ist krasser. Auch sind die Amerikaner sehr auf ihre Sicherheit bedacht. Trotzdem bin ich überzeugt, dass unser eher wohlhabendes und gebildetes Zielpublikum Europa schon bald wieder auf der Reisewunschliste hat. Die wunderschöne Schweiz sowieso! Wir geben unser Bestes, damit die zuletzt hohen Zuwachsraten bei den US-Touristen in der Schweiz wieder aufleben.
Von Adelboden nach New York: Erzählen Sie Ihren beruflichen Werdegang!
Ich habe auf der Adelbodner Gemeindeverwaltung das KV gemacht und noch einige Jahre dort gearbeitet. Dann kamen ausgedehnte Reisen, unter anderem in Nordamerika. Es folgte eine Beschäftigung beim Reiseveranstalter Hotelplan und ein Job bei einem Wohnmobil-Vermieter in Kanada. Mit etwa 30 sagte ich mir: So, jetzt brauchst du eine fundierte touristische Ausbildung. Die besorgte ich mir während dreier Jahre an der Tourismusfachschule in Samedan. In der Gegend bin ich dann noch etliche Jahre geblieben, bearbeitete den US-Markt für Engadin St. Moritz Tourismus und organisierte Kongresse in Pontresina.
Ein halber Bündner?
Nun, das Engadin hat mir schon zugesagt – ideal für die Outdoor-Aktivität, die ich gerne pflege. Aber dann kam diese Job-Gelegenheit bei Swiss Travel System in New York, da konnte ich nicht widerstehen: Den Leuten die Schönheit der Schweiz vor Augen zu führen, ist für mich das Höchste. Auf die Grossstadt habe ich mich zwar nicht besonders gefreut. Da ist nichts mit Wandern, Bergsteigen, Skifahren und so. Aber immerhin führt mich meine Arbeit häufig auf Reisen quer durch die USA – und da verpasse ich keine Gelegenheit zur Bewegung in freier Natur.
Wann gehts wieder nach Amerika?
Das steht noch nicht fest, wohl irgendwann in der zweiten Hälfte des Jahres. Vorderhand ist jedenfalls noch immer Homeoffice angesagt.
Wie ist eigentlich Ihr Blick auf Adelboden?
Es ist ein so fantastisch schönes Tal! Und diese Vertrautheit, die Leute kennen sich, kommen aus miteinander. Sie sind weltoffener, als man vielleicht glaubt. Je älter ich werde, desto mehr sehe ich mich wieder in Adelboden.
Auch beruflich? Vielleicht brauchts ja irgendwann einmal einen neuen Tourismusmanager in der Region?
Naja, ich habe zwar Erfahrung im Marketing, musste mich aber nie um Budgets sorgen. Ich durfte in meinen Positionen immer nur raus und mit schönen Präsentationen die Leute begeistern – hatte nichts zu verlieren. Aber in kleinen Destinationen ist die Aufgabe eines Tourismusmanagers viel breiter und komplexer. Da gibts keine separaten Abteilungen für Produktentwicklung, Innovation und Verkauf. Und die Mittel dazu muss man erst einmal generieren. Also das wäre schon sehr viel Neuland für mich.