Lesen im Kaffeesatz statt im Kriminalroman
05.05.2020 Coronavirus, WirtschaftSchenkt der Lockdown Zeit und Musse fürs Lesen? Wenn ja, dann wurde die Lust auf das Buch nicht unbedingt in den Büchershops im Kandertal gestillt. Die Meinungen der Betreiberinnen sind einhellig.
RETO KOLLER
Seit sechs Wochen sind auch die Buchhandlungen im ...
Schenkt der Lockdown Zeit und Musse fürs Lesen? Wenn ja, dann wurde die Lust auf das Buch nicht unbedingt in den Büchershops im Kandertal gestillt. Die Meinungen der Betreiberinnen sind einhellig.
RETO KOLLER
Seit sechs Wochen sind auch die Buchhandlungen im Kandertal zugeriegelt, Verkäufe werden ausgeliefert. Wie sich die Kunden in der Lockdown-Zeit verhielten und was die Betreiberinnen von der baldigen Wiedereröffnung ihrer Shops erwarten, zeigt eine Umfrage in Frutigen, Reichenbach, Adelboden und Kandersteg.
Kinderbücher statt Weltliteratur
Heidi Schwarz betreibt an der mittlerweile menschenleeren Adelbodner Dorfstrasse ihr Geschäft «Buch&Tuch». Sie lieferte den gewünschten Lesestoff entweder direkt per Post oder an eine Abholstation aus. Auf ihrer Website sind die Links zu Verlagen wie Diogenes oder zu wichtigen Buchhandel-Grossisten aufgeschaltet. Bücher aller Sparten können im Webshop von «Buch&Tuch» online bestellt werden. «Gefragt waren insbesondere Kinderbücher mit Lerninhalten und vermehrt auch christliche Literatur. Der Bedarf an Belletristik ist dagegen fast vollständig eingebrochen», meint Heidi Schwarz und schätzt den Umsatzverlust auf rund 90 Prozent ein.
Auch die Dorfpapeterie Reichenbach wird nicht gerade überrannt. Die Nachfrage war klein, gefragt waren vor allem Rätselbücher für Kinder. «Die Eltern mussten anscheinend ihre Kinder – vor allem die vorschulpflichtigen – ja irgendwie beschäftigen», meint Inhaberin Andrea Mägert. Auch sie richtete einen Abholdienst ein und lieferte auf Wunsch die Bücher persönlich aus. Der Betrieb eines Onlineshops sei sehr aufwendig und lohne sich nicht.
Die Treffpunkt Frutigen GmbH bietet nebst Papeteriewaren, Geschenkartikeln und Spielwaren auch Bücher an. Sie setzte auf «Window Shopping» und gestaltete ein Schaufenster mit vornehmlich christlicher Literatur. Auch in Frutigen gingen die Bestellungen nur spärlich ein. Sie beschränkten sich meist auf leichteren Lesestoff wie Biografien und Romane. «Die Menschen wollen sich anscheinend zurzeit nicht zusätzlich belasten und suchen eher unterhaltsame und zerstreuende Literatur», kommentiert Mitarbeiterin Doris Trummer.
In der Bücher-Ecke Kandersteg hielt sich die Nachfrage ebenfalls in engen Grenzen. Die Lieferungen beschränkten sich auf ortsansässige Kunden. Cornelia Cadotsch öffnet ihr Geschäft am 12. Mai wieder.
Vorfreude auf den persönlichen Austausch
Heidi Schwarz hält den Blick in die nahe Zukunft für Lesen im Kaffeesatz. «Wie sich das Verhalten unserer Kunden verändern wird, steht in den Sternen.» Haben die Lesefreudigen ihren Bücherdurst in den Onlineshops der grossen Anbieter wie Thalia oder Amazon gestillt? Kehren sie nach der Wiedereröffnung zurück in den traditionellen Buchladen? Sie weiss es nicht, hofft aber auf die treuen Kunden, unter denen auch viele Zweitwohnungsbesitzer sind. Ihre Reichenbacher Kollegin Andrea Mägert schliesst sich ihrer Meinung an. Sie rechnet mit dem Wiederkommen ihrer bestehenden Kundschaft. Allen drei Buchanbietern ist eines gemeinsam: Ihre Besitzerinnen und Mitarbeiterinnen freuen sich, ab nächster Woche mit ihren Kundinnen und Kunden wieder persönlich über die letzten Neuerscheinungen fachsimpeln zu können. Den direkten Austausch mit der Buchhändlerin oder dem Buchhändler kann kein Onlineshop dieser Welt bieten.