«Wir wollten von Anfang an die Bevölkerung mitnehmen»
03.06.2020 Frutigen, PolitikBundesrätInnen sieht man in Corona-Zeiten praktisch täglich am Bildschirm. Deren Kommunikationschefs bleiben diskret im Hintergrund. Wie geht es dem gebürtigen Frutiger Peter Lauener, der seit gut acht Jahren für Bundesrat Alain Berset ...
BundesrätInnen sieht man in Corona-Zeiten praktisch täglich am Bildschirm. Deren Kommunikationschefs bleiben diskret im Hintergrund. Wie geht es dem gebürtigen Frutiger Peter Lauener, der seit gut acht Jahren für Bundesrat Alain Berset arbeitet?
«Frutigländer»: Peter Lauener, wie erleben Sie als Kommunikationschef im Eidgenössischen Departement des Innern (EDI) diese ausserordentliche Zeit?
Eigentlich hat das Virus unseren Berufsalltag kaum verändert – oder doch: Es muss einfach alles doppelt so schnell gehen. Unter normalen Bedingungen sind die Prozesse in der Verwaltung klar strukturiert und etwas träge. Die Kommunikation hat darin ihren zugewiesenen Platz. Alles wird gegengelesen, diskutiert, korrigiert und viele Fachleute und Stellen werden einbezogen. In der ausserordentlichen Lage haben wir viel weniger Zeit und müssen trotzdem sehr sorgfältig und dreisprachig arbeiten.
Gibt es in der Krise besondere Herausforderungen für Sie?
Wir wollten von Anfang an die Bevölkerung mitnehmen und vom Sinn der Massnahmen überzeugen: erklären und nicht einsperren oder verbieten. Die SchweizerInnen sind mündig. Eine Ausgangssperre kam daher nicht in Frage. Das bedingt aber eine intensive Kommunikation. Wir mussten immer wieder aufs Neue erklären: Weshalb macht es Sinn, dass man zu Hause bleibt, nur einmal in der Woche einkaufen geht? Wir merkten, dass wir stark mit grafischen Elementen, Tabellen und Piktogrammen kommunizieren müssen. Man darf sich auch nicht scheuen, dieselben Botschaften ständig zu wiederholen, denn nicht alle lesen dieselbe Zeitung oder schauen die gleichen Sender. Wir haben versucht, auf möglichst vielen Kanälen präsent zu sein und dafür zu sorgen, dass auch Menschen mit einer Seh- oder Hörbehinderung die Informationen erhalten.
Mussten Sie diese Kommunikationsstrategie erst erfinden oder gab es eine solche für die ausserordentliche Lage schon?
Es gibt ein gutes Konzept für die Krisenkommunikation beim Bund. Es regelt die Zuständigkeiten und Prozesse. Die Inhalte diskutieren wir regelmässig mit der Bundeskanzlei und den Kommunikationsverantwortlichen aller Departemente. Man kann aber die Kommunikation in der Krise nur bis zu einem gewissen Grad planen. Vieles muss sehr schnell entschieden werden. Vieles muss man auch einfach ausprobieren und dann noch nachjustieren.
Was reizt Sie an Ihrem Job als Sprecher eines Bundesrats?
Das ist im Bereich Kommunikation einer der spannendsten Jobs, die es gibt: nahe an der politischen Entscheidung zu sein und das in einem Departement, das aussergewöhnlich breit aufgestellt ist. Es umfasst neben dem Gesundheitswesen und den Sozialversicherungen etwa auch die Kultur, die Statistik oder die Meteorologie – viele Themen, die nah bei den Menschen sind und über die auch immer wieder abgestimmt wird.
Welche besonderen Kompetenzen braucht man als Mediensprecher eines Bundesrats?
Belastbarkeit, gute Nerven, Kontaktfreudigkeit. Man muss Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden, aber auch delegieren können. Ich muss merken, wenn unsere Kommunikation nicht verstanden wird.
Wie verläuft Ihr Arbeitstag? Wie informieren Sie sich als Kommunikationschef?
Ich beginne meinen Arbeitstag etwa um 6.45 Uhr im Büro und lese zuerst alle wichtigen Schweizer Zeitungen, immer in derselben Reihenfolge. Die Lektüre des Pressespiegels folgt um 7.30 Uhr. Anschliessend, um 8 Uhr, trifft sich das engste Team mit Bundesrat Berset zu einer Sitzung. Der Rest des Tages variiert. Manchmal begleite ich meinen Chef auf Reisen, an Veranstaltungen oder Pressekonferenzen. Manche Tage verbringe ich im Büro mit – wie ich meinen Job häufig beschreibe – Lesen, Schreiben und Telefonieren. Natürlich auch mit Sitzungen.
Sie sind täglich, wöchentlich, monatlich in Kontakt mit Journalisten. Welche Erfahrungen machen Sie mit den Medienvertreterinnen und -vertretern?
Beide Seiten arbeiten professionell und in gegenseitigem Respekt. Ich war früher selbst Journalist, das hilft mir in meiner jetzigen Funktion als Mediensprecher.
Wie gross ist Ihr Team?
Wir sind in der Kommunikation des Generalsekretariats neun Personen, verteilt auf 700 Stellenprozente, sowie zwei Lernende. Unsere Aufgaben sind die Begleitung und Beratung des Departementschefs, die Kommunikation der Bundesratsgeschäfte, das Redigieren von Texten und Medienmitteilungen, die Koordination mit den Ämtern und den anderen Departementen sowie die Betreuung der Webseite und der sozialen Medien.
Sind die sozialen Medien für das EDI zu einem wichtigen Kanal geworden?
Die sozialen Medien sind schon seit einer Weile Teil unserer Kommunikation, um die Informationen des Departements und des Bundesrats möglichst breit zu streuen. Das kam uns in der Krise zugute. so konnten wir rasch bestimmte Zielgruppen via Facebook und Twitter direkt ansprechen. Seinen Instagram-Account hat Bundesrat Berset neu politisch eingesetzt und versucht, über Roger Federer, Stress und Christa Rigozzi jüngeren Menschen zu vermitteln, dass sie zu Hause bleiben sollen. Grundsätzlich gilt aber, dass niemand Nutzer von sozialen Medien sein muss, um die wichtigen Informationen unsererseits zu erhalten. Die sozialen Medien setzen wir immer nur ergänzend zu den üblichen Kanälen ein.
In der Corona-Krise sind normale Arbeitstage eine Utopie: Haben Sie noch Zeit für Ihre Frau und Ihre Hobbys?
Ich war in den letzten Wochen nicht viel zu Hause. Meine Frau hat eine Leitungsfunktion im Gesundheitswesen und war auch noch viel mehr als sonst schon am Arbeiten. Trotzdem hat sie viel mehr im Haushalt erledigt. Wir organisierten uns besser, gehen etwa nur noch ein Mal pro Woche einkaufen.
Wie erholen Sie sich vom täglichen Stress?
Beim Velofahren und Lesen. Wir schauen Filme und Serien und wir kochen beide sehr gerne. Ausserdem besuchen wir meine Mutter und die Familie meines Bruders in Frutigen.
Mussten Sie ihre Ferienpläne fürs Jahr 2020 ändern?
Wir wollten im Sommer nach Holland, ins Herkunftsland meiner Frau. Diese Reise haben wir nun verschoben.
Fürchten Sie sich eigentlich vor einer CO-VID-19-Infektion?
Ich habe keine Angst vor einer Ansteckung, aber selbstverständlich halte ich mich an die Massnahmen, die wir täglich kommunizieren. In meiner beruflichen Funktion stehe ich regelmässig in persönlichem Kontakt mit dem Departementschef und bin mir meiner diesbezüglichen Verantwortung bewusst.
Welche sind die grössten Irrtümer über COVID-19?
Zu Beginn der Krise wurde das Virus unterschätzt. Diesen Irrtum mussten wir korrigieren und darauf hinweisen, dass es um eine Krankheit geht, die für verletzliche Personen schwer verlaufen kann. Es gibt auch noch keine Impfung. So seltsam es für viele am Anfang anmutete: Wirksamer Schutz heisst «Hände waschen und Abstand halten».
Sind Sie zufrieden mit der Akzeptanz der Bevölkerung bezüglich der Massnahmen?
Die Bevölkerung hat die Massnahmen gut umgesetzt. Das zeigt die gute Entwicklung der Epidemie. Jetzt ist es wichtig, dass die Leute die neue Normalität leben: Die Hygienemassnahmen und Abstandsregeln gelten weiterhin. Es ist im Interesse von uns allen, dass wir Ansteckungen zurückverfolgen können. Deshalb macht es Sinn, im Restaurant Name und Telefonnummer zu hinterlassen für den Fall, dass der Kellner oder ein anderer Gast krank wird. Es geht also nicht darum, via Listen oder App die Bürgerinnen und Bürger zu überwachen, sondern darum, uns zu schützen und möglichst normal mit dem Virus leben zu können.
Was wird man in zehn Jahren über diese Pandemie sagen?
Wie die Welt nach Corona aussehen wird, ist schwierig zu sagen. Und die Lehren werden wir noch ziehen müssen. Ich hoffe, dass wir die wirtschaftlichen Folgen der Massnahmen rascher überwinden, als viele derzeit befürchten. Ausserdem hoffe ich, dass wir für die nächste Pandemie besser gerüstet sind, weil wir gelernt haben, uns durch Verhaltensmassnahmen rasch und effektiv zu schützen, und weil es hoffentlich bald einen Impfstoff geben wird.
Bleiben uns die Hygiene- und Verhaltensweisen im öffentlichen Raum erhalten?
Ich könnte mir vorstellen, dass die Desinfektionsmittel am Eingang von Geschäften bleiben, weil das eigentlich ganz praktisch ist und geschätzt wird. Die Abstandsregeln aber werden sich vermutlich entspannen.
Was in der Arbeitswelt lange Zeit unmöglich war, das Homeoffice, ist in der Krise plötzlich Standard geworden. Bleiben diese Bedingungen oder müssen wir zurück ins Büro?
Ich denke, dass wir wieder vermehrt im Büro arbeiten, aber weiterhin und vermehrt teilweise Homeoffice machen. Was wohl auch bleibt, ist die Erkenntnis, dass man Sitzungen mit mehreren TeilnehmerInnen auch per Videokonferenz abhalten kann, aber auch, dass persönliche Kontakte in der Arbeitswelt unverzichtbar sind.
In der ausserordentlichen Lage wurden demokratische Prozesse abgekürzt, die typisch schweizerische Mitbestimmung «übersteuert». Wird die Corona-Krise unsere Demokratie längerfristig verändern?
Auch unser Notrecht basiert auf der Verfassung und das Epidemiengesetz wurde vom Volk deutlich angenommen. Es hat sich in der schlimmsten Covid-Phase bewährt. Entscheidend ist ja, dass die Phase des Notrechts nur vorübergehend ist. Der Bundesrat ist froh, dass das Parlament seine Arbeit wieder aufgenommen hat. Die Analyse der Krisenbewältigung steht noch an. Diese wird uns sicher gute Erkenntnisse bringen, was anders gemacht werden muss. Vielleicht sind auch gesetzgeberische Anpassungen nötig.
INTERVIEW PETER SCHIBLI
ZUR PERSON
Peter Lauener (51) ist in Frutigen geboren und aufgewachsen. Nach der Matura studierte er an der Universität Bern Neuere Deutsche Literatur und im Nebenfach Geschichte sowie Religionswissenschaft. Auf die Promotion zum Dr. phil. folgten Weiterbildungen, zum Beispiel im Management von Non-Profit-Organisationen oder in Digital Marketing. Journalistisch tätig war er bei Radio BEO, Radio 32, bei «Der Bund» und beim «Bieler Tagblatt» sowie für die Schweizerische Depeschenagentur (SDA). Anschliessend wurde er Kommunikationsbeauftragter beim Schweizerischen Eisenbahn- und Verkehrspersonal-Verband sowie Leiter Kampagnen und Kommunikation bei der SP Schweiz und dem Schweizerischen Gewerkschaftsbund. Im Februar 2012 wechselte Lauener als Kommunikationsberater ins EDI, wo er seit dem 1. August 2019 die Kommunikationsabteilung leitet.
PETER SCHIBLI