Übernachten in der Gesetzeslücke
31.07.2020 Coronavirus, Tourismus, RegionUnter welchen Umständen wildes Campieren erlaubt ist, definiert im Kanton Bern jede Gemeinde selbst. Doch die entsprechenden Reglemente sind teils in die Jahre gekommen – das zeigt sich nun im Corona-Sommer, in dem das Phänomen zum Problem wird.
JULIAN ZAHND
Viele ...
Unter welchen Umständen wildes Campieren erlaubt ist, definiert im Kanton Bern jede Gemeinde selbst. Doch die entsprechenden Reglemente sind teils in die Jahre gekommen – das zeigt sich nun im Corona-Sommer, in dem das Phänomen zum Problem wird.
JULIAN ZAHND
Viele Camper suchen das Naturerlebnis, und am besten lässt sich dieses Bedürfnis in der Wildnis stillen. Wer mag da schon den markierten Campingplatz dem freien Gelände vorziehen?
Zum Beispiel, wer sich ans Gesetz halten will. Denn an den meisten Orten in der Schweiz ist wildes Campieren verboten. Grundsätzliche Ausnahmen sind gemäss Schweizer Alpen-Club einzig das Notbiwakieren oder eine Einzelübernachtung weniger Personen oberhalb der Waldgrenze – sofern sich der Schlafplatz in keiner Schutzzone befindet und sich die Wildcamper «rücksichtsvoll» verhalten.
Damit hat sichs aber mit der Übersichtlichkeit, denn eine einheitliche Gesetzgebung zum Wildcampen gibt es in der Schweiz nicht. In Kantonen wie Bern etwa kann jede Gemeinde ihre eigenen Regeln definieren. Das ist wohl mit ein Grund, weshalb mancherorts im Oberland in letzter Zeit zusätzliche Verbotsschilder aufgestellt wurden, die Besucher auf die Rechtslage aufmerksam machen.
Ein alter Trend mit neuem Schub
2020 ist das Jahr der Schweiz-Ferien, folglich floriert auch das Wildcampen. Besonders beliebt sind Ausflüge mit dem Campingmobil. Seit Jahren boomt das Geschäft. In diesem Jahr explodierten die Zahlen aber regelrecht, wie Urs Bettschen, Verkaufsberater bei der Autohaus von Känel AG, eindrücklich schildert: «Ab April 2020 stiegen die Verkaufszahlen gegenüber dem Vorjahr um rund das Dreifache. Gebremst wurde der Boom lediglich durch die Fahrzeugbestände, die allmählich zur Neige gingen.»
Natürlich ist das Phänomen Wildcampieren aber nicht neu. Das zeigt nicht nur der Kurzbeitrag «Wildcampen im Tessin» aus dem Jahre 1982, den das Schweizer Fernsehen kürzlich auf seiner Homepage aufgeschaltet hat. Auch Campingreglemente der Frutigländer Gemeinden legen nahe, dass das Phänomen längst bekannt – und auch geregelt – ist. So stammen etwa die Exemplare Kanderstegs, Adelbodens oder Frutigens aus den 1970er- bzw. 1980er-Jahren. Im Prinzip sagen sie alle dasselbe: Dass nämlich wildes Campieren untersagt ist und auch das einmalige Übernachten einer Einwilligung des Grundbesitzers sowie der Gemeinde bedarf.
Gemeinden wollen wieder griffige Gesetze
In letzter Zeit wurde dieses Verbot nun vermehrt missachtet. Wie sanktionieren die Gemeinden das Verhalten? Das sei nicht ganz einfach, sagt Urs Weibel, Gemeinderatspräsident von Kandersteg. Man belasse es vorerst bei Ermahnungen. «Zurzeit ist die Gemeinde nicht befugt, Bussen auszusprechen. Unbefriedigend ist diese Situation auch deshalb, weil einer Gemeinde je nach Gästeaufkommen namhafte Kurtaxeneinnahmen entgehen.» Der Gemeinderatspräsident rechnet vor: «Wenn 200 Wohnmobile mit je zwei Personen im Dorf Halt machen, dann verzichten wir in einer Nacht auf rund 1500 Franken.»
Der Peak sei wohl an Auffahrt und Pfingsten erreicht worden, so Weibel. Seither habe sich die Lage stabilisiert – auch deshalb, weil rund ums Dorf zusätzliche kostenpflichtige Stellplätze für Wohnmobile errichtet wurden. Dadurch seien die Entrichtung der Kurtaxen sowie die Hygienevorschriften gewährleistet.
Dennoch wollen verschiedene Gemeinden das Gesetz wieder griffig machen und ihre Camping-Reglemente revidieren. In Kandersteg etwa soll das neue Dokument bereits der Herbstgemeindeversammlung im November vorgelegt werden. Zudem wird mit einem sogenannten Ordnungsbussenvertrag mit dem Kanton die Basis für Verzeigungen geschaffen für Besucher, die sich nicht an die Vorgaben halten. Eine Folge davon könnte gemäss Urs Weibel auch ein Gemeindeangestellter sein, der im Gebiet Kontrollen durchführt. Nicht ganz so weit will man in Adelboden und Frutigen gehen. Zwar sind auch hier Anpassungen ans bestehende Reglement geplant, allerdings scheinen diese hier nicht so dringlich. Im Unterschied zu Kandersteg sei es in diesen beiden Gemeinden zu keiner gehäuften Zahl an Reklamationen gekommen.
Die ganze Entwicklung zeigt letztlich: Ein wirkliches Problem schien Wildcampen im Tal während der letzten Jahrzehnte nicht zu sein. Denn wie tauglich ein Reglement ist, zeigt sich oft erst dann, wenn dieses zur Anwendung kommt. Und das ist offenbar erst in diesem Spezialjahr der Fall.